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unabhängigen, körperlich und geistig gesunden
arbeitsamen Menschen. Die Rechtsordnung muß
diese Bevölkerung tüchtig und leistungsfähig für
den landwirtschaftlichen Betrieb erhalten und das
Produktionsinteresse wahren. Sowohl die Pro-
duktion wie das Bevölkerungsproblem und die
Verteilungsinteressen sprechen für kleines, mittleres
und Großeigentum. Das Grundrentenproblem
tritt seinem Kern nach nicht so stark hervor wie
beim Wohnungsboden. Fruchtbarkeits- und Lage-
differentialrenten sind Folgen von Naturtatsachen
oder von allgemein gesellschaftlichen, volkswirt-
schaftlichen und politischen Tatsachen.
Es wäre die Prinzipienfrage der Rechtsordnung
für den agrarischen Boden, ob Gemeineigentum
oder Privateigentum am günstigsten für die Pro-
duktion und die Bevölkerung ist, zu erörtern.
Die Anpassung an die Rechtsordnung für den
Boden und die Bodenbearbeitung findet in den
menschlichen Trieben und Motiven ihre Begren-
zung, wie die geschichtliche Entwicklung zeigt.
Eine Form des Gemeindeeigentums an Ackern,
ohne Weiden, kommt bei den primitiven Völkern
zum Teil bis heute vor. Gemeinsam wird die
Bearbeitung vorgenommen und die Ernteerträge
nach bestimmtem Maßstabe (Bedürfnis) verteilt.
Also es liegt hier Gemeingut, Gemeinbenutzung,
Gemeingenuß vor, wobei letzterer als eine be-
sondere Form des Privatgenusses anzusehen ist.
Voraussetzung für diese Wirtschaftsordnung muß
sein: einfache, gleichmäßige Gestaltung des Be-
triebes, wenig Kapitalaufwendung, starke Autorität
und Gewalt wie in patriarchalischen Verhältnissen;
eine „geglaubte, überlegene Intelligenz und Macht
bei den Leitern des Ganzen ist erforderlich". Be-
sonders trifft man diese Vorbedingungen bei einer
machtvollen Stammes- oder Geschlechtsgliederung
und bei Hauskommunionen an. Fehlen diese
Voraussetzungen, so versagt das System ganz
oder teilweise. Die Einführung von Fortschritten
bietet große Schwierigkeiten. Schwer gelingt es,
dieses System zur Schaffung einer geregelten Pro-
duktion auszubauen.
Die zweite Form des Gemeineigentums zeigt
sich verbunden mit periodischen Teilungen des
Acker= und eventuell des Wiesenlandes. Hier hat
man Gemeingut, Privatnutzung und Privat-
genuß; nach ökonomisch-technischen und psycho-
logischen Voraussetzungen liegt dieses System ähn-
lich wie das der ersten Form. Auch hier handelt
es sich nur um einen extensiven, schablonenhaften
Anbau; Kapital wird wenig aufgewendet. Für
die Anleitung und die Ausführung der periodi-
schen Teilungen zur Nutzung gehören die Autorität
vor einer starken Macht, Gewohnheit, Sitte, Tra-
dition, religiöse und sittliche Anschauungen, Un-
parteilichkeit, Zwang, Strafen. Nur dann wird
sich ein solches System land= und volkswirtschaft-
lich bewähren; Fortschritte wird man kaum damit
erreichen. Bei späteren Veränderungen versagt
das System. Es sei nur auf die Schwierigkeiten
Grundbesit.
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bei den großrussischen Dorfgemeinden nach Auf-
hebung der Leibeigenschaft hingewiesen. Vom So-
zialismus könnte dieses System gewählt werden;
die Schwierigkeiten würden in psychologischer und
praktischer Hinsicht wohl etwas geringer sein, eine
Gefahr bestände jedoch für das land= und volks-
meschaftih Produktionsinteresse und den Fort-
ritt.
Einige Vorteile sind ja bei Gemeindeeigentum
und Gemeindebenutzung oder Gemein= und Pri-
vatbenutzung zu erreichen, wenn die leitenden
Instanzen über Fähigkeiten und Mittel verfügen.
Bessere Feldeinteilung, Kapitalzuführung, intelli-
gente Leitung, mehr Anpassung der Kulturen an
Bedarfsverhältnisse wären zu ermöglichen. Diese
Aufgaben müßte der Sozialismus zuvor lösen,
schwerlich könnte er aber die wechselnde Witterung
und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen be-
herrschen. Sehr schwierig müßte es erscheinen, die
notwendigen Autoritätsverhältnisse herzustellen,
da der Sozialismus systematisch Verachtung vor
Höhergestellten und Geringschätzung derselben,
„die Kritik nach oben“ pflegt. Für Triebe des
Selbstinteresses müßten andere Gefühle, wie
Pflichtgefühl, Ehrgefühl, Tätigkeitsdrang, Ge-
meinsinn, eine unerhörte Stärke gewinnen. Ver-
sagen diese Mittel, so hätten Furcht, Zwang,
Strafe an ihre Stelle zu treten.
Produktivgenossenschaften werden nicht mehr
erstrebt. Dagegen käme noch die zeitweilige Ver-
pachtung des eingezogenen Bodens in Frage. Da-
bei dürfte es schwierig sein, die Pachtsumme fest-
zustellen. Die Versteigerung würde wohl der ein-
zige Weg sein. Eine praktische Durchführung bei
der Unzahl von Betrieben würde die größten
Schwierigkeiten bieten.
Allerdings würde der Zuwachs der Grundrente
der Gesamtheit zugute kommen; während einer
längeren Pachtzeit genießt der Pächter die Rente.
Eine große Menge von Leuten, die jetzt freie Eigen-
tümer sind, würden nach dieser Methode zu Päch-
tern oder abhängigen Arbeitern herabgedrückt.
Ein Pächterstand liefert aber ein unendlich we-
niger wertvolles, weil viel abhängigeres, weniger
seßhaftes und mit dem Boden verwachsenes, der
Konkurrenz mehr unterliegendes, soziales Element,
als der Eigentümerstand es tut.
Als Ergebnis für heutige Verhältnisse wäre
somit anzusehen: Privateigentum, Privatnutzung,
Privatgenuß verdient am agrarischen Boden im
allgemeinen den Vorzug vor jedem andern Rechts-
systeme und damit auch vor jedem wie immer
eingerichteten und durchgeführten sozialistischen
Gemeineigentum und sozialistischer Bewirtschaf-
tungsweise.
5. Beim Forstboden erscheint öffentliches,
gesellschaftliches Gemeineigentum in der Form von
Staats= oder Kommunaleigentum günstiger wie
beim Agrarboden. Infolge der geschichtlichen Ent-
wicklung befinden sich große Wäldermassen im
Staats= und Kommunaleigentum; sowohl in