Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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zu fällen, dann ergibt sich die jeweilige Zweck- 
mäßigkeit und die Anpassungsgabe des Menschen 
an das Notwendige. 
Der Sozialismus dagegen übersieht, daß neben 
allem Wandel und Fortschritt die Natur des 
Menschen mindestens in historischen Zeiträumen 
zwar nichts Unabänderliches, aber doch in ihrer 
Wesensart Verbleibendes ist und auch „die äußere 
Natur“, sagen wir hier „der Boden“, unter 
wesentlich gleichbleibenden Grundbedingungen 
seine Benutzung nur gestattet, seine Produkte nur 
hergibt, der Mensch aber als Arbeitsfaktor ein im 
wesentlichen gegebenes physisches Leben hat. Mit 
Rücksicht hierauf sind gewisse Grundzüge auch bei 
der Entwicklung der Bodenrechtsordnung zu be- 
trachten. 
Daher hat man Vorsicht walten zu lassen in 
betreff der Forderung prinzipieller Reformen, der 
historischüberkommenen, einmaleingelebten Rechts- 
ordnung. Vor Einführung beliebiger Anderungen 
und vor dem Absolutismus der Lösungen ist zu 
warnen. Ein stark konservativer Zug muß die 
Grundtendenz bilden. Diese wichtige Wahrheit 
der historischen Nationalökonomie darf nicht über- 
sehen werden. Eine „Relativität“ der Ansichten, 
des Lobes und Tadels in Wissenschaft und Praxis 
ist auch hier allein das richtige. Eine gesunde 
Kritik wird uns vor der Unterschätzung des Guten, 
des geschichtlich Gewordenen, Bestehenden, das sich 
eben allein als solches schon erproben konnte, und 
vor der Uberschätzung des Neuen, wenn auch viel- 
leicht Erreichbaren und Erstrebenswerten, das eben 
immer erst seine Probe zu bestehen hat, bewahren. 
Prinzipielle Umänderungen im Bodenrecht werden 
mit Vorsicht zu beurteilen und auszuführen sein. 
Die Unterscheidung des Bodens nach typischen 
Verwendungszwecken wird am besten die Bedeu- 
tung für die Fragen der Bodenrechtsordnung er- 
weisen. „Das uns hier beschäftigende Problem 
dieser Rechtsordnung ist ein einheitliches, den ge- 
samten Boden umfassendes. Jede Darstellung und 
Kritik hat das zu beachten, was bei der früher 
meist allein üblichen Beschränkung der Unter- 
suchung auf den ländlich-agrarischen Boden nicht 
genügend geschehen ist. Gewisse gleiche Verhält- 
nisse und Einzelfragen kehren auch bei allen Boden- 
kategorien wieder und zeigen die Einheitlichkeit 
des ganzen Problems“ (Wagner). Die natürlichen 
ökonomischen Verwendungszwecke und Benutzungs- 
weisen sowie die Bearbeitungsart des Bodens sind 
verschieden und bei der Bodenrechtsordnung zu 
berücksichtigen, wie es auch im älteren und neueren 
Recht geschehen ist. Mehrfach treten Vor= wie 
Nachteile des Privat= und Gemeineigentums je 
nach der Bodenkategorie hervor. Die Schwierig= 
keit der Durchführbarkeit des Gemeineigentums 
gestaltet sich sehr verschieden. Eine dauernde Ver- 
wendung eines Bodens zu bestimmter Art geschah 
erst nach fester Ansiedlung. Bei fortschreitenden 
Völkern hat die Entwicklung der Volkszahl, die 
örtliche Verteilung und Konzentration der Be- 
Grundbesitz. 
  
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völkerung, der Fortschritt der Technik immer auch 
Veränderungen in der Verwendung bestimmter 
Grundstücke, namentlich solcher bestimmter Lage 
oder Beschaffenheit, zur Folge. 
Sieben typische Verwendungszwecke (Boden- 
kategorien) sind zu unterscheiden: 
Der Wohnungs= und Wegeboden er- 
scheint nur als Träger der Menschen selbst, ihrer 
Tätigkeit und Einrichtungen. Die örtliche Lage 
bedingt den Wert und die Rentenverhältnisse, 
wogegen die Beschaffenheit als unwichtig zurück- 
tritt. " 
Bergwerksboden ist als Behälter von Stof- 
fen anzusehen, die in natürlicher Form schon ge- 
wissen Gebrauchswert haben, wenngleich die Ent- 
wicklung auch der weiteren Verarbeitung den 
Boden durch Wegnahme erschöpft. Zur Ausbeu- 
tung der Bodenschätze ist zuerst Arbeit, dann Ka- 
pitalanlage, fortdauernde, eigentümliche Aneig- 
nungsarbeit und Kapitalverwendung notwendig. 
Die natürlichen Weide-, Wald-, Jagd- 
böden haben doppelte Funktionen zu erfüllen. Sie 
dienen als Behälter von Stoffen und zugleich als 
Vermittler und Umbildner von Stoffen in ge- 
brauchsfertige Form, zunächst in pflanzliche, even- 
tuell auch in tierische. Bei Jagdboden geschieht 
die Umbildung durch die Natur spontan. Die 
Menschen haben nur die Aneignung unter Be- 
achtung von Schonungsrücksichten vorzunehmen. 
Bei agrarischem Boden muß die mensch- 
liche Tätigkeit die beabsichtigte Formenbildung erst 
herstellen. Die Bedingungen für die Wirkung der 
Naturkräfte sind erst zu erfüllen. Vorbereitung und 
fortdauernde menschliche Arbeit, erneute Zufüh- 
rung von Kapital, schließlich Aneignungsarbeit 
(Ernten) führen erst den gewünschten Erfolg herbei. 
Im folgenden soll auf die Ahnlichkeiten und 
Verschiedenheiten der einzelnen Bodenkategorien 
sowie die kritische Beurteilung näher eingegangen 
werden. 
1. Standorts= und Wohnungsboden. 
Man begreift hierunter Grundstücke, die als 
Standort und ständiger Aufenthaltsort für Men- 
schen, als Platz für Wohnungen oder Wohnge- 
bäude dienen; ferner als Standort für Gewerbe 
sowie für Räume, die hiermit in Verbindung 
stehen: Hausgärten, Höfe, Lagerplätze u. dgl. Die 
genannte bleibende Zweckbestimmung nach der An- 
lage bedingt eine eigentümliche, ökonomisch-tech- 
nische Stellung und Funktion, daher eine besondere 
Stellung und Behandlung in der Rechtsordnung. 
An frühesten hat sich beim Wohnungsboden Pri- 
vateigentum entwickelt. Lokale Gemeindebedürf- 
nisse stellten sich ein, gegenseitige Beziehungen und 
notwendige Rücksichtnahme des einen auf den an- 
dern schufen ein beschränktes Privateigentum. Die 
enge lokale Anhäufung der Menschen und ihrer 
Berufsstätten, Gewerbebetriebe, die daraus her- 
vorgehenden Gefahren und Übelstände, die neuere 
naturwissenschaftliche Erkenntnis der Einflüsse von 
Boden, Luft, Wasser, Licht auf die Gesundheit
	        
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