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kommt, daß der Konsument nicht gerne mehr auf
Bestellung arbeiten läßt, sondern gebrauchsfertige
Ware beim Kaufe vor sich haben will. Dem konnte
nur das Magazin entgegenkommen, das wieder
von der Fabrik bezieht, oder wenn die Bestellung
beim Handwerker erfolgt, diesen zum abhängigen
Hausindustriellen macht. Die vollkommenen Ver-
kehrsmittel der Neuzeit, Eisenbahnen, Straßen-
bahnen, die große Bezirke in nächste Verbindung
setzen, haben das Kaufen im Magazin und da-
durch auch das Fabrik= und Verlagssystem sehr
gefördert.
Indes muß nochmals betont werden, daß keine
neue Betriebsform, wie die Geschichte des Ge-
werbewesens gezeigt hat, ältere völlig beseitigen
kann. Nach Auflösung der mittelalterlichen Zunft-
schranken haben zwar Verlag und Fabrik, und
zwar insbesondere letztere, die bis dahin großen-
teils auf die Herstellung neu aufgekommener Be-
darfsartikel angewiesen war, tief in das Produk-
tionsgebiet des Handwerks im engeren Sinne ein-
gegriffen und demselben einzelne Zweige völlig,
andere zum mehr oder minder großen Teil ent-
zogen. Aber auch dem Handwerk, namentlich auf
dem Lande, bleibt, wie mehrfach neuere Unter-
suchungen festgestellt haben, ein großes Gebiet
gewerblicher Tätigkeit erhalten. Wie sich dieser
Konkurrenzkampf zwischen den ein-
zelnen Betriebssystemen gestaltet, welche
Vorzüge oder Nachteile das eine oder andere für
die gewerbliche Produktion als solche bzw. für die
in ihr tätigen Personen besitzt, das im einzelnen
auszuführen, fällt außerhalb des Rahmens dieser
kurzen gewerbegeschichtlichen Darstellung. Zu er-
wähnen ist nur noch, daß heute sowohl mancherlei
Verschiebungen zwischen den einzelnen Systemen
sich vollziehen, wodurch ihre Unterschiede teilweise
verwischt werden, als auch gewisse Grenzverschie-
bungen zwischen Gewerbe und Urproduktion einer-
seits, Gewerbe und Handel anderseits. Ein Bei-
spiel für letzteres stellt die moderne gewerbliche
Riesenunternehmung dar, die sogar einzelne Ur-
produktionszweige (Waldungen, Bergwerke), aber
auch Verkaufsstellen für den Kleinvertrieb ihrer
Produkte umfaßt, in der letztere also von ihrer
Gewinnung als Rohprodukt an bis in die Hand
der Konsumenten den ganzen Produktionsprozeß
durchlaufen.
III. Gewerbegesetzgebung. 1. In Deutsch-
land. Eine gesetzliche Reglung und Ordnung
der gewerblichen Tätigkeit beginnt erst auf der
dritten Stufe ihrer Entwicklung, beim Hand-
werk im engeren Sinne. Denn solange die Ge-
werbetätigkeit als Haus= und Lohnwerk vor-
wiegend in enger Verbindung mit der einzelnen
geschlossenen Hauswirtschaft bleibt, wie es sowohl
im griechisch-römischen Altertum als auch in den
ersten Jahrhunderten des Mittelalters der Fall
ist, liegt natürlich zu öffentlicher Reglung kein
Anlaß vor. Eine solche finden wir zuerst, in
mannigfacher Verschiedenheit und beständigem
Gewerbe ufw.
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Wechsel unterworfen, in den Handwerks= und
Zunftordnungen des späteren Mittelalters.
Der zünftige Gewerbebetrieb erfolgte nach be-
stimmten Regeln und Satzungen unter selbst-
gewählten Vorständen. Die Zunftgenossen mußten
vor ihrer Aufnahme eine Zeitlang als Lehrling
und Geselle gearbeitet und ein Meisterstück an-
gefertigt haben. Zuweilen traten noch obrigkeit-
liche Prüfungen hinzu. Bei geschlossenen Zünften,
die wie die Radizierungen und Aufnahmetaxen
besonders dem Polizeistaate angehören, hatte der
Aufzunehmende die Erledigung einer Meisterstelle
abzuwarten. Oft war auch der Gewerbebetrieb
noch an Grund und Boden oder durch Zwangs-
und Bannrechte gebunden usw. (vgl. im übrigen
d. Art. Handwerk, Innungen). Nach dem Verfall
des deutschen Zunftwesens, welchem auch verschie-
dene Reformversuche im Laufe des 18. Jahrh., so
die Reichszunftordnung von 1731, die an Stelle
der Selbstregierung die skaatspolizeiliche Regle-
mentierung setzte, nicht abzuhelfen vermochten, er-
folgten erst seit Beginn des 19. Jahrh. gesetzliche
Neuordnungen der gewerblichen Tätigkeit, welche
von durchgreifender Wirkung waren.
Am Schlusse des 18. Jahrh. brach sich nämlich
zuerst in Frankreich mit den neuen staatsrecht-
lichen, sozialen und wirtschaftlichen Ideen der
Grundsatz der unbeschränkten Gewerbefreiheit
Bahn. Durch Beschluß der französischen Natio-
nalversammlung vom 17. März 1791 wurde das
Zunftwesen beseitigt. Von Frankreich aus fand
die Gewerbefreiheit dann in den unter französische
Herrschaft gelangten Teilen des ehemaligen deut-
schen Reiches Eingang, namentlich auch auf dem
linken Rheinufer und in Westfalen. In Preußen
wurde mit einer Reform des Städtewesens begon-
nen, welcher bald eine Reform des Gewerbewesens
folgte. Die neue Städteordnung vom 19. Nov.
1808 stellte den Satz an die Spitze: „Der beson-
ders in neuerer Zeit sichtbar gewordene Mangel
an angemessenen Bestimmungen in Absicht des
städtischen Gemeinwesens und der Vertretung der
Stadtgemeinden, das bis jetzt nach Klassen und
Zünften sich teilende Interesse der Bürger und
das dringend sich äußernde Bedürfnis einer wirk-
sameren Teilnahme der Bürgerschaft an der Ver-
waltung des Gemeinwesens überzeugen uns von
der Notwendigkeit, den Städten eine selbständigere
und bessere Verfassung zu geben, in den Bürger-
gemeinden einen festen Vereinigungspunkt gesetz-
lich zu bilden, ihnen eine tätige Einwirkung auf
die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und
durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und
zu erhalten."“
Für die Umgestaltung der gewerblichen Ver-
hältnisse war maßgebend die Geschäftsinstruktion
vom 26. Dez. 1808 für die Regierungen sämtlicher
preußischen Provinzen. In dieser Instruktion
wurden die Grundsätze der Gewerbefreiheit ein-
gehend entwickelt. Im § 34 heißt es: „Bei allen
Ansichten, Operationen und Vorschlägen der Re-