Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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geeignete Persönlichkeiten sich finden. Eine Be- 
grenzung der Leistungsfähigkeit der Genossen 
schaften liegt in der Freiwilligkeit ihrer Bildung. 
Die Verpflichtung der einzelnen Genossenschafts- 
mitglieder zur Unterordnung unter die genossen- 
schaftliche Autorität, d. h. unter die von der Ge- 
samtheit beauftragten Verwaltungsorgane, geht so 
weit, als sie zur Erreichung des gemeinsam zu er- 
strebenden Zieles notwendig ist, und in der Be- 
schränkung dieses findet zugleich das Recht der 
Autorität gegenüber den einzelnen Mitgliedern 
seine Begrenzung. Die Grundsätze, auf denen sich 
die moderne Genossenschaft aufbaut, sind: Selbst- 
hilfe, Selbstverwaltung, Selbstverantwortung. 
Die Wirkungen des Genossenschaftswesens er- 
strecken sich ethisch-sozial auf die Bevölkerung als 
solche und wirtschaftlich auf die Ausgestaltung der 
einzelnen Betriebe. In letzterer Beziehung ist die 
Genossenschaftsbildung nur eine Folgerung aus 
dem Prinzip der Arbeitsteilung, indem aus dem 
Rahmen der Einzelbetriebe bestimmte Tätigkeiten 
behufs besserer Ausgestaltung und Arbeitsersparung 
herausgehoben und besondern Beauftragten von 
der zu diesem Ende gebildeten Körperschaft über- 
tragen werden. Die sittlichen Wirkungen erklären 
sich folgendermaßen: Die Genossenschaft hebt das 
Selbstbewußtsein und das Vertrauen auf die eigene 
Kraft, und dieses wieder gibt einen Ansporn zur 
Entfaltung von Betriebsamkeit und geschäftlicher 
Intelligenz; die Genossenschaft hebt das Ver- 
ständnis für die gute Behandlung geschäftlicher 
Angelegenheiten und trägt dasselbe in die weitesten 
Kreise, wirkt hin auf die Erzielung der Einigkeit, 
des sozialen Friedens und auf die Abschwächung 
der Klassengegensätze; die Genossenschaft ist eine 
Schule der Erziehung für die Mitglieder zu opfer- 
freudiger Hingabe für andere, zu Gemeinsinn und 
Erwerbs= und Wirtschaftsgenossenschaften. 
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Kredit-, Konsum-, Nohstoff-, Werk= und Ge- 
räte-, Absatz= und Magazin= sowie Produktiv= 
genossenschaften, ohne damit aber die Reihe der 
gesetzlich möglichen und erlaubten Formen ab- 
geschlossen zu haben; denn das ganze Gebiet 
menschlicher Erwerbstätigkeit, jeder Gewerbs- 
zweig, der Handel und die sämtlichen Abtei- 
lungen des Landwirtschaftsbetriebs können, ab- 
strakt gesprochen, den Gegenstand genossenschaft- 
licher Unternehmungen abgeben. Wer das Ge- 
nossenschaftswesen verstehen will, muß besonders 
kennen lernen: Kreditgenossenschaften, Konsum- 
vereine, Rohstoffgenossenschaften, Kornhausge- 
nossenschaften, Viehverwertungsgenossenschaften, 
Molkereigenossenschaften, Baugenossenschaften. 
Einen Streitpunkt bildet die Frage über die Be- 
deutung der Genossenschaften für das landwirt- 
schaftliche Entschuldungsproblem. 
Wiedie Aktiengesellschafteine Kapitalvereini- 
gung, so stellt die Genossenschaft eine Personal- 
vereinigung dar. Nach der Hastungsart, unter 
der die Mitglieder zu einer Körperschaft zusammen- 
treten können, sind nach dem deutschen Genossen- 
schaftsgesetz drei Formen von Genossenschaften 
möglich: a) Genossenschaften mit unbeschränk- 
ter Haftpflicht, dergestalt daß die einzelnen Mit- 
glieder für die Verbindlichkeiten der Genossen- 
schaft dieser sowie unmittelbar den Gläubigern 
derselben mit ihrem ganzen Vermögen haften; 
b) Genossenschaften mit unbeschränkter Nach- 
schußpflicht, dergestalt daß die Genossen zwar 
mit ihrem ganzen Vermögen, aber nicht unmittel- 
bar den Gläubigern der Genossenschaft haften, 
  
vielmehr nur verpflichtet sind, der letzteren die zur 
Befriedigung der Gläubiger erforderlichen Nach- 
schüsse zu leisten; c) Genossenschaften mit be- 
schränkter Haftpflicht, dergestalt daß die Haft- 
Nächstenliebe, Ordnung und Pünktlichkeit, Wirt- pflicht der Genossen für die Verbindlichkeiten der 
schaftlichkeit und Sparsamkeit, und schafft damit 
die Vorbedingungen zu einem zufriedenen Staats- 
bürgertum. Die Motive zur Genossenschaftsbil- 
dung müssen Gemeinsinn bei den Minderbemit- 
telten, Nächstenliebe bei den Bessersituierten sein; 
andernfalls erhält man nur Scheingebilde, die 
keinen dauernden Bestand haben. 
Die systematisch-erschöpfende Einteilung der 
Genossenschaften ist wiederholt versucht worden, 
so von Schulze-Delitzsch, Webb-Potter, Oppen- 
heimer, Kaufmann. Für die Praxis genügt zu 
sagen: Die Erwerbs= und Wirtschaftsgenossen- 
schaften kann man nach ihrem Zweck im wesent- 
lichen in zwei Gruppen einteilen: a) solche zur Be- 
schaffung von Betriebsmitteln, Fremdbedarfs- 
gegenständen, Mitteln der Lebenshaltung; b)solche 
zur Verwertung von Arbeitskraft, Arbeits- 
erzeugnissen oder Kapitalkraft. (Beachtenswert 
sind die Ausführungen im Jahrbuch des Zentral- 
verbandes deutscher Konsumvereine 1908, 1 75 
bis 115, betreffend Einteilung der Genossen-= 
Genossenschaft sowohl dieser wie unmittelbar den 
Gläubigern gegenüber im voraus auf eine be- 
stimmte Summe beschränkt ist. Von Wichtigkeit 
ist für die gedeihliche Entwicklung des Genossen- 
schaftswesens, daß dasselbe unabhängig gehalten 
wird von bureaukratischer Bevormundung der 
staatlichen Behörden und unbeeinflußt von der 
Einwirkung politischer Parteirichtungen. Die 
Genossenschaften müssen ihrem eigentlichen Zweck 
erhalten werden, wie er durch die auf gesetzlicher 
Grundlage aufzubauenden Satzungen vorgezeichnet 
  
ist. Jede Genossenschaft soll aber immer neben der 
materiellen Förderung auch die geistig- 
sittliche Hebung der Mitglieder erstreben. Be- 
willigung staatlicher Mittel zur genossenschaftlichen 
Schulung der Bevölkerung sowie zur Ausbildung 
tüchtiger Genossenschaftsbeamten kann nur befür- 
wortet werden. Die staatliche Unterstützung des 
Genossenschaftswesens als solchen darf sich aber 
nur erstrecken auf „die Hilfe zur Selbsthilfe“ 
der Bevölkerung, wodurch natürlich die andern 
ss 
schaften.) Das deutsche Genossenschaftsgesetz fieht gesetzlichen Maßnahmen zur Förderung der ein- 
als Arten der Genossenschaften folgende vor: zelnen Erwerbsstände nicht berührt werden.
	        
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