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wenden), wird vom König bestätigt und bezieht
ein Jahresgehalt von 5000 Pf. St. nebst freier
Wohnung im Unterhaus. Ein Recht, die Ver-
handlungen durch die Presse zu veröffentlichen,
besteht nicht, un ddie Veröffentlichung kann noch
heute jederzeit als Eingriff in die Parlaments-
privilegien geahndet werden; wahrheitsgetreue
Parlamentsberichte sind aber strafrechtlich nicht
verfolgbar. Zu bestimmten Zwecken werden be-
sondere Kommissionen (special committees) ge-
bildet. Handelt es sich aber um die Spezial-
beratung eines Gesetzes, so wird das Haus selbst
als Kommission betrachtet, und man unterscheidet
alsdann die beratende Sitzung (general com-
mittee), die an Stelle des Sprechers der von der
Regierung ernannte Vorsitzende des Finanzaus-
schusses (Chairman of the committee of ways
and means,) leitet, von der beschließenden.
Jedes Parlamentsmitglied hat das Recht, Vor-
schläge, Gesetzesanträge zu machen; jedem Vor-
schlage (Bill) geht eine mündliche Ankündigung
des Inhaltes und Verhandlungstages voraus, die
von einem zweiten Parlamentsmitgliede unter-
stützt sein muß. Die Bills betreffen entweder all-
gemeine Angelegenheiten (public bills) oder Lokal-
und Privatsachen (private bills); letztere werden
durch ein schriftliches Gesuch (petition), das ein
Parlamentsmitglied auf den Tisch des Sprechers
niederlegt, eingeleitet; alle Finanzbills (money
bills) müssen stets im Hause der Gemeinen ein-
gebracht und von den Lords entweder unverändert
angenommen oder verworfen werden. Jede Bill
muß dreimal verlesen werden. Ist eine Bill in
allen drei Lesungen durchgegangen, so kommt sie
vor das Oberhaus, das sie im Fall der Ab-
lehnung einfach beiseitelegt oder auch mit Amende-
ments an das Unterhaus zurücksendet. Wird sie
auch im Oberhaus angenommen, so erhält sie der
König zur Genehmigung, die er entweder im
Oberhause durch den EClerk oder schriftlich (seit
Heinrich VIII.) mit dem großen Staatssiegel er-
teilt. Eine zweimal von der Krone verworfene
Bill würde, zum drittenmal von beiden Häusern
angenommen, auch ohne königliche Genehmigung
Gesetz. Obwohl jedes Mitglied des Parlaments
Gesetzesanträge stellen kann, so besteht infolge der
Praxis der Geschäftsordnung faktisch fast ein Ge-
setzesinitiatipmonopol der Regierung und, da die
Krone den Ministern die Vorlage von ihr nicht
genehmen Bills untersagen kann, eine gewisse Vor-
sanktion der Krone; damit ist auch das Vetorecht
der Krone als antiquiert anzusehen.
Die Disziplin wird im Oberhaus durch das
Haus allein geübt, im Unterhaus zum Teil durch
den Sprecher, zum Teil vom Hause selbst. Diszi-
plinarmittel sind Wortentziehung, Entfernung des
Abgeordneten für den Rest des Tages, Suspension
für den Rest der Session und Ausstoßung aus
dem Hause. Zur Verhinderung von Obstruktion
dienen die „Cloture“ und die „Guillotine“. Das
sog. Cloturegesetz vom 22. März 1887 bestimmt,
Großbritannien.
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daß der Schluß der Debatte jederzeit auf den An-
trag eines Mitgliedes herbeigeführt werden kann,
wenn bei der Abstimmung 100 Stimmen für die
Cloture sind. Bei der Guillotine wird die Be-
ratung über einen Gegenstand zu einer bestimmten,
von vornherein festgesetzten Zeit geschlossen und
den Rednern nur ganz kurze Redezeit gestattet.
Die heftigen Kämpfe des „langen Parlaments“
zeigten seit Dez. 1641 zuerst zwei gegliederte Par-
teien, damals Kavaliere und Rundköpfe, Königs-
und Parlamentspartei genannt. Im Strudel der
Militärrevolution eine Zeitlang überflutet, tauch-
ten sie unter Karl II. 1678 als Tories und
Whigs wieder auf, deren gegenseitiges An-
kämpfen das Staatsleben bis in die neuere Zeit
bedingt hat. Beide Bezeichnungen sind jetzt wenig
mehr gebraucht. An ihre Stelle traten die Be-
zeichnungen Konservative oder constitutional
Party und Liberale, deren schärfere Tonart radi-
kal hieß. In Irland bildete sich seit 1870 eine
eigene irische Partei, die Nationalisten. Als Glad-
stone 1886 seine erste Homerulevorlage für Ir-
land einbrachte, erfolgte eine Sezession von 77 Li-
beralen, die mit den Konservativen zusammen die
neue Partei der Unionisten zur Bekämpfung der
Vorlage Gladstones bildeten, in den übrigen
Fragen aber als Liberal Unionists eine selb-
ständige Partei bildeten. In der neuesten Zeit
haben auch die Arbeiter Abgeordnete durchgebracht,
die sich in 2 Parteien scheiden: die Vertreter der
Trade Unions (Gewerkschaften), die Labour
Members, und die der deutschen Sozialdemo-
kratie entsprechende Independent Labour Party.
Bei den Wahlen 1906 erhielten diese Parteien
folgende Stärke: Liberale 376. Konservative
130, Liberale Unionisten 27, Nationalisten 83,
Sozialisten 29, Labour Members 25 Ab-
geordnete.
Die „Inseln in den britischen Gewässern“ haben
ihre besondern gesetzgebenden Körper, welche den
Gouverneuren zur Seite gestellt sind. Auf der
Insel Man besteht der Tynwald Court aus einem
Oberhause oder Council von 8 Mitgliedern (Bi-
schof, Kronanwalt, Clerk of the Rolls, 2 Landes-
richter, Archidiakon, Generalvikar, Steuerober=
einnehmer; mit Ausnahme des vom Bischof be-
stellten Generalvikars von der Krone ernannt) und
dem Hause der Keys von 24 Gemeinen (durch
Volkswahl bestimmt). Die Stände auf jeder der
Inseln Guernsey (mit Zubehör) und Jersey sind
aus dem Oberrichter, dem Bailiff, den Geschwo-
renen (Jurats), den Pfarrherren, den Bürger-
meistern (auf Jersey) und einer Anzahl von Mit-
gliedern, die von den Steuerzahlenden gewählt
werden, gebildet; in Jersey haben die States of
Jersey insgesamt 52, in Guernsey die Etats de
déliberation 37 Mitglieder. Akte des Reichs-
parlaments haben auf Man und den Kanalinseln
nur Gültigkeit, wenn es besonders ausgesprochen
und amtlich bekannt gegeben ist; anderseits be-
dürfen die Lokalgesetze in Man der königlichen