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heiten in der Höhe der Kosten in dem einen Staate
gegenüber andern Staaten.
Man wird daher zu dem Schlusse kommen
müssen, daß derselbe Staat, welcher um seinetwillen
Opfer verlangt, auch wiederum sorgen muß, daß
die Bürger nicht nur opferwillig, sondern auch
opferfähig bleiben. Dies führt dazu, daß für solche
Betriebe, welche als im Interesse des Ganzen lie-
gend anerkannt werden, auch die Lebensbedingun-
gen durch Förderung und Schut erhalten werden.
Daß die Landwirtschaft zu den Betrieben gehört,
an deren Gedeihen die Allgemeinheit beteiligt ist,
wird wohl von keiner Seite verkannt. Für die
Unabhängigkeit des Staates vom Auslande ist es
von größtem Wert, nach Möglichkeit für die Er-
nährung des Volkes durch Erzeugnisse des eigenen
Landes zu sorgen. Von keiner Seite wird wohl
auch Widerspruch erhoben, wenn der Staat der
Landwirtschaft seine Fürsorge zuwendet, um die
Verbesserung der Betriebsart und Erleichterung
der Betriebsbedingungen herbeizuführen. Die An-
sichten scheiden sich aber, wenn man darüber hin-
aus auch noch einen Schutz durch Einfuhrzölle be-
ansprucht. Von jemand, welcher folgerichtig den
freihändlerischen Standpunkt festhält, also auch der
Industrie keinen Schutzzoll zuwenden will, kann
man nicht verlangen, daß er Getreidezölle billige.
Wer aber überhaupt die Einwirkung des Staates
durch Zölle zuläßt, wird die Berechtigung auch der
lanwinschaftichen Zölle im Prinzip zugestehen
müssen.
Was soll nun aber der Schutzzoll bewirken?
Man wird seinen Zweck als erfüllt anerkennen,
wenn er dem Erzeugnis, welches geschützt werden
soll, einen sichern Markt und einen Preis ver-
schafft und dauernd erhält, bei welchem die auf
der Hervorbringung ruhenden Lasten und Kosten
aller Art gedeckt werden und für den Unternehmer
oder Eigentümer des Betriebes noch ein Überschuß
bleibt zu seinem eigenen Unterhalt. Nur unter
diesen Bedingungen ist auf die Dauer der Fort-
bestand des betreffenden Betriebes gesichert. Bei
der großen Wichtigkeit gerade der Landwirtschaft
für Staat und Gesellschaft würde es sehr ver-
hängnisvoll sein, wenn die landwirtschaftliche
Bevölkerung im Ackerbau nicht mehr eine lohnende
Tätigkeit finden würde. Es würde dies indessen
nach freihändlerischer Ansicht lediglich dahin führen,
den Betrieb solchen zu überlassen, welche im Be-
site eigenen großen Kapitals denselben billiger
führen könnten. Es würden eben andere als die
jetzigen Landwirte eintreten. Diese Ansicht über-
sieht die großen Gefahren, welche in sozialpoli-
tischer Hinsicht entstehen müßten, wenn der Staat
sich auf einen solchen Standpunkt stellen würde.
In der großen Masse des mittleren und kleineren
Besitzes liegt gegenüber den zersetzenden Bestre-
bungen auf dem sozialen Gebiete ein im richtigen
Sinne konservativer Halt. Auch ist die Bedeutung
des Bauernstandes für die Sicherung der Wehr-
kraft des Volkes nicht zu unterschätzen.
Staatslexikon. II. 3. Aufl.
Getreidezölle.
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Die Landwirtschaft stellt einen Erwerbszweig
dar, welcher nach der Berufszählung von 1907
32,7% der Erwerbstätigen, 28,6 % der Gesamt-
bevölkerung umfaßt. Wenn eingewendet wird,
daß, wenn die bisherigen Wirtschafter infolge
mangelnder Rentabilität die Bewirtschaftung nicht
mehr fortsetzen können, damit noch keineswegs er-
wiesen sei, daß die Landwirtschaft als solche nicht
mehr mit Erfolg betrieben werden könne, so müssen
doch die sozialpolitischen Folgen einer allgemeinen
Depossedierung der gegenwärtigen Besitzer in Be-
tracht gezogen werden, Folgen, welche die indu-
strielle Bevölkerung, zumal die Arbeiterschaft, am
allerwenigsten wünschen kann.
2. Wirkung auf die Landwirtschaft.
Zur Beantwortung der Frage, ob der Zoll das
zur Erreichung der gestellten Aufgabe geeignete
Mittel sei, ist es nötig, eine Betrachtung über die
Preisbildung anzustellen. Sieht man von der aus-
ländischen Einfuhr zunächst ganz ab, so ist fest-
zustellen, daß bei keinem andern Erzeugnis der
Betrieb so wenig auf die Masse einwirken kann
als bei dem Getreide. Wohl kann man die be-
bauten Flächen vermehren, insoweit in einem
Lande solche noch als kulturfähige, aber noch nicht
in Kultur gebrachte vorhanden sind; wohl kann
ein mit allen Mitteln zur Beförderung der Ge-
treidehervorbringung arbeitender Betrieb (gute
Bearbeitung des Bodens, Düngung usw.) die Be-
dingungen für das Wachstum möglichst günstig
erfüllen — entscheidend für die wirklich erzeugte
Menge ist die Natur selbst, insbesondere die
Witterung. Rechtzeitige und gute Bestellung kann
die Saaten widerstandsfähiger machen gegen ge-
wisse Witterungseinflüsse; aber durch nichts kann
der Mangel an Regen und Wärme für das Wachs-
tum ersetzt werden, keinen Schutz gibt es gegen
unzeitige Fröste, ungünstige Blütezeit oder regne-
rische, die Brauchbarkeit des Brotgetreides benach-
teiligende oder vernichtende Erntezeit. Alle diese
Einflüsse machen sich gewöhnlich auf weiten Ge-
bieten geltend. Dazu kommen dann noch für
mehr abgegrenzte Landesteile Uberschwemmungen
und Hagel.
Wie sehr diese Umstände in Betracht kommen,
Möge u. a. aus folgenden Zahlen erhellen.
Nach einer Zusammenstellung des Kaiserlichen
Statistischen Amtes betrug die Getreideernte:
Jahr Weizen Roggen
1901 24990000 t. · gmsooot
1902 3900 Oo0 1 4 0oo
1903 3555 000, 9004000
1904 3805 000 10061000 „
1905 3 700 000. 607000
1906 3940 Ooo D 9626000
Nun ist naturgemäß der Ernteertrag auch ab-
hängig von der Größe der Anbauflächen, aber diese
spielt oft keine so große Rolle, wie die vorher er-
wähnten Einflüsse. So ist z. B. die Ernte 1905
bei Weizen um 105.000 t niedriger als 1904,
trotzdem die Anbaufläche noch um 9000 ha größer
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