Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

928 
rufen, die Errungenschaften der landwirtschaft- 
lichen Wissenschaft in den Dienst des Wirtschafts- 
betriebes zu stellen, bessere Wirtschaftsmethoden 
ausfindig zu machen, ertragreichere Pflanzenarten, 
bessere Viehrassen und leistungsfähigere Macchinen 
zur Einführung zu bringen. Indem den Groß- 
grundbesitzern die mittleren und diesen wieder die 
kleinen Besitzer in der Verbesserung des Betriebes 
folgen, sind die Großgrundbesitzer die eigentlichen 
Organisatoren der modernen landwirtschaftlichen 
Technik. Während der große Betrieb eine dem 
Fabrikbetriebe sich nähernde Einrichtung gestattet, 
liegt die Kraft der mittleren und kleinen Betriebe 
in der Kenntnis der Betriebsmittel bis in Einzel- 
heiten und in der Sorgfalt der eigenen Arbeit. 
Die großen Güter verfolgen durchweg die Massen- 
erzeugung von Bodenprodukten, die mittleren 
Güter widmen sich meistens mit Erfolg der Vieh- 
zucht und die kleinen Güter der Erzeugung hoch- 
wertiger Spezialprodukte. 
In sozialer und politischer Beziehung gewährt 
der Großgrundbesitz die Existenz für eine Land- 
aristokratie, welche im Staatsleben eines Volkes 
insofern eine Rolle spielt, als sie zur Erfüllung 
öffentlicher Leistungen im Heere, in der Staats- 
und Selbstverwaltung auf Grund ihrer unabhän- 
gigen wirtschaftlichen Lage im allgemeinen sehr ge- 
eignet ist. Mag auch die Landaristokratie infolge 
der Entstehung einer industriellen und kaufmän- 
nischen Aristokratie an ihrer alten Bedeutung ein- 
gebüßt haben, immerhin spielt sie noch neben dieser 
eine große Rolle. Dies ist darauf zurückzuführen, 
daß das Fundament der Landaristokratie der Groß- 
grundbesitz ist und kein anderes Vermögen die 
Existenz einer Familie bisher so sehr sicherte wie 
dieser. Anderseits kann der Großgrundbesitz bei 
einseitiger Latifundienbildung aber auch zum Ver- 
derben für ein Land werden. Ein allzu ausge- 
dehnter Latifundienbesitz ist für die wirtschaftliche 
Entwicklung eines Volkes schädlich, und Staat 
wie Gesellschaft haben gleiches Interesse daran, 
die Bildung von Riesenbetrieben zu verhindern. 
Nach allen Erfahrungen ist die beste Art der Besitz- 
verteilung diejenige, in der neben einem vorherr- 
schenden, kräftigen mittleren Bauernstand ein Groß- 
und Kleingrundbesitzerstand in mehr beschränkter 
Ausdehnung vorhanden ist. Diese glückliche Mi- 
schung der Besitzverhältnisse herbeizuführen, sind 
gesetzliche Maßnahmen in Betracht zu ziehen, welche 
die Existenz der mittleren Besitzer und Bauern vor 
Uberschuldung schützen und eine Erschwerung der 
Bildung von unteilbaren Fideikommißstiftungen 
herbeiführen. Diesen Bestrebungen liegen zahl- 
reiche neuere Gesetze betreffend den Grund und 
Boden und E zugrunde. 
Die Ansiedlungskommission und provinzielle An- 
siedlungsgesellschaften bemühen sich, größere Güter 
in leistungsfähige Bauernstellen zu verwandeln. 
Vgl. d. Art. Rentengüter. 
Der mittlere und kleinere Grundbesitz ist der 
Träger des eigentlichen Bauernstandes. Je zahl- 
  
  
Grundbesitz. 
  
924 
reicher und wohlhabender der Bauernstand eines 
Volkes ist, um so größer die wirtschaftliche und 
politische Kraft und Widerstandsfähigkeit des- 
selben. Der Bauernstand bildet den verjüngenden 
Born der Volkskraft, von ihm aus werden die 
andern Stände stets mit frischem Blut und neuer 
Kraft versorgt. Die von Generation zu Gene- 
ration zu vererbenden Bauernhöfe bilden den Sitz 
des besten Gemeinde= und Familienlebens. Die 
abgehärteten Bauernsöhne bilden den Grundstock 
des Heeres. Eine Schattenseite des bäuerlichen 
Charakters ist der nicht selten übertriebene Hang 
zum Hergebrachten und damit im Zusammenhang 
der enge Gesichtskreis der Anschauungen gegen- 
über allem Fortschritt. Diese psychologischen Er- 
scheinungen sind zurückzuführen auf die eigentüm- 
liche Stabilität des bäuerlichen Berufes und auf 
den engen Kreis, in dem sich das bäuerliche Leben 
abspielt. Beides tritt mehr zurück dort, wo der 
bäuerliche Besitzstand einer Gegend in richtiger 
Weise mit Großgrundbesitz durchsetzt ist. 
Die kleinen und kleinsten Güter vermitteln den 
Übergang zu den Besitzlosen. Solange diese Güter 
eine selbständige Ackernahrung darstellen oder aber, 
wo dies nicht der Fall ist, dem Stelleninhaber in 
landwirtschaftlichen, industriellen und gewerblichen 
Anlagen ausreichende, gut lohnende Arbeit zur 
Verfügung steht, gibt die Existenz dieser Güter 
tüchtigen und sparsamen Arbeitern die Möglichkeit, 
in die mittleren Gesellschaftsstufen aufzusteigen. 
Reicht der Besitz für eine selbständige Ackernahrung 
nicht aus, oder mangelt es an ausreichender Neben- 
beschäftigung, so wird diese Art Grundbesitz zum 
Hemmschuh aller wirtschaftlichen Entwicklung. Die 
Scholle vermag die Bewohner nicht zu ernähren, 
infolgedessen wird die Lebenshaltung herabgedrückt, 
zeitliche Abwanderung zerreißt das Familienleben, 
und gewissenlose Unternehmer beuten die zurück- 
bleibenden Kleinbesitzer für ihre Zwecke aus. 
Eine zu weitgehende Zersplitterung bzw. Auf- 
teilung des Grundbesitzes, d. h. entweder die Schaf- 
fung zahlreicher kleinster Zwerggüter oder die Zer- 
splitterung eines Einzelbetriebes in eine größere 
Anzahl unter sich nicht zusammenhängender Par- 
zellen, ist somit wirtschaftlich nicht wünschenswert. 
Deshalb ist man neuerdings bestrebt, durch sog. 
Anerbengesetze einer zu weitgehenden Bodenzer- 
splitterung vorzubeugen. In Gegenden mit über- 
wiegendem Großgrundbesitz liegt anderseits mehr 
Bedürfnis vor, kleinere Ackerstellen zu schaffen, 
besonders zu dem Zwecke, um die Arbeiter an die 
Scholle zu fesseln. Wird ländlichen und industriel- 
len Arbeitern Gelegenheit gegeben, ein Grund- 
stück zur Errichtung einer kleinen Wirtschaft zu er- 
werben, wird ihnen die Möglichkeit geboten, ihren 
kleinen Betrieb durch Zukauf kleinster Parzellen 
aus eigenen Ersparnissen allmählich zu vergrößern, 
so erhalten sie damit Aussicht auf eine ruhige 
Lebensstellung und ein sorgenloses Alter, wie ihnen 
die Großstadt solches nicht bieten kann. Zur Be- 
seitigung der ländlichen Arbeiternot und als
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.