Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Von außerdeutschen Ländern erfreuen sich Nord- 
amerika und Frankreich eines zahlreichen Bauern- 
standes. Dort führte die Aufteilung der öffent- 
lichen Ländereien (Heimstätten), hier die Konfis- 
kation zahlreicher großer Güter während der ersten 
Revolution und das Erbrecht des Code civil zur 
Bildung zahlreicher Bauerngüter. Frankreich hat 
trotz der Naturalteilung seinen mittleren Grund- 
besitz zu erhalten gewußt, allerdings auf Kosten 
der Bevölkerungszunahme. In England führte 
die Entwicklung des Großkapitals zur Verdrän= 
gung der bäuerlichen Eigentümer. 85.8 % der 
Gesamtfläche sind Pachtland, 51 % sind Weide- 
flächen. In Schottland besitzen 24 Personen 
26,93 % der Gesamtfläche, 2198 Personen ge- 
hört fast die Hälfte von Großbritannien und Ir- 
land. Die Bewirtschaftung des Großgrundbesitzes 
geschieht in Irland meist durch Zwergpächter, in 
England durch mittlere und größere Pächter. 
VI. Wirktung der Bodenverteilung im 
einzelnen. Unter Zerteilung des Grundbesitzes 
kann man die Teilung eines Gutes in mehrere 
selbständige Güter, die Abtrennung einzelner 
Stücke und die Zerlegung in unselbständige Par- 
zellen verstehen. Man spricht dann von Ein- 
heitsteilung des Eigentums. Eine Teilung der 
Betriebseinheit stellt das Pachtverhältnis dar. In 
der Verschuldung des Grundbesitzes kann man eine 
Teilung der Erträgnisse erblicken. Die Wichtigkeit 
einer entsprechenden Besitzverteilung landwirt- 
schaftlicher Grundstücke für den Volkswohlstand 
wurde sehr häufig verkannt, einengende Schranken 
für überflüssig erklärt und volle Verkehrsfreiheit 
als Heil angesehen. Später sah man ein, daß der 
mit seiner Heimatscholle verwachsene Bauer, selbst 
wenn er mit Schulden und Lasten gedrückt ist, im 
Interesse seiner Familienexistenz dem Boden Er- 
Grundbesitz. 
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„Landhungers“" leicht eine anormale Steigerung 
der Bodenpreise, die gar zu oft eine hohe Ver- 
schuldung zur Folge haben. Häufiger Besitzwechsel 
und häufige Teilung sind im höchsten Maße nach- 
teilig für den Bauernstand und für die Gesellschaft. 
Abgesehen von der Ausbeutung der Bauern durch 
„Güterschlächter“ bei Teilungsgelegenheiten er- 
fordert die Eigentümlichkeit des landwirtschaftlichen 
Betriebes eine gewisse Stetigkeit. Was ein Bauern- 
gut erhält, ist nicht zum mindesten der an dem- 
selben zähe festhaltende Sinn der Bauernfamilie. 
Besonders der Umstand spricht sehr deutlich zu- 
gunsten der Stetigkeit des Besitzes, daß Bauern, 
die ihre Höfe ererbten, agrarische Krisen im all- 
gemeinen leichter überstehen als diejenigen Grund- 
eigentümer, die ihren Besitz im Wege des Kaufes 
erworben haben. 
Die Grenze, bis zu welcher die Zerstücklung 
des Grundbesitzes ohne Nachteil für den einzelnen 
Besitzer und die gesamte Volkswirtschaft gehen 
darf, ist nicht einheitlich zu bestimmen. Je voll- 
kommener die landwirtschaftliche Technik, je inten- 
siver der Betrieb, je zahlreicher die Möglichkeiten 
neu zu gründender Kulturen, je günstiger die 
Natur= und Kulturverhältnisse sind, um so weiter 
darf die Teilung des Grundbesitzes vor sich gehen. 
Günstige Verkehrslage, Nebenerwerbsquellen, fisch- 
reiche Binnenseen und Flüsse, Arbeitsgelegenheit 
auf größeren Gütern, alle diese Umstände ermög- 
lichen die Lebensfähigkeit an sich zu klein gewor- 
denen Grundbesitzes. Im Rheintal, in manchen 
Gegenden Süd= und Mitteldeutschlands, in der 
bayrischen Rheinpfalz, am Bonner Vorgebirge 
zeigt sich trotz äußerster Zersplitterung kein land- 
wirtschaftlicher Notstand, da der reiche Boden, die 
weite Ausdehnung von Garten= und Handels- 
gewächsbau usw. einem solchen entgegenwirken. 
  
träge abringt, wie sie ein Pächter niemals erzielen Das Gegenteil zeigen der Westerwald, der Vogels- 
würde. „Die landwirtschaftlichen Regierungsmaß= berg, der Harz usw. Güterzerstücklung kann vor- 
regeln“", sagt v. Scheel daher sehr mit Recht, teilhaft wirken in Gegenden mit vorherrschendem 
„müssen vor allem aus Wahrung der Interessen Großgrundbesitz, zur Beseitigung unwirtschaftlicher 
der mittleren Landwirte abzielen. Hier fällt Be-Gemenglage, zur Herstellung eines richtigen Ver- 
trieb und Eigentum fast zusammen. Hier kommt hältnisses zwischen Anlage= und Betriebskapital, 
die größte Fläche in Frage, hier ist das größte 1 zur Ermöglichung der Bewirtschaftung nur mit 
Kapital angesammelt. Hier ist das Interesse der Hilfe von Familienangehörigen, zur Ersparung 
Landwirtschaft mit dem anderer Erwerbszweige hoher Löhne u. a. m. 
am wenigsten vermengt.“ Da der bäuerliche Be= In etwa kann eine zu weitgehende Zerstück- 
trieb seinen naturalwirtschaftlichen Charakter (Be= lung noch gemildert werden durch das Vor- 
chäftigung von Familiengenossen, Verbrauch kommen von Gemeindeländereien, sog. Allmen- 
selbsterzeugter Produkte) wohl nie verlieren wird, I den. Allmenden sind zusammenhängende Grund- 
o entwickelt er eine große Widerstandskraft gegen stücke, welche der Gemeinde gehören und ent- 
Krisen, die dem modernen Großbetrieb mangelt. weder von dieser an die einzelnen Glieder der 
Die Teilung des Grundeigentums kann bis zu Gemeinde zur Benutzung zinsfrei vergeben oder 
einer gewissen Grenze von Vorteil sein. Denn an einzelne Gemeindemitglieder gegen Zins ver- 
mit der steigenden Intensität des Landwirtschafts= pachtet oder von der Gesamtheit der Gemeinde 
betriebes verkleinern sich die Besitzungen, und der gemeinschaftlich genutzt werden. Immeraber kommt 
Ertragswert im ganzen steigt. Bei fortgesetzter Tei= die Nutzung allen Bürgern der Gemeinde im 
lung und bei beständiger Zunahme der Bevölkerung Verhältnis zugute. Diese Allmenden sind in 
entsteht leicht eine zu große Zahl von kleinen Norddeutschland durch die „Gemeinheitsteilungen“ 
Wirten, die bei jedem kleinen Ernteausfall in eine meistens (leider!) beseitigt, in Süddeutschland, 
bedenkliche Lage geraten. Es entsteht infolge zwar aus ewiger Weide in Ackerland umgewan- 
 
	        
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