Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Handelsverlehr bedachten seefahrenden Nationen, 
die Engländer vorab, diese Art der Choleraverbrei- 
tung entschieden und konnten sich auf v. Petten- 
kofer berufen, der den virulenten Cholerapilz nicht 
vom Kranken selbst, sondern von der Cholera- 
lokalität ausgehen läßt, ähnlich wie es mit dem 
Malariavirus der Fall ist. Dennoch ist augen- 
scheinlich, daß die Unschädlichmachung der Cholera- 
dejektionen, die Desinfektion der Wäsche und Bett- 
stücke durch trockene Hitze (welche nach Koch die 
Lebensfähigkeit der Pilze mit Sicherheit zerstört) 
der Ausbreitung der Krankheit dann gerade den 
größten Abbruch tun wird, wenn durch die Assa- 
nierung der Choleralokalitäten (Beseitigung der 
Senken, der Dung= und Abtrittgruben bzw. Ent- 
fernung aller Abfallstoffe aus der Nähe der mensch- 
lichen Wohnungen, Hausdrainage, Kanalisation 
mit reichlicher Wasserspülung, reichlicher Wasser- 
gebrauch zu den allgemeinen Zwecken der Rein- 
lichkeit) schon bestens vorgesorgt ist. Die ärztliche 
Inspektion aller zu Cholerazeiten einlaufenden 
Schiffe und die Überführung aller Reisenden und 
der ganzen Bemannung in geeignete Ortlichkeiten 
am Lande zur Beobachtung und Behandlung ist 
von allen Seiten als eines der besten Mittel, der 
Einschleppung in Hafenstädte vorzubeugen, an- 
erkannt. 
Immerhin haben die internationalen Kon- 
ferenzen das Gute gehabt, daß an den als Ein- 
gangspforten der Cholera, Lepra und Pest für 
Europa gefährlichsten Punkten, in Konstan- 
tinopel und in Alexandrien, internationale 
Gesundheitsräte errichtet wurden, die ständig dort 
sunktionieren. Auch ist deutscherseits durch die 
internationale Leprakonferenz in Berlin (Okt. 
1897) sowie durch die „Wissenschaftliche Bespre- 
chung über die Pestgefahr“ (Okt. 1900) im Kai- 
serlichen Gesundheitsamt zu Berlin zur Klärung 
über die besten Maßnahmen der Prophylaxe dieser 
Krankheiten erheblich beigetragen worden. 
Von der größten Wichtigkeit für die Bekämp- 
fung nicht allein ansteckender, sondern aller Krank- 
heiten überhaupt ist ein gutes Sanitäts= und Heil- 
personal, für dessen nach Zahl und Beschaffen- 
heit ausreichende Besorgung der Staat mitverant- 
wortlich ist. Der Staat hat die Bedingungen fest- 
zusetzen, unter denen er Arzten und Apothekern die 
Ausübung ihres Berufes gestattet. Für das Reich 
ist hier die Gewerbeordnung vom 1. Juli 1883 
maßgebend, deren Tit. II, § 29 besagt: „Einer 
Approbation, welche auf Grund eines Nachweises 
der Befähigung erteilt wird, bedürfen diejenigen 
Personen, welche sich als Arzte (Wundärzte, Augen- 
ärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Tierärzte) 
oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen und 
seitens des Staates oder einer Gemeinde als solche 
anerkannt und mit amtlichen Funktionen betraut 
werden sollen. . Der Bundesrat bezeichnet 
die Behörden, welche für das ganze Bundesgebiet 
gültige Approbationen zu erteilen befugt sind, und 
erläßt die Vorschriften über den Nachweis der Be- 
  
  
Gesundheitspflege ufw. 
  
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fähigung“ 30: „Unternehmer von Privat- 
kranken-, Entbindungs= und Privatirrenanstalten 
bedürfen einer Konzession der höheren Verwal- 
tungsbehörde. Hebammen bedürfen eines 
Prüfungszeugnisses der nach dem Landesgesetze 
zuständigen Behörde“ 56: „Ausgeschlossen 
vom Ankauf und Feilbieten im Umherziehen sind 
(9.) Gifte und giftige Waren, Arznei= und Ge- 
heimmittel.“ Im übrigen findet die Gewerbeord- 
nung auf „Einrichtung und Verlegung von Apo- 
theken keine und auf Ausübung der Heilkunde und 
Verkauf von Arzneimitteln nur insoweit Anwen- 
dung, als dieselbe ausdrückliche Bestimmungen 
darüber enthält“. Alles andere bleibt der Landes- 
gesetzgebung vorbehalten. — In den meisten Grenz- 
gebieten Deutschlands sind auf Grund besonderer 
internationaler Verträge die ausländischen Arzte, 
Hebammen und Tierärzte zur Ausübung ihres 
Berufes befugt, wie auch die deutschen Arzte das- 
selbe Recht im ausländischen Gebiete haben. Doch 
ist dauernde Niederlassung wechselseitig verboten. 
Die Erteilung der ärztlichen Approbation 
ist an ein Staatsexamen geknüpft, welches vor 
einer beliebigen ärztlichen Prüfungskommission 
(an einer der deutschen Universitäten) auf Grund 
der Prüfungsordnung vom 28. Mai 1901 ab- 
gelegt werden kann. Die Approbation verleiht 
das Recht zur Niederlassung in einem beliebigen 
Bundesstaate. Der Arzt hat dann nur dem zu- 
ständigen Kreisphysikus Anzeige zu erstatten unter 
Vorweisung der Approbation. Letztere kann von 
der Verwaltungsbehörde zurückgenommen werden, 
wenn dem Inhaber die bürgerlichen Ehrenrechte 
aberkannt sind. Zu den Vorbedingungen der ärzt- 
lichen Approbationsprüfung gehören: das Reife- 
zeugnis eines deutschen humanistischen oder Real- 
gymnasiums; der Nachweis eines Studiums von 
mindestens zehn Halbjahren an einer deutschen 
Universität; der Nachweis, daß der Kandidat die 
ärztliche Vorprüfung (tentamen physicum) be- 
standen und darauf noch wenigstens sechs Halbjahre 
dem medizinischen Studium gewidmet hat usw. 
Die Qualifikation für Zahnärzte wird durch eine 
Prüfung auf Grund der Vorschriften vom 29. Sept. 
1879 erlangt. 
Der ärztliche Stand leidet im allgemeinen an 
zu starkem Nachwuchs, der vorzugsweise den 
Städten zuströmt (während auf dem Lande man- 
chenorts Mangel an Arzten herrscht), an der schran- 
kenlosen gewerblichen Freiheit, welche von Kur- 
pfuschern und Fabrikanten von Reklame= und Ge- 
heimmitteln auf Kosten der Arzte ausgebeutet wird, 
sowie an zu großer Ausnutzung der Arbeitskraft 
einzelner Arzte (unter Vernachlässigung der übrigen) 
von seiten der Krankenkassen, welche immer zahl- 
reichere Kreise der Bevölkerung in sich aufnehmen. 
Zum Vorteile der Kranken müßten die Kassen ge- 
halten sein, die Arbeitslast auf eine größere Zahl 
von Arzten zu verteilen und eine größere Quote 
der Mitgliederbeiträge für ärztliche Behandlung, 
eine geringere für die Verwaltungskosten aufzu-
	        
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