Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Gesamtheit. Erbe kann nur werden, wer zur Zeit 
des Erbfalls lebt oder erzeugt war; das gilt für 
die gesetzliche und die gewillkürte Erbfolge, auch 
für Vermächtnisse. Die gesetzliche Erbfolge tritt 
ein, wenn und soweit ein Erbe durch Testament 
oder Erbvertrag nicht berufen ist. Die Berufung 
der Verwandten zur Erbfolge beruht auf dem 
Parentelensystem; Angehörige einer späteren Ord- 
nung sind erst berufen, wenn Verwandte aus der 
früheren nicht vorhanden sind. Die erste Ordnung 
bilden die Abkömmlinge des Erblassers und die 
an die Stelle eines zur Zeit des Erbfalls nicht 
mehr lebenden Abkömmlings getretenen durch ihn 
mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge (Erb- 
folge nach Stämmen). Kinder erben zu gleichen 
Teilen, neben ihnen erbt der überlebende Ehegatte 
ein Viertel der Erbschaft. Sind Abkömmlinge nicht 
vorhanden, so bilden die zweite Ordnung die Eltern 
des Erblassers und deren Abkömmlinge, und zwar 
wenn beide Eltern beim Erbfalle leben, sie allein 
und zu gleichen Teilen; wenn ein Elternteil nicht 
mehr lebt, an seiner Stelle seine Abkömmlinge 
nach den für die Beerbung in der ersten Ordnung 
geltenden Vorschriften, und wenn von ihm Abkömm- 
linge nicht vorhanden sind, der überlebende Teil 
allein. Neben Verwandten der zweiten Ordnung 
ist der überlebende Ehegatte zur Hälfte der Erb- 
schaft als gesetzlicher Erbe berufen. Gesetzliche 
Erben der dritten Ordnung sind die Großeltern 
des Erblassers und deren Abkömmlinge. Leben 
alle vier Großeltern, so erhält jeder ein Viertel. 
Für einen nicht mehr lebenden Großelternteil 
treten seine Abkömmlinge ein, sind solche nicht vor- 
handen, der andere Teil desselben Großelternpaars 
oder dessen Abkömmlinge, d. h. seine einseitigen. 
Lebt ein Großelternpaar nicht mehr und sind auch 
Abkömmlinge desselben nicht vorhanden, so erbt 
das andere Großelternpaar allein je zur Hälfte der 
Erbschaft. Leben nicht beide Glieder dieses Paares, 
so treten die Abkömmlinge des Verstorbenen ein. 
Sind alle Großeltern gestorben, so erben die Ab- 
kömmlinge aller Großelternteile. Neben Groß- 
eltern erbt der überlebende Ehegatte die Hälfte, 
und wenn mit Großeltern Abkömmlinge von Groß- 
eltern zusammentreffen, zu seiner Hälfte von der 
andern Hälfte den Anteil, der den Abkömmlingen 
zufallen würde, die mithin durch ihn von der Erb- 
schaft ausgeschlossen werden. Ihnen und allen 
ferneren Verwandten geht der Ehegatte vor. Wer 
in einer der drei genannten Ordnungen verschie- 
denen Stämmen angehört, erhält den in jedem 
dieser Stämme ihm zufallenden Erbteil. Die vierte 
Ordnung bilden die Urgroßeltern des Erblassers 
und deren Abkömmlinge. Gesetzliche Erben der 
fünften Ordnung und der ferneren Ordnungen 
sind die entfernteren Voreltern des Erblassers und 
deren Abkömmlinge. In Ermanglung von Ver- 
wandten und Ehegatten ist als Erbe berufen der 
Fiskus des Bundesstaats, dem der Erblasser zur 
Zeitdes Todesangehörthat, und wennein Deutscher 
keinem Bundesstaat angehörte, der Reichsfiskus. 
Erbrecht. 
  
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In der verschiedenen Stadien der Bearbeitung des 
B. G. B. war Gegenstand des Streites die Frage, 
ob die unbegrenzte Ausdehnung der Verwandten- 
erbfolge berechtigt sei. Der Bundesrat wollte ein 
gesetzliches Erbrecht nur noch den Urgroßeltern und 
nicht mehr deren Abkömmlingen gewähren, der 
Reichstag hat das Erbrecht ihrer Abkömmlinge 
und der entfernteren Verwandten in Überein- 
stimmung mit dem gemeinen Recht beibehalten. 
Eine Beschränkung der gewillkürten Erbfolge 
stand nicht in Frage. Der Erblasser kann durch 
einseitige Verfügung von Todes wegen oder 
durch Vertrag frei die Person bestimmen, die 
er zu seinem Erben beruft. Will er aber seinen 
Erben wählen unter gänzlichem oder teilweisem 
Ausschluß seiner Abkömmlinge oder seiner Eltern 
und seines Ehegatten von ihrer gesetzlichen Erb- 
folge, so haben diese Anspruch auf einen Pflicht- 
teil, der in dem halben Werte ihres gesetzlichen 
Erbteils besteht. 
Ein Testament kann der Erblasser nur persönlich 
errichten, und zwar vor einem Richter oder einem 
Notar oder durch eine von ihm unter Angabe des 
Ortes und Tages eigenhändig geschriebene und 
unterschriebene Erklärung. Die Testierfreiheit des 
Erblassers beruht auf seinem Verfügungsrecht über 
sein Eigentum. Seine Verpflichtung für den Unter- 
halt seiner Hinterbliebenen und dafür zu sorgen, 
daß dieselben nicht nach seinem Tode der Armen- 
pflege anheimfallen, rechtfertigt ihre Beschränkung 
durch das Pflichtteilsrecht. Der Angriff gegen die 
Gestaltung des Pflichtteilsrechts stützt sich darauf, 
daß infolge desselben der Erblasser in seiner Te- 
stierfreiheit auch dann eingeschränkt sei, wenn die 
Hinterbliebenen nicht unterhaltsbedürftig seien. 
Das B.G.B. hat auch diesen Angriff unbeachtet 
gelassen und den Anspruch auf den Pflichtteil un- 
abhängig von dem wirklichen Bedürfnis allen ge- 
geben, welche zur Unterhaltsgewährung gegenseitig 
verpflichtet sind. 
Eine Scheidung unter den Nachlaßbestandteilen 
hat das B.G.B. abgelehnt, so daß Grundstücke 
und bewegliche Gegenstände in ihrer Eigenschaft 
als Vermögenswerte vererbt werden. 
Der Erbschaftserwerb erfolgt kraft Gesetzes un- 
beschadet des Rechts des Erben, die Erbschaft 
binnen sechs Wochen auszuschlagen (Anfall der 
Erbschaft). Das Recht zur Ausschlagung entfällt, 
wenn der Erbe die Erbschaft angenommen hat 
oder wenn die Ausschlagungsfrist verstrichen ist; 
denn mit dem Ablauf der Frist gilt die Erbschaft 
als angenommen. Die Annahme kann in jeder 
Form, die Ausschlagung nur durch in öffentlich 
beglaubigter Form gegenüber dem Nachlaßgericht 
abgegebene Erklärung erfolgen. Annahme= wie 
Ausschlagungserklärung sind unwiderruflich, kön- 
nen jedoch bei Vorliegen der gesetzlichen Voraus- 
setzungen binnen sechs Wochen angefochten werden. 
Dann gilt die Anfechtung der Annahme als Aus- 
schlagung, die Anfechtung der Ausschlagung als 
Annahme. Bis zur Annahme der Erbschaft hat
	        
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