741
stärkeres Vordringen des weiblichen Ele-
mentes im Erwerbsleben und in den verschieden-
sten Berufen zur Folge gehabt.
Die soziale Gliederung der Bevöl.
kerung des Deutschen Reiches stellt sich nach
den Ergebnissen der Berufszählung von 1907 dar,
wie Tabelle III auf Sp. 739/40 zeigt.
In der Landwirtschaft (4A) ist eine kleine
Abnahme der Selbständigen und eine geringe Zu-
nahme der Angestellten festzustellen. Die Zahl der
Arbeiter hat sich stark vermehrt, jedoch ausschließ-
lich infolge einer ganz erheblichen Zunahme der
weiblichen Arbeitskräfte, die in der Hauptsache auf
eine Anderung des Zählverfahrens zurückzuführen
sein dürfte; viele Angehörige find nämlich bei der
letzten Erhebung als Mägde gezählt worden. Dem-
entsprechend ergeben die Relativzahlen eine Zu-
nahme der Arbeiter auf Kosten der Selbständigen.
— In Industrie, Bergbau und Bauge-
werbe (B) zeigt sich ebenfalls eine kleine Vermin-
derung der Selbständigen. Die Angestellten sind
dagegen ganz außerordentlich (um mehr als die
Hälfte) gewachsen; die Zahl der weiblichen ist von
9000 auf 64.000 gestiegen. Die Arbeiterschaft hat
um 44,2% zugenommen, und zwar auch hier auf
Kosten der Selbständigen. In Handel und Ver-
kehr (C) ist allein eine kleine Steigerung der
Selbständigenziffer zu verzeichnen. Die Angestellten
sind hier um 76,1 % gewachsen. Von den Arbeitern
haben namentlich die weiblichen eine sehr beträcht-
liche Zunahme (60,5% ) aufzuweisen. Die Relativ-
zahlen zeigen auch hier ein starkes Anwachsen der
Arbeiter und Angestellten auf Kosten der Selb-
ständigen.
Von andern Ländern, welche in der letzten Zeit
berufsstatistische Nachweise erhoben haben, sind noch
hervorzuheben: Osterreich-Ungarn, die Schweiz,
Belgien und Frankreich. In all diesen Ländern —
mit Ausnahme Belgiens, wo die letzte Berufs-
erhebung im Anschluß an die Betriebszählung
stattfand — wurden die Berufserhebungen in Ver-
bindung mit den jeweiligen Volkszählungen durch
die Stellung von entsprechenden Zusatzfragen vor-
genommen; die Aufnahmen erfolgten jedoch im
allgemeinen in weniger methodischer Weise als im
Deutschen Reich, das auf dem Gebiete der Be-
rufs-, Sozial= und Betriebsstatistik mustergültig
dasteht. Die internationalen Bestrebungen zur
Vereinheitlichung der Berufserhebungen, welche in
den letzten Jahrzehnten auf einer Reihe von stati-
stischen Kongressen insbesondere hinsichtlich der
Aufstellung einer einheitlichen Nomenklatur den
Gegenstand eingehender Verhandlungen bildeten,
haben bisher noch zu keinem positiven Erfolg ge-
führt, so daß vorderhand nur die in Deutschland
und Osterreich bewährten und wissenschaftlich ein-
wandfreien Grundsätze der Berufserhebungen den
übrigen Staaten zur Nachahmung auf das nach-
drücklichste empfohlen werden können.
Literatur. Art. „Beruf u. Berufsstatistik" so-
wie Art. „Gewerbestatistik“ im Wörterbuch der
Volkswirtschaft (21906) u. im Handwörterbuch der
Staatswissenschaften IV (21908/10).— Die Ergeb-
nisse der deutschen G. vom Jahre 1875 im 34.,
35. u. 48. Bd der Statistik des Deutschen Reiches,
Gewerbevereine — Gewerk= und Arbeitervereine.
