57
ist die natürliche Erbfolge, die dem einzelnen ein-
geräumte Testierfreiheit dagegen ein Mittel, die
starre Gesetzesregel der Sachlage anzupassen oder
besonderer Umstände wegen durch eine passendere
Anordnung zu ersetzen. Hierdurch erhebt sich die
Ordnung der Familienerbfolge entsprechend der
menschlichen Natur aus dem Bereich eines (unter
Eintritt bestimmter Bedingungen bestimmte Wir-
kungen hervorbringenden) Naturgesetzes zur Höhe
eines natürlichen Sittengesetzes, welches der Mensch
aus freier Selbstentscheidung im Gebrauch seiner
Vernunft zu erfüllen hat.
2. Der Beginn des römischen Erbrechts
zeigt familienrechtliche Züge, aber unter auffallend
starker Betonung der Macht des Hausvaters. Die
Einheit seiner Gewalt begründet die Einheit der
Familie. Die Gesamtheit derjenigen, welche unter
derselben hausväterlichen Gewalt stehen oder unter
derselben Gewalt des gemeinschaftlichen Stamm-
vaters stehen würden, wenn dieser noch lebte, wird
als Agnaten bezeichnet. Die verheiratete Tochter
tritt in die Familie ihres Mannes; auch der aus
der väterlichen Gewalt entlassene Sohn gehört
nicht mehr zu den Agnaten. Die nächsten Agnaten
sind diejenigen, welche ohne Mittelsperson der
hausväterlichen Gewalt unterstehen (Hauskinder).
Diese unmittelbar der väterlichen Gewalt unter-
worfenen Abkömmlinge gelangen durch den Tod
nicht so fast zur Erbschaft als zur freien Herrschaft
über das Familiengut. In Ermanglung von
Hauskindern werden die nächsten Agnaten berufen,
dann die (durch den gemeinsamen Geschlechtsnamen
kenntlichen) Gentilen.
Die Testierfreiheit diente anfangs zur Ergän-
zung des natürlichen Erbrechts der Familie. Ihre
Benutzung schlug mit dem Schwinden der guten
Sitten in Mißbrauch um. Die Lockerung der
Familienbande führte zu letztwilligen Härten gegen
Angehörige, und dadurch wurde die Gesetzgebung
zu Schutzbestimmungen gezwungen, die sich an-
fangs nicht etwa gegen die Herzlosigkeit des Vaters,
sondern nur gegen die Möglichkeit eines Irrtums
richteten. Nächste Angehörige mußten nämlich
zur Vermeidung eines Mißverständnisses im Te-
stament ausdrücklich eingesetzt oder ausdrücklich
ausgeschlossen sein.
Als sich die Testamente häuften, stellte sich die
Notwendigkeit eines kräftigeren Schutzes ein. Man
beschränkte die Summe, die Fremde beim Vor-
handensein Verwandter erben durften. Man gab
einem Angehörigen, dem der Erblasser nicht einmal
den vierten Teil des ihm nach Intestaterbrecht
zukommenden Anteils zuwendete, ein Klagerecht
(Lex Falcidia, 40 v. Chr.). Als diese Bestim-
mung durch Fideikommisse umgangen wurde,
dehnte das Senatusconsultum Pegasianum
unter Vespasian jene Quart auch auf diese aus.
Bei der Frage, wer durch Pflichtteilsrecht geschützt
werden solle, wurde nicht mehr die alte, zerfallene
Agnatenfamilie, sondern die Blutsverwandtschaft
(Kognaten) berücksichtigt.
Erbrecht.
58
Mit dem Überwiegen der Testamentserbfolge
hängt die juristische Fassung des Erbschaftserwerbs
zusammen. Er bedarf der Zustimmung des Erben.
Der Nachlaß wird wie eine vorfindliche Geld-
summe behandelt. Von Sonderbehandlung der
von Natur aus für so verschiedene Zwecke be-
stimmten Vermögensstücke ist keine Rede, ebenso-
wenig von der Erleichterung der Möglichkeit für
Miterben, beisammen zu bleiben. Jeder einzelne
kann auf Teilung dringen, kann über Nachlaßstücke
nach Verhältnis seines Anrechts verfügen und
wegen seiner Quote verklagt werden. Die Erben-
haftung für die Nachlaßschulden beruhte auf der
strengen Hausgewalt. Der sich aus der Verstrickung
nicht lösende Schuldner verfiel mit seiner ganzen
Existenz dem Gläubiger. Nach des Schuldners
Tod blieb also auch das Hauskind verfallen. Dem
eigenen Kind war der ursprünglich durch Adoption
entstandene testamentarische Erbe nachgebildet.
Auch er haftete für die Schulden (das beneficium
inventarü ist spätrömisch).
Das jüngere römische Recht bemühte sich, für
die Familie und fürchristliche Ideen einzutreten.
So bestimmte Justinians Novelle 115 (vom Jahr
541), Aszendenten und Deszendenten müssen ein-
ander zu Erben ernennen, widrigenfalls die letzt-
willige Verfügung, mag der Pflichtteil auch voll-
ständig hinterlassen sein, keine Kraft hat: die
gesetzliche Erbfolge tritt ein; der übrige Teil des
Testaments bleibt bestehen. Die Ernennung zum
Erben darf nur unter Angabe des Grundes und
aus den Gründen, welche hierfür im Gesetz be-
zeichnet sind, unterlassen und der Pflichtteil ent-
zogen werden. Die gerichtliche Testamentseröffnung
wurde Regel. Weitere Durchbrechungen des klas-
sischen Rechts zeigen die verschiedenen beneticia
und die Ausnahmen für die sich allmählich wieder
bildenden Stände. Die Stände des absoluten
Staates sind Militär, Beamte, Klerus; in ihnen
kam endlich die Arbeit wieder zu Ehren. Für das
Militärerbrecht gab es Ausnahmen. Auch finden
sich Spuren militärischer, genossenschaftlicher und
kirchlicher Heimfallsrechte. Von dem kaiserlichen
Eifer für christliche Ideen (allerdings nicht ohne
Byzantinismus) zeugt die allgemeine, also auch erb-
rechtliche Zurücksetzung der Sekten, z. B. der Mani-
chäer, und die Bevorzugung der piae causae, wäh-
rendin der (klassischen) Zeitdes Individualismus die
juristischen Personen nicht eimmal erbfähig waren.
3. Das älteste germanische Erbrecht ist
bei der Mangelhaftigkeit der Quellen in hohem
Maß streitig. Nach dem Bericht von Tacitus be-
stand damals nur gesetzliche Erbfolge; aber schon
die Lex Salica kennt neben ihr die vertragsmäßige.
Daneben kennt das deutsche Recht im Gegensatz
zur römischen Universalsukzession eine verschiedene
Erbfolge in die verschiedenen Vermögensbestand-
teile. Das älteste Erbrecht beschränkt sich auf die
Hausgenossen, die zu ungeteiltem Gut in Ge-
wehrschaft leben. Stirbt einer, so wächst sein An-
teil den andern zu. Die aus der Gemeinschaft