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einigermaßen Rechnung tragen kann. Das eigent-
liche Handwerk setzt seine Produkte ohne Vermitt-
lung des Handels ab.
Eng verknüpft ist die Entwicklung des Hand-
werks im engeren Sinne mit derjenigen des
Städtewesens, namentlich auch in Deutschland.
Darüber sowie überhaupt über die geschichtliche
Entwicklung und die heutigen Verhältnisse des
Handwerks val. d. Art.
Wie die Entstehung des Städtewesens ist so-
dann auch die Bildung zentralisierter Staaten
für die weitere Entwicklung der gewerblichen
Betriebsformen von einschneidender Bedeutung.
Beseitigung der inneren Zollschranken, nationale
Arbeitsteilung und ein nationaler Markt an
Stelle der stadtwirtschaftlichen Abgeschlossenheit,
größere Kapitalansammlung und Beweglichkeit
des Vermögens, Aufschwung des Handels und
Eröffnung überseeischer Absatzgebiete — alles das
sind Momente, welche (seit dem 15. Jahrh.) neben
dem eine Zeitlang unvermindert fortbestehenden
Handwerk die Ausbildung neuer gewerblicher Be-
triebssysteme wesentlich fördern. Solche sind zu-
nächst das Verlagssystem und später das Fabrik-
system, welche dann vielfach auch in Verbindung
miteinander gebracht worden sind; beide, jedoch die
Fabrik in höherem Grade, sind kapitalistische Groß-
betriebsformen. Erstere besteht darin, daß ein
Unternehmer auf eigene Rechnung regelmäßig
eine größere Anzahl von Gewerbstätigen (Haus-
industriellen) außerhalb seiner eigenen Betriebs-
stätte in ihren eigenen Wohnungen beschäftigt,
d. h. ihnen — mit oder ohne Lieferung des Roh-
stoffes bzw. Stellung des Werkzeugs — ständige
Aukträge erteilt und gegen einen im voraus fest-
gesetzten Preis oder Lohn die fertigen Produkte
abnimmt. Vom Standpunkte des Unternehmers
ist der Verlag also wesentlich Handelsunterneh-
mung; der Verleger, dessen Verbindung mit den
Produzenten häufig nicht einmal eine direkte ist,
sondern durch Agenten (Faktore oder Ferger) her-
gestellt wird, besorgt lediglich den Absatz durch
städtische Magazine oder durch Vertrieb an aus-
wärtige Großhändler, wodurch die Waren teil-
weise sogar auf den Weltmarkt gelangen. Da
das neue Betriebssystem anfangs in die zünftig
organisierten Handwerke nicht eindringen konnte,
so wurde es zunächst hauptsächlich für eine ge-
werbliche Tätigkeit der ärmeren ländlichen Be-
völkerung nutzbar gemacht; auf diese Weise wurden
vielfach in Anknüpfung an überlieferte Fertigkeiten
des Hauswerks (z. B. Weberei, Holzschnitzerei)
manche neuen Industrien ins Leben gerufen und
große ländliche Bezirke hausindustrieller Tätig-
keit geschaffen. Vom Standpunkt des Gewerbs-
tätigen ist zwischen dem eigentlichen Handwerk
und dem Verlagssysteme im Betrieb äußerlich
kaum ein Unterschied, nur daß der Hausindustrielle
keine direkte Kundenproduktion betreibt, sondern
ausschließlich für einen Unternehmer arbeitet.
Vgl. des weiteren d. Art. Hausindustrie.
Gewerbe usw.
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Auchintechnischer Hinsicht istzwischen den älteren
Betriebssystemen und der Hausindustrie wenig
Verschiedenheit, während das etwas später, aber
unter denselben (eben genannten) volkswirtschaft-
lichen Voraussetzungen entstehende Fabriksystem,
bei welchem ein Unternehmer regelmäßig eine
größere Zahl gewerblicher Arbeiter außerhalb ihrer
Wohnungen in eigener Betriebsstätte beschäftigt,
besondere technische Vorzüge besitzt. Diese be-
stehen nicht nur in der Möglichkeit umfassender
Maschinenverwendung, sondern vor allem in größt-
möglicher technischer Arbeitsteilung, bei welcher
die Beschränkung jedes einzelnen der vielen neben-
und nacheinander an ein und demselben Gewerbe-
produkt arbeitenden Personen auf einen kleinen
Teil des Produktionsprozesses eine bedeutende
Steigerung der Gesamtleistungen und hierdurch
Verringerung der Produktionskosten herbeiführt.
Dies um so mehr, als die Fabrik infolge der ihr
eigentümlichen Arbeitsteilung gelernte und un-
gelernte, rein mechanisch oder auch geistig tätige
Arbeiter von verschiedener Leistungsfähigkeit gleich-
zeitig fortdauernd beschäftigen kann. Die Fabrik
ist im Gegensatz zum Verlag wesentlich Produk-
tionsunternehmung, die zum Absatz ihrer Erzeug-
nisse des Handels bedarf, für den sie auch auf Be-
stellung arbeitet, während Privatkundschaft in der
Regel ausgeschlossen ist. Über den Unterschied
zwischen Fabrik und Handwerk vl. d. Art.
Zum Verständnis des großen Erfolges dieser
neueren industriellen Entwicklung, speziell des
Fabriksystems, ist aber außer jenen volkswirtschaft-
lichen Voraussetzungen vor allem noch ein Um-
stand beachtenswert, daß nämlich der Bedarf an
gewerblichen Erzeugnissen mit der Entwicklung des
Verkehrs eine andere Gestalt angenommen hat.
Diese veränderte Gestaltung des Lebensbedarfs
stellt der gewerblichen Tätigkeit Aufgaben, denen
das Handwerk im engeren Sinne nicht gerecht
wurde. Zunächst hat sich der Bedarf an gewerb-
lichen Erzeugnissen örtlich zusammengezogen; die
großstädtische Menschenkonzentration, die Kriegs-
heere, großen Staats= und Gemeindeanstalten,
Versandgeschäfte, Konsumvereine usw. haben Mit-
telpunkte eines massenhaften Bedarfs an gewerb-
lichen Erzeugnissen geschaffen, der nur mit den
größten Schwierigkeiten bei vielen vereinzelt da-
stehenden Handwerkern gedeckt werden könnte. Der
Bedarf stellt sodann mit fortschreitender Kultur-
entwicklung vielfach Aufgaben an Kolossalleistun-
gen, z. B. die Großmaschinen, Kriegsschiffe,
Strombrücken usw., die das Handwerk im engeren
Sinne wegen Mangels an den notwendigen tech-
nischen Betriebsmitteln einfach nicht übernehmen
kann. Der Bedarf an gewerblichen Produkten ist
ferner auch gleichartiger und darum massenhafter
geworden. Damit wurde bei dem steten Drucke
des kaufenden Publikums auf die Preise, um sie
Möglichst billig zu gestalten, die gewerbliche Tätig-
keit dahin gedrängt, die kostensparende Arbeits-
teilung und die Maschinen zu benutzen. Dazu