742
der B.= u. G. von 1882 ebd., neue Folge, Bd 2/7,
u. endlich der Zählung von 1895 ebd., neue Folge,
Bd 111/119. Die Zählungsergebnisse für die ein-
zelnen Staaten sind in deren statist. Quellenwerken
u. Zeitschriften veröffentlicht. — Kollmann, Die
gewerbl. Entwicklung des Deutschen Reiches nach
der Zählung von 1895, in Schmollers Jahrbuch,
24. Jahrg. (1900); Rauchberg, Die B.= u. G. im
Deutschen Reich von 1895 (1901); H. Schöbel,
Dresdener B.= u. G. u. die Aufgaben der B.= u. G.
(Mitteilungen des Statist. Amts der Stadt Dres-
den, 10. Hft, 1901). — Verschiedene Darstellungen
u. kritische Besprechungen der deutschen Berufs-
zählungen von 1882 u. 1895 finden sich in fast
sämtlichen nationalökon. Zeitschriften, insbes. in
G. v. Mayrs Allg. Statist. Archiv. — Über die
österr. B.= u. G.en sind mehrere Abhandlungen von
v. Inama u. Rauchberg in der Statist. Monats-
schrift erschienen (vgl. namentlich Jahrg. 1903 bis
1905). — Vorläufige Ergebnisse der eidgenöss.
Betriebszählung vom 9. Aug. 1905: Schweiz. Sta-
tistik, 147. Lieferung. — E. Waxweiler, Die bel-
gische Industrie= u. Gewerbezählung von 1896,
in G. v. Mayrs Allg. Statist. Archiv VI. — Re-
censement général des Industries et des Métiers.
(31. Okt. 1876) (18 Bde, 1900/03); H. Rauchberg,
Die Berufzs= u. Betriebszählungen des Jahres 1896
in Frankreich u. Belgien, in Statist. Monatsschrift
1899 u. in G. v. Mayrs Allg. Statist. Archiv V;
Résultats statistiques du recensement des in-
dustries et professions (en France) en 1896
(4 Bde, 1899/1901). LEhrler.]
Gewerbevereine s. Innungen.
Gewerk-und Arbeitervereine. A. Ge-
werkvereine. I. Begriff, Recht und Organi-
sation der Gewerkvereine. Die Gewerkvereine
sind freie Verbände von Lohnarbeitern desselben
oder verwandter Gewerbe zu dem Zwecke, durch ge-
schlossenes Vorgehen ihren Mitgliedern die mög-
lichst günstige Verwertung ihrer Arbeitskraft im
freien Arbeitsvertrage zu sichern. Über diese für
den Lohnarbeiter wichtigste und dem Gewerkvereine
wesentliche Aufgabe hinaus haben die Gewerk-
vereine naturgemäß je nach dem Maße ihrer Aus-
breitung, ihrer Mittel und der sozialen Schulung
ihrer Mitglieder ihre Aufgaben ausgedehnt auf
den Schutz und die Förderung anderer verwandter
Standesinteressen der Arbeiter. Diesem Zwecke
dienen Unterstützungskassen behufs Kranken-, Un-
fall= und Invalidenversicherung; die Arbeitslosen-
unterstützung durch Arbeitsnachweis, Reisegeld,
Wartegeld, welche zwar zu den wesentlichen Funk-
tionen der Gewerkvereine zu rechnen ist, gleich-
wohl meistens erst im Laufe der Zeit bei größerer
Opferwilligkeit der Mitglieder durchgeführt wer-
den kann; Mäßigkeits= und Bildungsbestrebungen.
Da alle diese Mittel der Selbsthilfe aber der Er-
gänzung durch den gesetzlichen Arbeiterschutz nicht
entbehren können, erwuchs den Gewerkvereinen
auch die Aufgabe, auf die staatliche Gesetzgebung
fördernd einzuwirken durch Gutachten, Anträge,
Verhandlungen mit den Regierungen und Parla-
mentariern, nicht zuletzt auch durch Verpflichtung
der Wahlkandidaten der auf die Arbeiterstimmen
247