Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Die Gesetzgebung über die Gebäudesteuer ist in 
Frankreich nicht von der über die Grundsteuer 
getrennt. Der bebaute Boden wird eingeschätzt als 
Boden der obersten Klasse, außerdem die Gebäude 
nach dem Mietswert nach Abzug von ¼ und ½% 
ersteres bei Wohnhäusern. Ergänzend tritt dazu 
die sehr unvollkommene Tür= und Fenstersteuer, 
welche, aus der Revolutionszeit herstammend, öf- 
teren Veränderungen unterworfen wurde. 
England hat an Stelle der früheren Fenster- 
steuer und der Wohnungs= und Mietssteuer seit 
1851 eine einzige reformierte Wohnungssteuer (in- 
habited houses tax), welche vom Bewohner bzw. 
Mieter zu zahlen ist und einen Teil der Einkommen- 
steuer bildet. Wohnhäuser unter 20 Pfund Ster- 
ling Ertrag sind frei, ebenso leerstehende Häuser. 
Steuerfuß bei Wohnhäufern ist 3,75%, bei ge- 
werblich benutzten Gebäuden 2,50% . Weitere Er- 
mäßigungen haben in neuerer Zeit aus sozialen 
Gründen stattgefunden. 
III. Die Grundwertsteuer. Dienach dem Wert- 
kataster erhobene Grundsteuer bildet gewissermaßen 
das Bindeglied zwischen der alten vorwiegend 
agrarischen Grundsteuer und der modernen Grund- 
steuer nach dem gemeinen Wert (Grund- 
wertsteuer). Man bezeichnet mit „gemeinem Wert“ 
den Wert, welcher das einzelne Grundstück nach 
den örtlichen Verhältnissen und Erfahrungen für 
den Eigentümer hat, den Verkehrswert. Die 
Grundwertsteuer ist keine Ertragssteuer, sondern 
eine Vermögenssteuer, in vielen Fällen eine Steuer 
auf spekulative Vermögensanlagen, bei denen man 
in Erwartung eines zukünftigen Gewinnes zeit- 
weilig auf Einkommen verzichtet. In gleicher 
Weise wie die Wertzuwachs= und die Umsatzsteuer 
(ogl. d. Art. Wertzuwachssteuer) hat die Grund- 
wertsteuer erst im letzten Jahrzehnt praktische Be- 
deutung erlangt, nicht zuletzt infolge der Agitation 
der Bodenreformer und des Umstandes, daß die 
Kommunen, für welche diese Steuerarten besonders 
geeignet sind, infolge ihrer vielseitigen Aufgaben 
sich nach neuen Steuerquellen umsehen und eine 
Reformierung ihres Steuersystems vornehmen 
mußten. Erhoben wird die Grundwertsteuer von 
Bauländereien (Bauplatzsteuer) und von be- 
bauten Grundstücken (Gebäudewertsteuer). 
Sie hat nicht nur steuertechnische Vorzüge, da das 
Steuerobjekt leistungsfähig und leicht zu ermitteln 
ist, sondern soll auch volkswirtschaftliche und sozial- 
politische Wirkungen zeitigen. Sie beschränkt den 
unverdienten Gewinn, der den Besitzern aus der 
Umwandlung von Acker- in Bauland und dem 
Wachstum der städtischen Bodenrente zufällt, 
macht die durch kommunale Entwicklung ohne 
jedes Hinzutun des Eigentümers verursachte Wert- 
steigerung zu einem gewissen Teil auch der Allge- 
meinheit nutzbar und will die für das Bauwesen 
und die städtischen Wohnungsverhältnisse äußerst 
nachteilige Bodenspekulation erschweren. Die Ge- 
bäudewertsteuer geht vom Kapitalwert der Häuser 
unter Berücksichtigung der Lage, der Nutzbarkeit, 
des Mietertrags, des Umfangs, der baulichen Ein- 
richtung u. dgl. aus. Während die Veranlagung 
Grund= und Gebäudesteuer. 
