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allen übrigen Peers und vor dem Lordkanzler,
dieser folgt unmittelbar hinter dem Lordkanzler
vor den übrigen Hof= und Staatsbeamten und
den Peers. Erworben wird die Peerage kraft
königlicher Prärogative, durch Erbgang und Ab-
stammung. Die einzelnen Linien der adeligen
Häuser werden durch Nebenzeichen unterschieden;
fast jedes Geschlecht führt seine Devise. Nur auf
den ältesten Sohn geht der Adelstitel und der
gesamte Besitz über; die jüngeren Kinder gehören
nicht zur Nobility, führen aber in den beiden vor-
nehmsten Klassen (Duke und Marquis) den Titel
Lord oder Lady, in den übrigen den Titel Honou-
rable. Die Ahnen werden nur nach den Männern
gezählt.
Zur obern Klasse der Commonalty gehören
zuvörderst die Stufen des niedern Adels: die
Baronetage, deren Titel in männlicher Linie erb-
lich ist, die Ritterschaft (KCnightage), die Esquires
und Gentlemen, die ein besonderes Recht zur
Führung von Wappen haben (nobiles minores
oder Gentry). Die Ritterschaft umfaßt die sog.
State Orders (Knight Bannerets 1. und 2.
Klasse, die alten Ritter des Bathordens, die Equi-
tes Aurati und die Knights Bachelor) und die
Ropyal Orders (Hosenbandorden, Orden der Distel,
St Patrikorden, militärischer Bathorden, Orden
des Sterns von Indien, des Indischen Reiches
und der Königin Viktoria); die Ritterwürde ist
nicht erblich. Eine Ernennung zum Esquire findet
nicht mehr statt; der Titel kommt jetzt allgemein
allen der sog. besseren Gesellschaft Angehörigen zu.
Zur Gentry im weiteren Sinn rechnen sich alle
Mitglieder des Unterhauses, Advokaten, höheren
Beamten, Gelehrten, Künstler, Offiziere, Geist-
lichen, die großen Kaufleute und Fabrikanten,
überhaupt alle Gentlemen, d. h. alle Männer von
Bildung und Erziehung, alle Männer „von
re“.
III. Verfassung und Verwaltung. Die
britische Staatsverfassung ist die einer ein-
geschränkten, repräsentativen Monarchie, die auf
einer Reihe von juristisch gleichstehenden Gesetzen
beruht, welche das sog. statutarische Recht bilden.
Als Grundpfeiler dieser „ungeschriebenen“ Ver-
fassung gelten: der Freiheitsbrief (Charta liber-
tatum) König Heinrichs I. vom Jahre 1101; die
Magna Charta (Great Charter) vom 15. Junie
1215; das Londoner Statut von 1297, das dem
Unterhause das Recht der Steuerbewilligung und
die Kontrolle der Staatsfinanzen sicherte; die
Petition of Rights von 1627; die Testakte von
1673; die Habeaskorpusakte von 1679; die Bill!
Großbritannien.
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bills von 1832, 1867/68 und 1885 über Zu-
sammensetzung und Wahl der Mitglieder des
Unterhauses. Die Verfassung gewährleistet in
hohem Grade die persönliche Freiheit des Bürgers,
ausgedehnte Selbstverwaltung, Preßfreiheit, Un-
antastbarkeit des Parlaments und angeblich auch
Gleichheit aller vor dem Gesetz.
Der Thron ist nach dem Act of Settlement
(Statut 12 und 13) des Jahres 1701 erblich
nach der kognatischen Linearerbfolgeordnung im
männlichen und weiblichen Stamme des königlich
braunschweig-lüneburgischen Hauses, d. h. nur die
Söhne des regierenden Monarchen und deren
männliche Nachkommenschaft haben einen Vorzug
vor den Döchtern, diese aber und ihre Deszendenz
schließen die Nachfolge der Seitenlinien aus. Tritt
weibliche Erbfolge ein, so kann dem Gemahl der
Königin Titel und Ehre eines Königs nur durch
ein vom Parlament bestätigtes Dekret seiner Ge-
mahlin verliehen werden. Im Falle nicht vor-
handener Erben würde das Parlament neu über
die Krone verfügen. Der König, welcher bei seinem
Regierungsantritt vom Erzbischof von Canterbury
in der Westminsterabtei gekrönt wird und dabei
eidlich gelobt, nach dem Recht und den Gesetzen
des Landes zu regieren, die Staatskirche, ihre Ver-
fassung, Disziplin und Glaubenslehre und die
Privilegien des Klerus aufrechtzuerhalten, muß
der anglikanischen, seine Gemahlin, die ebenfalls
gekrönt wird, wenigstens der evangelischen Kirche
angehören. Die Zivilliste wird in der ersten Par-
lamentssession nach der Thronbesteigung für die
ganze Dauer der Regierung bestimmt und darf
wohl erhöht, aber nie vermindert werden; 1901
wurde sie auf 470 000 Pf. St. festgesetzt. Weit
höhere Summen werden alljährlich für die Krone
ausgeworfen unter dem Titel Household Salaries
und Tradesmen's Bills, ferner für den Dispo-
sitionssonds. Für die Verwandten des Königs
werden vom Parlament besondere (einmalige und
regelmäßige) Summen bewilligt.
Der König hat (theoretisch) die höchste voll-
ziehende Gewalt, ist Haupt der Staatskirche und
unverantwortlich und unverletzlich; er sorgt für die
Erhaltung des Landfriedens, verfügt über Armee
und Flotte, verwaltet den öffentlichen Schatz, schließt
Staatsverträge ab, empfängt Gesandte auswär-
tiger Staaten und entsendet Gesandte, beruft das
Parlament und löst es auf, erteilt den Adel und
ernennt die Richter, Bischöfe und Minister, auf
welchletztere die Verantwortlichkeit für alle Staats-
akte und Regierungshandlungen fällt. Faktisch ist
seine Gewalt durch Reichsgesetze und das Parla-
and Declaration of Rights vom 22. Jan. 1689; ment oder dessen Mandatare (die Minister) eng
die Acts of Settlement (protestantische Erbfolge-
ordnung) von 1701 und 1705; die Unionsakte
zwischen England und Schottland in 25 Artikeln eigentliche Strafe erlassen und mildern, eine ein-
vom 6. Mai 1707; die Unionsakte zwischen.
Großbritannien und Irland in 8 Artikeln vom!
2. Jan. 1800; die Katholikenemanzipationsakte
vom 29. April 1829 sowie endlich die Reform-
beschränkt; selbst das ihm zustehende Recht der Be-
gnadigung ist insofern bedingt, als er zwar die
mal ausgesprochene Unfähigkeit für öffentliche
Amter aber nicht beseitigen kann. Trotzdem hat
das englische Königtum in dem Nationalbewußt-
sein tiefe Wurzeln und genießt hohe Verehrung.