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will, sich damit noch befassen. Für die offizielle
Erziehung genügt eine sog. allgemeine Reli-
gion, die sich auf einige allgemeine Lehrsätze be-
schränkt, die keine konfessionelle Färbung tragen
und sich daher auch für Zöglinge aller Konfessionen
eignen. b) Fürs zweite soll diese religiöse Unter-
weisung und Erziehung als etwas ganz Isoliertes
neben der weltlichen Unterweisung und Erziehung
hergehen. Es ist nicht gemeint, daß der religiöse
Geist, die religiöse Erziehung die gesamte weltliche
Erziehung durchdringen und beleben müsse; nein,
die letztere hat sich der ersteren nicht unterzuordnen;
beide sind disparate Dinge, die nebeneinander
bestehen mögen, aber aufeinander keinen bestim-
menden Einfluß ausüben. — Also die Erziehung
für das irdische Leben ist es, auf welche die
moderne Pädagogik das Hauptgewicht legt. Da-
mit steht es im Einklang, wenn die letztere teilweise
die „nationale“ Erziehung als das letzte Ziel
aller erziehlichen Tätigkeit proklamiert, wobei viel-
fach die nationale Bewegung des 19. Jahrh. mit-
gewirkt hat, die ja auch eine Deutschreligion zu
entdecken sich bemühte. Daß die Erziehung auch
eine vaterländische sein soll, d. h. die besondern
Ideale, gemeinsamen Erinnerungen, Bestrebungen
usw., die jeder einzelnen Nation eigen sind, pflegen
soll, versteht sich ja eigentlich von selbst. Ent-
schieden abzulehnen ist nur das Bemühen, hierin
den höchsten Zweck jeder Erziehung erblicken zu
wollen, dem alles andere sich unterzuordnen habe.
Diesen Irrtümern gegenüber unterscheidet die
christliche Pädagogik zwischen dem primären
und sekundären Erziehungszwecke. a) Der primäre
Endzweck der Erziehung ist nach christlicher An-
schauung der, den noch unmündigen Menschen für
das ewige Leben in Gott zu erziehen, d. h. ihn
so heranzubilden, daß er, in das Alter der Reife
eingetreten, fähig, tüchtig und gewillt sei, seine
ewige, übernatürliche Endbestimmung mit aller
Energie anzustreben und alle Mittel zu gebrauchen,
welche ihn zu diesem Ziele führen können und
sollen. b) Der sekundäre Endzweck der Erziehung
ist nach christlicher Auffassung der, den Zögling
für seinen zeitlichen Beruf zu erziehen, d. h. ihn.
derart heranzubilden, daß er, in das Alter der
Reife eingetreten, fähig, tüchtig und gewillt sei,
seiner irdischen Lebensaufgabe nachzukommen, die
Pflichten, die ihm sein zeitlicher Lebensberuf auf-
erlegt, nach Gottes Willen mit freudiger Energie
zu erfüllen und dadurch, soviel an ihm ist, nicht
bloß für sein eignes Beste zu sorgen, sondern auch
das Wohl anderer, das Wohl des Ganzen, der
Sozietät, je nach seinem Berufe dem göttlichen
Willen gemäß zu fördern.
Das Verhältnis, in dem diese beiden Zwecke
der Erziehung zueinander stehen, bestimmt sich
nach dem Verhältnis, in dem das zeitliche zum
überzeitlichen Leben des Menschen überhaupt steht.
Nach christlicher Anschauung aber ist das gegen-
wärtige Leben eine Vorbereitung für die Ewigkeit;
durch energische und gewissenhafte Erfüllung seiner
Erziehung.
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irdischen Lebensaufgabe soll der Mensch zur ewigen
Seligkeit in Gott gelangen. Ist dem so, dann kann
offenbar auch in der Erziehung der sekundäre nicht
außer Beziehung zum primären Erziehungszwecke
stehen; er muß sich vielmehr dem letzteren unter-
ordnen. Das heißt: die Erziehung für das gegen-
wärtige Leben kann nicht als etwas Abgesondertes
betrachtet werden, das mit der Erziehung für das
ewige Heil nichts zu tun hätte; vielmehr muß die
Erziehung für das gegenwärtige Leben derart ge-
handhabt werden, daß der Zögling dahin komme,
all sein irdisches Tun und Lassen auf Gott als auf
sein höchstes Endziel zu beziehen, es als Mittel
zum Zwecke der Erreichung seines ewigen Heiles
zu betrachten. Demnach dürfen diese beiden Er-
ziehungszwecke auch in der erziehlichen Praxis
keineswegs voneinander getrennt werden. Die Er-
ziehung hat der Heranbildung des Zöglings für
das irdische Leben alle Sorgfalt zuzuwenden; aber
sie hat ihn dabei stets hinzuweisen auf das höchste
Ziel, dem alles irdische Tun und Lassen dienen
soll. Diese höhere Weihe muß die gesamte Er-
ziehung in ihrer praktischen Ausübung durch-
dringen; nur so hält sie die rechte Bahn ein und
bringt Früchte des Segens für den zu Erziehenden.
Daraus ist schon ersichtlich, daß die christliche Er-
ziehung das nationale Element nicht schlechterdings
ausschließt. Denn da der Zögling auch für das
irdische Leben erzogen werden muß, so muß er auch
in jene irdische Gemeinschaft hineinerzogen werden,
die in der Nationalität sich darstellt. Nur darf nach
christlicher Anschauung der Nationalgeist und das
nationale Interesse nicht an die Spitze aller erzieh-
lichen Bestrebungen gestellt werden, so daß darüber
im Zögling das Bewußtsein der Zusammengehörig-
keit aller Nationalitäten in der einen großen Gottes-
familie, der Sozietät, sowie die gegenseitige christ-
liche Liebe, die auch zwischen den Nationen als
Band der Einigung walten muß, verloren geht.
Den Nationalstolz und den Nationalhaß darf die
Erziehung nicht nähren; das wäre nicht christlich,
sondern heidnisch.
Um aber über das Wesen der Erziehung voll-
kommen ins klare zu kommen, ist nicht bloß ihr
Endzweck festzustellen, sondern es muß auch die
ethische Beschaffenheit desjenigen ins Auge ge-
faßt werden, der erzogen werden soll. Denn nach
dieser wird es sich gleichfalls bestimmen müssen,
welchen Charakter die Erziehung dem Zögling
gegenüber anzunehmen hat. — Die naturalistische
Pädagogik, die zunächst von Rousseau ihren Aus-
gang genommen hat, ist der Ansicht, daß das Kind,
wie es in die Hand des Erziehers kommt, von
Natur aus böllig gut sei, daß kein Keim, keine
Neigung zum Bösen von Natur aus in ihm sei,
daß vielmehr alles Böse erst von außen, durch die
widrigen Einflüsse seiner Umgebung in dasselbe
komme, und daß daher das Kind in jeder Bezie-
hung ganz normal sich entwickeln werde, wenn man
nur dafür sorge, daß von außen nichts Böses in
seine Seele dringe. Dies vorausgesetzt, wird