  
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der Gebäudesteuer nach dem Nutzungswert (Brutto- 
mietsertrag) die Kleinwohnungshäuser im Ver- 
hältnis zu den Häusern mit großen Wohnungen 
und den Luxusgebäuden, die Wohnhäuser über- 
haupt im Vergleich mit den Fabriken, Geschäfts- 
und Warenhäusern wesentlich höher belastet, zeigt 
die Gebäudewertsteuer ihre günstige Wirkung 
auch darin, daß sie die Häuser mit kleinen Woh- 
nungen gegenüber den Herrschaftshäusern mit 
ihrem großen Komfort (Gartenanlagen u. dgl.) und 
den dem Gewerbebetrieb dienenden Gebäuden, 
weit geringer, z. T. um 30 bis 40%, faßt. 
Wie schon erwähnt, kommt die Grundwertsteuer 
vorwiegend, ebenso wie die Umsatz= und Wert- 
zuwachssteuer, als Gemeindesteuer in Betracht. In 
Preußen wurde sie als solche zugelassen durch das 
Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893 und 
den Gemeinden ihre Erhebung dringend emp- 
fohlen, sowie die nötigen Fingerzeige gegeben 
(Runderlasse des Finanzministers und des Mi- 
nisters des Innern vom 2. Okt. 1899). Nach 
einer 1904 veröffentlichten Denkschrift des preu- 
ßischen Statist. Landesamtes hatten bis dahin 
71 Stadt= und 53 Landgemeinden von dem 
Rechte Gebrauch gemacht. Inzwischen haben sich 
diese Zahlen sehr erhöht. Die Steuersätze schwan- 
ken zwischen 1½ und 4¾ vom Tausend. In 
einzelnen Städten bestehen für Bauplätze höhere 
Sätze als für bebaute Grundstücke. In Mürt- 
temberg und Baden hat sich aus der alten nach 
dem Ertrag (Nutzungswert) erhobenen staatlichen 
Grund= und Gebäudesteuer eine staatliche Ge- 
bäudewert-(Gebäudevermögens) steuer entwickelt. 
In Württemberg gilt das Gesetz vom 6. Aug. 
1903; den Maßstab der Besteuerung bildet der 
„volle, verkehrsmäßige Kapitalwert“. Für die 
badische Grund= und Haussteuer brachten die 
Gesetze vom 6. und 9. Aug. 1900 die Veranla- 
gung nach dem „laufenden Wert“, der nach dem 
in der Zeit von 189 5/99 erzielten Kaufpreisen, 
Mietzinsen u. dgl. ermittelt wurde. Dieses Ge- 
setz hat das badische Vermögenssteuergesetz vom 
28. Sept. 1906 beseitigt. Der Gebäude= und 
der Grundstückskataster bilden jetzt Teile des Ge- 
samtkatasters der Vermögenssteuer. Während aber 
die staatliche badische Vermögenssteuer einen Schul- 
denabzug bis zur Hälfte der Summe der veranlag- 
ten Werte zuläßt, kennt die sich an die Staats- 
steuer eng anlehnende badische kommunale Ver- 
Mögensbesteuerung einen solchen nicht (Gesetz vom 
19. Okt. 1906; Gemeinde= bzw. Städteordnung 
(§ 82)). Die Gemeindebesteuerung ist ferner, wie 
bisher eine Besteuerung der einzelnen Vermögensbe- 
standteile, also der Grundstücke, Gebäude u. dgl. 
geblieben. Der Beitragsmaßstab für die einzelnen 
Vermögensbestandteile wird, ebenso wie bisher, 
verschieden bestimmt, Grundstücke, Gebäude und 
gewerbliches Vermögen werden grundsätzlich im 
vollen für die Staatssteuer eingeschätzten Betrag 
und mit dem gleichen Umlagefuß zur Gemeinde- 
steuer herangezogen, das Kapitalvermögen nur 
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