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zuzulassen ist und kein Deutscher in der Ausübung
dieser Befugnis durch die Obrigkeit eines andern
Bundesstaates beschränkt werden darf. Weiter
verordnet Art. 4 der Verfassung des Deutschen
Reiches u. a., daß der Beaufsichtigung seitens des
Reiches und der Gesetzgebung desselben die Bestim-
mungen über den Gewerbebetrieb, einschließlich
des Versicherungswesens, unterliegen, soweit diese
Gegenstände nicht schon durch den Artikel 3 der
Verfassung erledigt sind.
Diese Vorschriften sind der Verfassung des Nord-
deutschen Bundes entnommen. Am 7. April 1868
wurde zuerst dem Reichstag des Norddeutschen
Bundes der Entwurf einer auf der Grundlage
der Gewerbefreiheit beruhenden Gewerbeordnung
vorgelegt, welche jedoch nicht zur Durchberatung
gelangte. Vielmehr nahm der Reichstag den aus
seiner Mitte hervorgegangenen Entwurf eines Ge-
setzes an, durch welches vorläufig einige hervor-
ragende Grundsätze der Gewerbefreiheit in das
Bundesrecht gelangen sollten (Gesetz betreffend den
Betrieb der stehenden Gewerbe vom 8. Juli 1868).
Dasselbe verlor seine Anwendung durch die Ge-
werbeordnung für den Norddeutschen Bund, welche
am 21. Juni 1869 veröffentlicht wurde und (bis
auf die am 1. Jan. 1870 in Geltung gelangten
Bestimmungen des dritten Titels) schon am 1.Okt.
desselben Jahres in Kraft trat. Am 1. Jan. 1871,
nach Gründung des Deutschen Bundes, wurde
diese Gewerbeordnung auf die südlichen Provinzen
Hessens ausgedehnt. Sodann wurde dieselbe durch
die Verfassung des Deutschen Reiches (Gesetz vom
26. April 1871) zum Reichsgesetz erklärt, in ihrem
Geltungsbereich indes hierdurch nicht erweitert.
Letzteres geschah erst aus Veranlassung der betreffen-
den Bundesstaaten durch besondere Reichsgesetze,
infolge deren die Reichsgewerbeordnung am 1. Jan.
1872 (mit unwesentlichen Anderungen) in Würt-
temberg und Baden, am 1. Juni 1872 bzw. 1. Jan.
1873 (unter einer die bayrischen Verhältnisse be-
rücksichtigenden Abänderung einzelner Bestim-
mungen) in Bayern in Wirksamkeit trat. Für
Elsaß-Lothringen ist die Gewerbeordnung stück-
weise in Geltung getreten. Abgesehen vom Preß-
gewerbe und vom Dampfkesselbetrieb, in gewisser
Beziehung auch vom Theater= und Wirtschafts-
gewerbe, wurde dieselbe sodann, soweit es bezüglich
einzelner Teile noch nicht geschehen war, in ihrer
durch die inzwischen erfolgten Abänderungen er-
langten Fassung am 1. Jan. 1889 als Reichsgesetz
für Elsaß-Lothringen eingeführt. Von diesem Da-
tum ab ist die Gewerbeordnung Gesetz für den
gesamten Umfang des Deutschen Reiches.
Die ursprüngliche Fassung der Gewerbeordnung
hat zahlreiche Abänderungen erfahren. Seit dem
Jahre 1877 hatten sich im Reiche wie im Reichs-
tage Bestrebungen auf eingreifende und grund-
sätzliche Umgestaltung der Gewerbeordnung geltend
gemacht, welche im Hinblick auf mancherlei unter
der Herrschaft der schrankenlosen Gewerbefreiheit
für das Publikum und insbesondere für einzelne
Gewerbe ufw.
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Erwerbsstände hervorgetretene Mißstände sowie
auf die infolge der Entwicklung der Großindustrie
notwendig gewordene vermehrte Fürsorge für die
industriellen Arbeiter strengere Ordnung einzelner
Zweige des Gewerbebetriebs, Stärkung des In-
nungswesens und Neureglung des Arbeiterrechts
namentlich durch Verstärkung des Schutzes für
weibliche und jugendliche Arbeiter in den Groß-
betrieben immer dringlicher verlangten. Diesem
Verlangen wurde wenigstens zum großen Teil
durch die Novellen zur Gewerbeordnung nach und
nach Rechnung getragen. Abgesehen von kleineren
Ergänzungen erfolgten umfassendere Revisionen
durch die Gesetze vom 8. April 1875, 17. Juli
1878, 18. Juli 1881 (Innungsgesetz), 1. Juli
1883, 8. Dez. 1884, 23. April 1886, 6. Juli
1887, 1. Juni 1891 (Arbeiterschutzgesetz), 6. Aug.
1896, 26. Juli 1897 (Handwerkerschutzgesetz),
30. Juni 1900, 7. Jan. 1907 (betreffend den Be-
trieb des Gewerbes als Bauunternehmer), 30. Mai
190 8 (kleiner Befähigungsnachweis) und 28. Dez.
190 8 (Arbeiterschutz). Eine umfassende Umgestal-
tung der Arbeiterschutzgesetzgebung steht für das
Jahr 1909 bevor. Manche Abänderungen bzw.
Ergänzungen der Gewerbeordnung sind auch
durch andere Reichsgesetze verursacht worden, na-
mentlich durch das Gesetz betreffend die Kranken-
versicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883
(Beseitigung älterer Bestimmungen über das Hilfs-
kassenwesen), betreffend die Gewerbegerichte vom
29. Juli 1890 (Aufhebung der Bestimmungen
über die gewerblichen Schiedsgerichte), sowie durch
das B. G. B.
Die Reichsgewerbeordnung stellt im Tit. J
(§§ 1/13) den Satz an die Spitze, daß der Be-
trieb eines Gewerbes jedermann gestattet ist, soweit
nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen oder Be-
schränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind.
Die Hauptfolgerungen, welche die Gewerbeordnung
aus dem Prinzip der Gewerbefreiheit gezogen hat,
sind die folgenden: Die Unterscheidung zwischen
Stadt und Land in Bezug auf den Gewerbebetrieb
und die Ausdehnung desselben hört auf. Der
gleichzeitige Betrieb verschiedener Gewerbe sowie
desselben Gewerbes in mehreren Betriebs= oder
Verkaufsstätten ist gestattet. Eine Beschränkung
der Handwerker auf den Verkauf der selbstver-
sertigten Waren findet nicht statt. Den Zünften
und kaufmännischen Korporationen steht ein Recht,
andere von dem Betriebe eines Gewerbes auszu-
schließen, nicht zu. Das Geschlecht begründet in
Beziehung auf die Befugnis zum selbständigen
Betriebe eines Gewerbes keinen Unterschied, eine
Bestimmung, welche hinsichtlich der aus dem selb-
ständigen Gewerbebetrieb einer Ehefrau sich er-
gebenden Rechtsverhältnisse durch Art. 36 des
Einf. Ges. zum B.G. B. ergänzt wird. In der
Zulassung zum Gewerbebetrieb bleiben nur juri-
stische Personen des Auslandes sowie Personen
des Soldaten= und Beamtenstandes nebst deren
Angehörigen beschränkt bzw. näheren Vorschriften