Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Gegenmittel der Verbreitung sozialdemokratischer 
Ideen ist es daher ein trefflicher Gedanke, den 
Arbeitern den Erwerb eines Stückchen Landes zu 
erleichtern. Unter Umständen begünstigt auch die 
weitgehende Aufteilung des Bodens den Betrieb 
von Spezialkulturen. Bei gutem Boden und 
Klima gewährt Gemüse= und Obstbau sowie die 
Blumenkultur bei intensiver Arbeit schon auf einer 
ganz kleinen Fläche einen völlig ausreichenden 
Lebensunterhalt. Größere Flächen würden bei 
solcher Kulturart von einer Familie nicht rentabel 
bearbeitet werden können. 
V. Tatsächliche Verteilung des Grund- 
besitzes. Im allgemeinen erfreut sich Deutschland 
einer glücklichen Verteilung des Grundbesitzes. 
Während 1882 5276344 landwirtschaftliche Be- 
triebe mit einer Gesamtfläche von 40 178 681 ha 
und einer landwirtschaftlich benutzten Fläche von 
31868 972 ha (ohne Holzungen, Odland und 
Hofräume) vorhanden waren, gab es 1895 
5556 9P00 Betriebe mit einer Gesamtfläche von 
43278 487 ha und einer landwirtschaftlich be- 
nutzten Fläche von 32 511 899 ha. Es hatte 
also in einem Zeitraum von 13 Jahren eine be- 
trächtliche Vermehrung der Betriebe und der be- 
nutzten Fläche stattgefunden. 
Unter der Annahme, daß die Wirtschaften unter 
5 ha im allgemeinen als unselbständige Betriebe, 
die von 5—100 ha als selbständige und die von 
100 ha und darüber als Großbetriebe anzusehen 
sind, gehört eine reichliche Hälfte des landwirt- 
schaftlich benutzten Bodens den selbständigen 
Bauern, während ½2 bis ¼ den unselbständigen 
und ¼ den großen Gütern zufällt. Das Verhält- 
nis der bewirtschafteten Gesamtfläche zum Pacht- 
land stellt sich innerhalb der einzelnen Betriebs- 
größen so, daß die mittleren Betriebe, also die 
bäuerlichen Betriebe, fast vollständig in Händen 
von Besitzern sind, mit andern Worten: die eigent- 
lichen Bauern sind durchweg Besitzer. Die kleinsten 
und die größten Betriebe, jene als unzählige 
Zwergwirtschaften in Händen von Industrie-, 
Land= und Waldarbeitern, diese als zahlreiche 
Staatsdomänen, umschließen eine große Masse 
von Pachtbetrieben. Halbscheidpacht, Deputatland, 
Dienstland und Anteil am Gemeindeland bilden 
1½ % der landwirtschaftlich benutzten Fläche. 
Innerhalb Deutschlandsliegen die Be- 
sitzverhältnisse sehr verschieden. Der Haupt- 
sache nach kann man ein Großgrundbesitzer= und 
ein Bauerngebiet unterscheiden. Dieses liegt west- 
lich, jenes östlich der Elbe. Bei der Besitznahme 
des flawischen Kolonialgebietes östlich der Elbe 
durch die Deutschen in der Zeit vom 12. bis 
14. Jahrh. wurden die Ritter reichlich mit Land- 
besitz bedacht. Sie verstanden es in der nachfolgen- 
den Zeit, namentlich nach dem 30jährigen Kriege 
und während der Zeit des „Bauernlegens“ im 
18. Jahrh., ihren Grundbesitz nach und nach aus- 
zudehnen. Dieses Bestreben der Ritter, die durch 
die veränderte Heeresverfassung zu Ritterguts- 
Grundbesitz. 
  
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besitzern wurden, führte in Mecklenburg und Vor- 
pommern zu einer fast vollständigen Aufsaugung 
der Bauerngüter und zur Bildung von „Adels- 
republiken mit monarchischer Spitze“. Wenn trotz 
dieser Bestrebungen der Großgrundbesitzer nach 
räumlicher Ausdehnung im östlichen Deutschland 
sich noch 56 /% des Bodens in bäuerlichen Händen 
befinden, so ist das vor allem dem Vorgehen Fried- 
richs des Großen und seiner Nachfolger zu ver- 
danken, welche dem Bestreben der Ritterschaft 
energisch und wiederholt entgegentraten. Abgesehen 
von Schlesien und Posen herrschen unter den 
bäuerlichen Betrieben des deutschen Ostens die 
Großbetriebe vor. Der Parzellenbetrieb ist in 
Schlesien mit 15,5% vertreten, in den andern 
östlichen Provinzen nur sehr schwach. Dies ist 
einesteils darauf zurückzuführen, daß die Agrar- 
gesetzgebung bzw. die Bauernbefreiung zu Anfang 
des 19. Jahrh. die Einziehung zahlreicher kleiner 
Güter, welche keine „Ackernahrung“ darstellten, 
seitens der Gutsherren im Gefolge hatte, dann 
aber auch darauf, daß Boden und Klima und ge- 
ringe Industrieentwicklung die Bildung lebens- 
fähiger kleiner Stellen nicht begünstigen. 
Westlich der Elbe tritt die Bedeutung des 
Großgrundbesitzes weit zurück. Hier waren von 
alters her Bauerngüter und Bauerndörfer vor- 
herrschend. Dagegen findet sich im Westen ein be- 
deutender, meist aus Wald bestehender Grundbesitz 
der ehemaligen Landesherren. Das westelbische 
Deutschland ist wiederum in Groß= und Klein- 
bauernbezirke zu scheiden. Der Großbauernbesitz 
ist im westlichen Deutschland vorherrschend in den 
Niederungsgebieten des Nordwestens, am Nieder- 
rhein, im nördlichen Westfalen, Hannover und 
an der Westküste von Schleswig-Holstein vertreten. 
Hier nehmen die bäuerlichen Betriebe über 20 ha 
ungefähr die Hälfte, die Parzellenwirtschaften 
dagegen noch nicht / des Landes ein. Im rechts- 
rheinischen Bayern und im Donaukreise Württem- 
bergs liegt zwar der Schwerpunkt des landwirt- 
schaftlichen Betriebs bei den Betrieben von 5 bis 
20 ha; die großen Höfe von 20—100 ha nehmen 
aber einen mehr als doppelt so großen Teil der 
landwirtschaftlichen Fläche ein wie im übrigen 
Südwestdeutschland. Die Parzellenwirtschaften 
unter 5 ha bilden etwas mehr wie ¼ der Fläche. 
Der Kleinbauernbesitz Westdeutschlands umfaßt 
vor allem den oberen und mittleren Rhein mit 
seinen Nebenflüssen. Er erstreckt sich den Main 
entlang bis in die thüringischen Staaten. In 
Südwestdeutschland entfallen 33—50 % auf die 
Wirtschaften unter 5 ha. Der Gegensatz zwischen 
der rheinisch-thüringischen Ländergruppe und dem 
übrigen Deutschland erscheint zunächst als Folge 
der herrschenden Vererbungsgewohnheiten. Dort 
herrscht die Sitte der Realteilung, hier werden die 
Landgüter ungeteilt von einer Generation auf die 
andere übertragen. Gegebenen Wirtschaftsbedin- 
gungen hat sich die grundherrliche und steuerliche 
Verfassung angepaßt.
	        
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