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entstanden 1865 der Tabakarbeiterverband und
1866 der Buchdruckerverband. Die 1868 durch
die Partei der Lassalleaner unter v. Schweitzer ge-
gründeten Gewerkschaften gingen bald so gewaltig
zurück, daß man sie in einen „Allgemeinen Arbeiter-
unterstützungsverband“ umwandelte, der in kurzer
Zeit von 35 000 Mitgliedern auf 4200 sank.
Mehr Glück hatte der Marxistische Flügel der
Sozialdemokratie unter Liebknecht-Bebel. Sie
gründeten viele lokale und zentralisierte Vereini-
gungen und zählten, nachdem die Schweitzerschen
Organisationen in den internationalen Gewerks-
genossenschaften aufgegangen waren, 1877 30 Ge-
werkschaften mit 49 055 Mitgliedern. Im Jahre
1878 fegte zwar das Sozialistengesetz alles hin-
weg; aber bereits in den 1880er Jahren bildeten
sich, freilich in vorsichtiger Weise, Gewerkschaften,
meist als Lokalvereine. 1890 traten die Zentral-
ausschüsse sämtlicher Gewerkschaften zu einer Zen-
tralkommission, der späteren Generalkommission
der Gewerkschaften Deutschlands, zusammen. —
Der Grund, weshalbdie sozialdemokratische Partei-
leitung jahrelang der selbständigen Gewerkschafts-
bewegung mißtrauisch gegenüberstand, lag in der
Befürchtung, die Arbeiter könnten von der Ge-
werkschaftsbewegung schon heute, auf dem Boden
der bestehenden Ordnung, ernstliche Besserung
ihrer Lage erwarten und der politische Einfluß der
sozialdemokratischen Partei infolgedessen geschwächt
werden. Deshalb warnten ihre Führer vor einer
Überschätzung der Gewerkschaften, so in der schärf-
sten Weise 1893 auf dem Parteitage in Köln
Bebel und Liebknecht. Gleichwohl stieg während
des Aufschwunges der Industrie das Interesse auch
der sozialdemokratischen Arbeiter für die Gewerk-
schaften, zumal gleichzeitig auf politischem Gebiete
die revisionistische Bewegung sich geltend machte,
welche heute schon durch Fortführung der Arbeiter-
schutzgesetze usw. die Lage der Arbeiter zu bessern
sucht. Die alten politischen Führer sahen sich des-
halb gezwungen, eine freundlichere Stellung zu
den Gewerkschaften einzunehmen. Aus taktischen
Gründen befürwortete man die gewerkschaftliche
Neutralität. Aber der bald einsetzende Kampf der
Marxisten gegen die Revisionisten hatte auch eine
erneute Annäherung der freien Gewerkschaften an
die sozialdemokratische Partei zur Folge. Seitdem
heißt die Parole: „Partei und Gewerkschaften
sind eins.“ Diese Einigkeit bekundet sich dadurch,
daß seit dem Parteitag zu Mannheim (1907) die
Generalkommission der freien Gewerkschaften und
der Parteivorstand in enger Beziehung zueinander
stehen und sich über wichtige Fragen verständigen.
Der Mitgliederstand der freien Gewerk-
schaften wuchs unter dem Sozialistengesetz langsam
anz; er betrug schätzungsweise 1887/88: 103 330,
1889: 135 353, 1890: 320 213 Mitglieder. Seit-
dem ist durch die Generalkommission genaue Stati-
stik geführt, die sich fjolgendermaßen darstellt (s. Ta-
belle auf Sp. 752 oben).
Die Generalkommissfion der freien Gewerkschaften
Gewerk= und Arbeitervereine.
752
3ascher Mit- Zu= (O,oder Abnahme (—)
Jahr Jahresdurch- gegenüber dem Vorjahre
schnitt absolut 5%
1891 277659 — —
1892 237 094 — 40565 14,6
1893 223 530 — 13564 = 5,7
1894 246 494 + 22964 = 10,3
1895 259 175 + 12681 = 5,1
1896 329 230 —+— 70 055 = 27,0
1897 412 359 + 83 129 = 25,2
1898 493 742 + 81 383 = 19.7
1899 580 473 —+ 86 731 — 17,6
1900 680 427 + 99954 = 17,2
1901 677510 — 2917 = 0.4
1902 733 206 + 55 696 = 8,2
1903 887 698 + 154 492 = 21, 1
1904 1 052 108 —+ 164 410 — 18,5
1905 1 344 803 —+ 292 695 = 27,8
1906 1 689 709 " — 344 906 = 25,6
1907 1 865 50668 + 175797 = 10.0
verbände. Nach der Höhe der Mitgliederziffern ge-
ordnet, gruppieren sich die einzelnen Verbände in
der nachstehenden Reihenfolge:
Metallarbeiter 355 386, Maurer 192 582, Holz-
arbeiter 149 501, Fabrikarbeiter 134233, Textil-=
arbeiter 121265, Bergarbeiter 110 888, Transport-
arbeiter 87 259, Bauhilfsarbeiter 71268, Zimmerer
54 396, Buchdrucker 52 364, Maler 39 009, Schnei-
der und Wäschearbeiter 40 643, Schuhmacher 37 188,
Brauereiarbeiter 31 612, Tabakarbeiter 30 676,
Hafenarbeiter 25 168, Gemeindearbeiter 24 997,
Buchbinder 21 200, Steinarbeiter 19 176, Schmiede
18797, Maschinisten 17.008, Bäcker und Kondi-
toren 16 264, Glasarbeiter 15 818, Lithographen
15777, Porzellanarbeiter 14725, Buchdruckerei-
hilfsarbeiter 13961, Töpfer 11 914, Steinsetzer
10 403, Tapezierer 8604, Stukkateure 8293, Bött-
cher 7989, Lederarbeiter 7874, Seeleute 7720,
Handlungsgehilfen 7531, Sattler 7011, Hutmacher
6947, Gastwirtsgehilfen 6728, Dachdecker 6403,
Gärtner 4952, Glaser 4762, Mühlenarbeiter 4744,
Bildhauer 4603, Kupferschmiede 4069, Portefeuiller
3955, Handschuhmacher 3846, Schiffszimmerer
3762, Hoteldiener 3152, Fleischer 3035, Zigarren-
sortierer 2802, Barbiere 2229, Kürschner 2193,
Lagerhalter 1846, Bureauangestellte 1305, Zivil-
musiker 1188, Asphalteure 498, Tylographen 489,
Schirmmacher 487, Photographen 467, Formstecher
437, Blumenarbeiter 430, Notenstecher 424.
Die Zahl der weiblichen Mitglieder der Gewerk-
schaften betrug im Jahresdurchschnitt 1907 in
35 Verbänden 136 929.
Die finanziellen Verhältnisse der freien Gewerk-
schaften werden durch folgende Ziffern illustriert.
Es betrugen in Mark:
11891 1905 1 1907
die Gesamteinnahmen 1 116 588 27812257 51390 784
die Gesamtausgaben 1 606 534/25 024 234 13 122 519
der Vermögensbestand 425 845 19 635 850 33242 545
Von der Gesamtausgabe des Jahres 1907 ent-
fielen auf die Ausgaben
für Arbeitskämpfe
für Unterstützungen. 31,7N%
für Verwaltungs= und andere Zwecke 30,3%
Die Beiträge werden meistens pro Woche,
von 5 Verbänden pro Monat bezahlt. Der Wochen-
30,6%
beitrag schwankt zwischen 10 und 140 Pfg (letzterer
Deutschlands umfaßte im Jahre 1907: 63 Zentral= findet sich bei den Notenstechern). Von der Mehr-