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rufen, die Errungenschaften der landwirtschaft-
lichen Wissenschaft in den Dienst des Wirtschafts-
betriebes zu stellen, bessere Wirtschaftsmethoden
ausfindig zu machen, ertragreichere Pflanzenarten,
bessere Viehrassen und leistungsfähigere Macchinen
zur Einführung zu bringen. Indem den Groß-
grundbesitzern die mittleren und diesen wieder die
kleinen Besitzer in der Verbesserung des Betriebes
folgen, sind die Großgrundbesitzer die eigentlichen
Organisatoren der modernen landwirtschaftlichen
Technik. Während der große Betrieb eine dem
Fabrikbetriebe sich nähernde Einrichtung gestattet,
liegt die Kraft der mittleren und kleinen Betriebe
in der Kenntnis der Betriebsmittel bis in Einzel-
heiten und in der Sorgfalt der eigenen Arbeit.
Die großen Güter verfolgen durchweg die Massen-
erzeugung von Bodenprodukten, die mittleren
Güter widmen sich meistens mit Erfolg der Vieh-
zucht und die kleinen Güter der Erzeugung hoch-
wertiger Spezialprodukte.
In sozialer und politischer Beziehung gewährt
der Großgrundbesitz die Existenz für eine Land-
aristokratie, welche im Staatsleben eines Volkes
insofern eine Rolle spielt, als sie zur Erfüllung
öffentlicher Leistungen im Heere, in der Staats-
und Selbstverwaltung auf Grund ihrer unabhän-
gigen wirtschaftlichen Lage im allgemeinen sehr ge-
eignet ist. Mag auch die Landaristokratie infolge
der Entstehung einer industriellen und kaufmän-
nischen Aristokratie an ihrer alten Bedeutung ein-
gebüßt haben, immerhin spielt sie noch neben dieser
eine große Rolle. Dies ist darauf zurückzuführen,
daß das Fundament der Landaristokratie der Groß-
grundbesitz ist und kein anderes Vermögen die
Existenz einer Familie bisher so sehr sicherte wie
dieser. Anderseits kann der Großgrundbesitz bei
einseitiger Latifundienbildung aber auch zum Ver-
derben für ein Land werden. Ein allzu ausge-
dehnter Latifundienbesitz ist für die wirtschaftliche
Entwicklung eines Volkes schädlich, und Staat
wie Gesellschaft haben gleiches Interesse daran,
die Bildung von Riesenbetrieben zu verhindern.
Nach allen Erfahrungen ist die beste Art der Besitz-
verteilung diejenige, in der neben einem vorherr-
schenden, kräftigen mittleren Bauernstand ein Groß-
und Kleingrundbesitzerstand in mehr beschränkter
Ausdehnung vorhanden ist. Diese glückliche Mi-
schung der Besitzverhältnisse herbeizuführen, sind
gesetzliche Maßnahmen in Betracht zu ziehen, welche
die Existenz der mittleren Besitzer und Bauern vor
Uberschuldung schützen und eine Erschwerung der
Bildung von unteilbaren Fideikommißstiftungen
herbeiführen. Diesen Bestrebungen liegen zahl-
reiche neuere Gesetze betreffend den Grund und
Boden und E zugrunde.
Die Ansiedlungskommission und provinzielle An-
siedlungsgesellschaften bemühen sich, größere Güter
in leistungsfähige Bauernstellen zu verwandeln.
Vgl. d. Art. Rentengüter.
Der mittlere und kleinere Grundbesitz ist der
Träger des eigentlichen Bauernstandes. Je zahl-
Grundbesitz.
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reicher und wohlhabender der Bauernstand eines
Volkes ist, um so größer die wirtschaftliche und
politische Kraft und Widerstandsfähigkeit des-
selben. Der Bauernstand bildet den verjüngenden
Born der Volkskraft, von ihm aus werden die
andern Stände stets mit frischem Blut und neuer
Kraft versorgt. Die von Generation zu Gene-
ration zu vererbenden Bauernhöfe bilden den Sitz
des besten Gemeinde= und Familienlebens. Die
abgehärteten Bauernsöhne bilden den Grundstock
des Heeres. Eine Schattenseite des bäuerlichen
Charakters ist der nicht selten übertriebene Hang
zum Hergebrachten und damit im Zusammenhang
der enge Gesichtskreis der Anschauungen gegen-
über allem Fortschritt. Diese psychologischen Er-
scheinungen sind zurückzuführen auf die eigentüm-
liche Stabilität des bäuerlichen Berufes und auf
den engen Kreis, in dem sich das bäuerliche Leben
abspielt. Beides tritt mehr zurück dort, wo der
bäuerliche Besitzstand einer Gegend in richtiger
Weise mit Großgrundbesitz durchsetzt ist.
Die kleinen und kleinsten Güter vermitteln den
Übergang zu den Besitzlosen. Solange diese Güter
eine selbständige Ackernahrung darstellen oder aber,
wo dies nicht der Fall ist, dem Stelleninhaber in
landwirtschaftlichen, industriellen und gewerblichen
Anlagen ausreichende, gut lohnende Arbeit zur
Verfügung steht, gibt die Existenz dieser Güter
tüchtigen und sparsamen Arbeitern die Möglichkeit,
in die mittleren Gesellschaftsstufen aufzusteigen.
Reicht der Besitz für eine selbständige Ackernahrung
nicht aus, oder mangelt es an ausreichender Neben-
beschäftigung, so wird diese Art Grundbesitz zum
Hemmschuh aller wirtschaftlichen Entwicklung. Die
Scholle vermag die Bewohner nicht zu ernähren,
infolgedessen wird die Lebenshaltung herabgedrückt,
zeitliche Abwanderung zerreißt das Familienleben,
und gewissenlose Unternehmer beuten die zurück-
bleibenden Kleinbesitzer für ihre Zwecke aus.
Eine zu weitgehende Zersplitterung bzw. Auf-
teilung des Grundbesitzes, d. h. entweder die Schaf-
fung zahlreicher kleinster Zwerggüter oder die Zer-
splitterung eines Einzelbetriebes in eine größere
Anzahl unter sich nicht zusammenhängender Par-
zellen, ist somit wirtschaftlich nicht wünschenswert.
Deshalb ist man neuerdings bestrebt, durch sog.
Anerbengesetze einer zu weitgehenden Bodenzer-
splitterung vorzubeugen. In Gegenden mit über-
wiegendem Großgrundbesitz liegt anderseits mehr
Bedürfnis vor, kleinere Ackerstellen zu schaffen,
besonders zu dem Zwecke, um die Arbeiter an die
Scholle zu fesseln. Wird ländlichen und industriel-
len Arbeitern Gelegenheit gegeben, ein Grund-
stück zur Errichtung einer kleinen Wirtschaft zu er-
werben, wird ihnen die Möglichkeit geboten, ihren
kleinen Betrieb durch Zukauf kleinster Parzellen
aus eigenen Ersparnissen allmählich zu vergrößern,
so erhalten sie damit Aussicht auf eine ruhige
Lebensstellung und ein sorgenloses Alter, wie ihnen
die Großstadt solches nicht bieten kann. Zur Be-
seitigung der ländlichen Arbeiternot und als