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den selbstverständlichen Konsequenzen des sozia-
listischen Staates; im natürlichen Rechte aber ist
sie ganz ebensowenig begründet wie die Forderung
gleichen Besitzes an Sachgütern. Auch aus poli-
tischen Erwägungen kann sie schwerlich befür-
wortet werden. Der Staat hat seine Einrich-
tungen nicht zu treffen unter Bezugnahme auf
eine Gleichheit, welche in Wirklichkeit nicht vor-
handen ist, sondern mit Berücksichtigung der ver-
schiedenartigen Bedürfnisse, wie sie tatsächlich
bestehen. Der Besuch der Dorsschule reicht für
den nicht aus, der sich einem gelehrten Berufe
oder dem höheren Staatsdienste widmen will;
umgekehrt aber würde die Ausbildung, die hierfür
unerläßlich ist, dem Landmanne und Gewerbetrei-
benden nicht nur nichts nützen, sondern ihm den
Geschmack an seiner eigenen Berufstätigkeit rauben.
Aber ist es nicht wenigstens ein nützliches Be-
ginnen, denen, deren Beruf die produktive Arbeit
ist, in ihren freien Stunden Gelegenheit und An-
leitung zum Erwerb einer höheren Bildung zu ver-
schaffen? Man kann dies im allgemeinen bejahen,
ohne doch den Wert eines solchen Beginnens zu
überschätzen, oder gar, wie auch wohl geschehen,
von einer umfassenden Durchführung die Über-
windung der sozialen Gegensätze zu erhoffen. Ge-
wiß ist, daß eine Verkürzung der Arbeitszeit, wie
sie gegenwärtig eine der hauptsächlichsten Forde-
rungen der Industriearbeiter bildet, denselben nur
unter der Voraussetzung zum Segen ausschlagen
wird, daß sie ihren freien Stunden einen wirklich
wertvollen Inhalt zu geben wissen, und daß dies
durch eine gesteigerte Bildung gefördert werde, ist
nicht in Abrede zu stellen. Aber diesem unzweifel-
haften Nutzen stehen doch auch ebenso unzweifel-
hafte Bedenken gegenüber. Tieferes Eindringen
in ein oder das andere Wissensgebiet, selbständige
Handhabung der wissenschaftlichen Methode und
damit die Fähigkeit, zwischen Wahrem und Irri-
gem, begründeten Lehren und Tatsachen und bloßen
Hypothesen zu unterscheiden, wird im besten Falle
nur die Sache einzelner sein; Halbbildung aber,
welche den da oder dort gebotenen Stoff äußerlich
aufnimmt, ohne über den Wert oder Unwert des
Gebotenen urteilen zu können, weckt nur den Hoch-
mut und nährt die Unzufriedenheit. Einen wirk-
lichen Erfolg werden jene Bildungsbestrebungen
nur haben, wenn sie die Gestalt eines systematischen,
dem Berufsleben des Arbeiters angepaßten und
seine besondern Interessen fördernden Unterrichts
annehmen, der nicht redegewandte Agitatoren aus-
zubilden, sondern strebsame Männer in den Stand
zu setzen hat, mit Hilfe der erworbenen Kenntnisse
zu einer verbesserten Lebensstellung zu gelangen.
Was darüber hinausliegt, kann nur dann und
nur insoweit einen Wert beanspruchen, wenn und
inwieweit es der moralischen Bildung, der Ver-
edlung des Charakters und der gesamten Sinnes-
weise dient.
5. Schluß. Ein nivellierendes Beseitigen aller
Unterschiede kann somit nirgendwo das Ziel einer
Staatslexikon. II. 3. Aufl.
Glücks= oder Hazardspiele.
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vernünftigen Staatsleitung sein, ebensowenig wie
es seine Begründung in dem aus der Beschaffen-
heit des Menschenwesens fließenden natürlichen
Rechte finden könnte. Die menschliche Gesellschaft
wird stets aus ungleichartigen Elementen
zusammengesetzt bleiben. Auf dieser Ungleichheit
beruht allein Leben und Veränderung; aus ihr
stammt die Regsamkeit der einzelnen Glieder. Ein
Staat zwangsweise durchgeführter Gleichheit würde
einen Zustand der Stumpfheit und Geistesleere
nach sich ziehen. Es gäbe kein Ziel mehr, das der
einzelne sich setzen könnte.,, daher keine private
Initiative, keinen Trieb zu Fortschritt und Ver-
besserung. Alle Fortschritte im wirtschaftlichen wie
im geistigen Leben der Menschheit werden getragen
von dem freien Wettbewerb der einzelnen Glieder,
welcher in dem Augenblick aufhören müßte, wo#“
der einzelne nichts mehr zu fürchten, aber auch
nichts zu hoffen hätte. Daß in diesem Wett-
bewerbe die Bedingungen ungleich verteilt sind,
daß in ihm nicht alle zum Ziele kommen, viele be-
siegt zurückbleiben, ist nur allzu wahr; aber keine
Staatskunst der Welt vermag bei der tatsächlichen
Einrichtung des Menschengeschlechts dieses übel
zu beseitigen. Auch für die Besiegten aber wäre
nur dann das Los ein verzweiflungsvolles, wenn
die materialistische Lehre im Recht und mit dem
Tode des Leibes alles zu Ende wäre. Es verliert
diesen Charakter, es verliert vieles von seiner
Schwere, wenn die Zuversicht besteht, daß die Ge-
schicke der Menschen göttlicher Leitung unterstehen
und auf das irdische Leben ein anderes folgen
wird, in welchem die volle und endgültige Befrie-
digung des Glückseligkeitsstrebens nicht durch zu-
fällige Umstände, sondern durch eine ausgleichende
Gerechtigkeit bedingt sein wird. Man begreift
aber auch, daß die revolutionäre Partei, welche
die absolute Gleichheit im sozialistischen Zukunfts-
staate zu verwirklichen verheißt, ihrer gesamten
Tendenz nach eine irreligiöse Partei sein muß.
Denn erst wenn der Glaube an Vorsehung und
Jenseits aus den Herzen entfernt wird, wenn
irdischer Besitz und Genuß als das letzte und höchste
Ziel gilt, gelingt es, den Neid und die Begierde
der Besitzlosen so zu steigern, daß sie sich als un-
heilvolle Kräfte der Zerstörung in den Dienst der
Revolution stellen. lv. Hertling.)
Glücks= ober Hazardspiele. Griechi-
schen bzw. orientalischen Ursprungs, war das
Glücksspiel in Rom allmählich in das verderb-
lichste Hazardspiel ausgeartet, das sittlich und
wirtschaftlich in allen Kreisen der Bevölkerung
viele Opfer verschlang; die Gesetzgebung mußte
gegen die verheerende Seuche einschreiten; sie ver-
bot alles Spielen um Geld, mit einziger Aus-
nahme der Spiele, welche körperliche Ubung be-
zweckten, und der Ausspielung von unmittelbar
zum Genuß bestimmten Gegenständen; zugleich
wurden die am verbotenen Spiele Beteiligten
strafrechtlich verfolgt. Nach Justinian gewährt
der Spielgewinn keine Klage; der Verlust kann
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