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Arbeit seitens der Leiter der Produktion in die
Wagschale werfen kann. Ziel der Organisation
muß also sein Sammlung möglichst aller Arbeiter
eines Gewerbes in einem Zentralverbande, der
den ganzen einschlägigen Arbeitsmarkt beherrschen
kann; die Lokalorganisation, die oft in den ersten
Stadien der Entwicklung nicht zu umgehen ist,
kann nicht als vollkommene und leistungsfähige
Organisationsform angesehen werden. Der Zen-
tralverband setzt sich aus Zweig= oder Ortsvereinen
zusammen, die füglich auch in Bezirks= oder Gau-
verbänden zusammengeschlossen werden. Neben
diesen bilden sich auch örtliche Gewerkschafts-
kartelle aus den Ortsvereinen der verschiedenen
Zentralverbände zur Beratung und Unterstützung
in gemeinsamen örtlichen Angelegenheiten. Die
Mitglieder des Gewerkvereins nehmen teil an der
Verwaltung durch die Wahl der Vorsitzenden und
Vorstände der Zweigvereine, aus deren Reihen die
Delegiertenkonferenzen hervorgehen, welche den
Gesamtvorstand oder Exekutivausschuß wählen.
Möglichste Zentralisation der Verwaltung durch
den Verbandsvorsitzenden, Verbandsausschuß und
Verbandssekretär (Generalsekretär), die aber der
Kontrolle der Generalversammlung der Delegierten
unterstehen, ist durch die Notwendigkeit schlag-
fertigen Vorgehens des Gewerkvereins geboten.
Dagegen werden durch die jährliche Aussprache
auf den Delegiertenkonferenzen Direktiven für den
Verbandsvorstand festgelegt. Die Mitglieder zah-
len Eintrittsgelder und regelmäßige Mitglieder-
beiträge, außerdem in Fällen, wo erhöhte Anfor-
derungen an die Unterstützungsleistungen des Ge-
werkvereins gestellt werden, Extrabeiträge. In
den bestorganisierten englischen Gewerkvereinen
wird von dem aufzunehmenden Mitgliede der
Nachweis verlangt, daß es fähig ist, den vom
Gewerkverein verlangten Lohn zu verdienen, hie
und da auch, daß es die angemessene Lehrzeit be-
standen hat. Kein Mitglied darf, wenn es die
Unterstützung durch den Gewerkverein beansprucht,
auf eigene Faust Forderungen an einen Arbeit-
geber stellen; das einzelne Mitglied oder eine
Gruppe von solchen hat vorher die Billigung
seines Vorgehens durch den Verbandsvorstand ein-
zuholen bzw. durch diesen oder dessen Bevollmäch-
tigten die Forderung stellen zu lassen. Geschieht
dies ohne Erfolg, und kommt es auch nicht zu
einem Vergleiche, so hat das Mitglied die Arbeit
niederzulegen. Wenn möglich wird ihm an anderer
Stelle eine passende Arbeit nachgewiesen, nötigen-
falls das Reisegeld bewilligt und für die Zeit der
Arbeitslosigkeit eine Unterstützung, ein Wartegeld
vom Verbande gezahlt. Ebenso geschieht es beim
Streik, der von der Verbandsleitung gebilligt ist.
Handelt es sich um einen großen Streitpunkt, so
kann Arbeitsniederlegung auch der nicht in den
Streitfall verwickelten Mitglieder eines Bezirkes
oder des ganzen Gewerbes, selbstverständlich unter
Einhaltung der Kündigungsfrist, entweder durch
geheime Abstimmung der Mitglieder beschlossen
Gewerk= und Arbeitervereine.
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oder ohne weiteres von der Verbandsleitung an-
geordnet werden. Nach Möglichkeit wird aber er-
strebt, eine friedliche Vereinbarung zu erreichen
und dadurch einen Streik zu verhüten oder einen
ausgebrochenen Streik baldigst beizulegen. Dabei
wird die Vermittlung der Behörden, einfluß-
reicher Personen, der öffentlichen Meinung, die in
der Presse und in Versammlungen angerufen wird,
zu erreichen gesucht. Eine Vereinbarung kann her-
beigeführt werden in privaten Verhandlungen der
Vertreter des Gewerkvereins mit den Arbeitgebern,
oder wenn dies vergeblich war, durch Verhand-
lungen vor einem Einigungsamte oder Schieds-
gerichte, möglichst gebildet aus Vertretern der
Arbeiter= und der Arbeitgeberorganisati Ist
keines vorhanden, so wird die Bildung eines solchen
zu diesem Zwecke erstrebt, in Deutschland z. B.
durch Anrufung des Gewerbegerichts als Eini-
gungsamt. Die Erfahrungen der Arbeitskämpfe
haben bei den Arbeiterorganisationen, aber auch
bei manchen Arbeitgebern das Bestreben gezeitigt,
solche Einigungsämter zu einer ständigen Ein-
richtung zu gestalten und ihnen alle Streitigkeiten
vorzulegen, besonders aber die Abschließung von
Vereinbarungen über die Arbeitsbedingungen des
Gewerbes in Tarifverträgen herbeizuführen, deren
Einhaltung unter Kündigungsfristen die beider-
seitigen Organisationen auf Treu und Glauben
garantieren. In der Bindung der beiderseitigen
Organisationen an die Entscheidung eines stän-
digen Einigungsamtes, vor allem in der Er-
strebung von Tarifverträgen muß die Ideallösung
des gewerkschaftlichen Problems erblickt werden;
in beiden Einrichtungen ist auch die beste Gewähr
geboten gegen den Mißbrauch des Machtmittels,
das die Gewerkvereinsorganisation darbietet, und
zugleich deren Entfaltung als Friedensorganisa-
tion nach Möglichkeit sichergestellt.
II. Die Gewerkvereine in England. Hier
stand die Wiege der Gewerkvereinsbewegung. Ihre
Vorläufer sind die Gesellenladen, die sich in Eng-
land, ähnlich wie in Deutschland, in der letzten
Hälfte des Mittelalters bildeten, als infolge
Schließung der Zahl der Zunftmitglieder die Ge-
sellen sich mehrten, welche lebenslänglich Lohn-
arbeiter blieben. Die Gesellenladen wurden bald
gesetzlich verboten, dann den Zünften eingegliedert
und untergeordnet, in welchen Lohn, Arbeits-
zeit usw. behördlich geregelt war. Durch das
Lehrlingsgesetz unter Königin Elisabeth 1562
wurden auch die inzwischen entstandenen nicht
zünftig geordneten hausindustriellen Betriebe ge-
regelt, insbesondere bezüglich des Verhältnisses
von Gesellen= und Lehrlingszahl, der Lehrzeit,
Kündigungsfristen u. a. Der Lohn sollte jährlich
von den Friedensrichtern und Stadtmagistraten
als Maximallohn festgesetzt werden, dessen Über-
schreitung bei Arbeitgebern und Arbeitern mit Ge-
fängnisstrafe geahndet wurde. Unter dem Drucke
der ausländischen Konkurrenz suchten sich die Ar-
beitgeber diesen Bestimmungen zu entziehen; die