Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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lichen Beamten, Bürgermeister und aktiven Offi- 
ziere, können Abgeordnete werden, wenn sie das 
30. Lebensjahr überschritten und zweijährigen 
Wohnsitz im Wahlbezirk innehaben. Geistliche be- 
sitzen weder aktives noch passives Wahlrecht (Wahl- 
gesetze vom 17. Sept. 1877 und 31. Dez. 1890). 
Die Abgeordneten erhalten Reisegelder und Diäten 
und wählen ihren Präsidenten selbst; die Kammer 
soll jährlich mindestens drei, höchstens sechs Mo- 
nate tagen. Die Volksvertretung hat auch das 
Recht der Ministeranklage, deren Verhandlung 
und Entscheidung einem besondern Staatsgerichts- 
hofe zugewiesen ist. 
Die oberste Staatsverwaltung liegt in 
den Händen eines verantwortlichen Ministerkon- 
seils, der aus den Ministern des Innern, der aus- 
wärtigen Angelegenheiten, des Kultus und öffent- 
lichen Unterrichts, des Krieges, der Marine, der 
Finanzen und der Justiz besteht. Vom Mini- 
sterium des Innern ressortiert die Direktion der 
öffentlichen Arbeiten, der Posten und Telegraphen 
und das Statistische Bureau, von dem des Kultus 
die Direktion der Altertümer und die Heilige Syn- 
ode, von dem der Justiz der Areopag (Kassations- 
hof); unter das Finanzministerum gehören der 
Rechnungshof und die Landesbank. Für die innere 
Verwaltung zerfällt das Königreich in 26 Nomen, 
diese wieder in 69 Exarchien und diese endlich in 
450 Demen (Gemeinden), die von Nomarchen 
(Präfekten), Exarchen (Unterpräfekten) und Dem- 
archen (Bürgermeistern) geleitet werden. Diesen 
Beamten ist auch die noch recht mangelhafte Poli- 
zeiverwaltung in drei Instanzen übertragen; die 
Hauptstadt und Piräus stehen unter eigenen Poli- 
zeipräfekten. In jeder Nomarchie, jeder Exarchie 
und jedem Demos besteht ein Rat, in welchem die 
Bevölkerung des Bezirkes vertreten ist; die Bei- 
geordneten und Mitglieder der Gemeinderäte wer- 
den in jedem Demos gleich dem Demarchen auf 
4 Jahre gewählt. — Die Rechtspflege wird von 
dem Areopag (Kassationshofe) in Athen, 5 Appel- 
lationsgerichten zu Athen, Nauplia, Patras, Korfu 
und Larissa, 26 Gerichts= und Assisenhöfen erster 
Instanz, den Geschworenengerichten und den 233 
Friedensrichtern (für leichtere Rechtsfälle und Poli- 
zeisachen sowie Schiedsrichtern in Zivilsachen) 
wahrgenommen. Ein Krebsschaden des Landes ist 
die Korruption und übergroße Zahl der Beamten, 
das Parteigetriebe und der Wechsel der Beamten je 
nach den Mehrheitsverhältnissen des Parlaments. 
4. Religion und Unterricht. Staats- 
kirche ist die griechisch-orthodoxe; jedoch ist allen 
Bekenntnissen, auch dem Islam, freie Religions- 
übung eingeräumt. Da die Abhängigkeit der 
Landeskirche vom Patriarchen in Konstantinopel 
dem politischen Interesse zuwiderlief, wurde schon 
1833 ihre Selbständigkeit ausgesprochen, vom 
Patriarchen aber erst am 29. (11.) Juni 1850 
gegen gewisse Ehrenleistungen anerkannt. Die 
oberste kirchliche Behörde ist die „permanente 
Heilige Synode der griechisch-orthodoxen Kirche“ 
Griechenland. 
  
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in Athen, die aus fünf von sämtlichen Bischöfen 
gewählten und vom Könige bestätigten geistlichen 
Würdenträgern (dem Metropolit und Erzbischof 
von Athen als lebenslänglichem Präsident sowie 
4 jährlich wechselnden Bischöfen) und einem könig- 
lichen, nicht stimmberechtigten Kommissar besteht; 
ihre Beschlüsse bedürfen der königlichen Bestäti- 
gung. Die Verwaltung führen 1 Metropolit, 
32 Erzbischöfe und Bischöfe, die sämtlich vom 
Könige ernannt werden. Der niedere Klerus ist 
dürftig besoldet, meist unwissend und ohne be- 
sondern Einfluß auf die gebildeten Stände, dafür 
um so enger mit den niederen Ständen verwachsen. 
Von den zahlreichen (510) Klöstern, die vor 1833 
bestanden, sind seitdem die meisten eingezogen und 
mit ihren Gütern zu Kirchen= und Schulzwecken 
verwendet worden. 1901 zählte man 171 Mönchs- 
und 9 Nonnenklöster mit etwa 2205 Mönchen 
(meist Basilianern) und 191 Nonnen. — Für die 
Katholiken Griechenlands (gegenwärtig nach 
den Missiones Catholicae an 44 400), denen 
erst die Verfassung des neuen Königsreichs wieder 
freie Religionsübung gewährte, gründete Gre- 
gor XVI. am 19. Aug. 1834 eine eigene Aposto- 
lische Delegatur, die er dem Bischof von Syra 
übertrug, und Pius IX. stellte am 13. Juli 1875 
den vom hl. Paulus errichteten Bischofssitz von 
Athen als Erzbistum wieder her; diesem gehören 
seitdem alle Katholiken des Festlandes und der 
nördlichen Sporaden an. Die Jonischen Inseln 
bilden die Kirchenprovinz Korfu mit dem gleich- 
namigen Erzbistum und dem Suffraganbistum 
Kephalenia-Zakynthos; die Kykladen endlich das 
Erzbistum Naxos mit den Bistümern Andros, 
Tinos und Mykone, Santorin, Syra und Milos. 
Für den protestantischen Kultus besteht in 
Athen eine Kapelle. Juden werden nur in be- 
stimmten Orten als Fremde geduldet. Türken 
leben zerstreut in Thessalien; ihre geringe Zahl 
schmilzt durch Auswanderung immer mehr zu- 
sammen (in Thessalien nach 1881 auf ¼0). 
Bei Begründung des Königreichs war das Volk 
noch ohne öffentlichen Unterricht; seit 
1834 wurde der Schulbesuch für Kinder von 5 
bis 12 Jahren obligatorisch. Das Gesetz trat je- 
doch kaum in Kraft und wurde 1895 durch ein 
neues Gesetz über Zwangsunterricht ersetzt; noch 
heute sind etwa 30 % der Rekruten Analphabeten. 
1902 zählte man 3263 von den Gemeinden unter- 
haltene Elementarschulen. Für den höheren 
Unterricht sorgen 311 hellenische (Mittel-) Schulen, 
47 Gymnasien, 1 höhere Zentralschule für Mäd- 
chen und die Landesuniversität Athen (gegründet 
1837) mit 4 Fakultäten; außerdem eine theolo- 
gische Akademie (Rhizarionschule), eine Industrie- 
und Handelsakademie, eine Technische Hochschule, 
eine Kunstschule in Athen und einige von aus- 
ländischen Staaten unterhaltene Schulen und In- 
stitute (American School of classical studies, 
Ecole française d’Athèenes, British School 
at Athens, Kaiserl. deutsches Archäologisches In-
	        
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