Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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meine zivilrechtliche Haftpflicht, welche als solche 
neben den Bestimmungen der Kranken= und Un- 
fallversicherungsgesetzgebung für gewerbliche Ar- 
beiter steht und diese nach dem Einf.Ges. Art. 32 
unberührt läßt. Die besondere Haftpflicht der 
§58 833/834 (Stierhalter), welche ohne Rücksicht 
auf Verschulden eintritt, ist durch Gesetz vom 
30. Mai 1908 den Wünschen der ländlichen Be- 
völkerung und der kleinen Gewerbetreibenden ent- 
sprechend gemildert worden. — Über die Frage 
einer reichsgesetzlichen Reglung der Haftpflicht der 
Straßenbahnen für Sachschäden schweben Erörte- 
rungen. Indes ist noch nicht abzusehen, ob sie zur 
Vorlage eines Gesetzentwurfs seitens der verbün- 
deten Regierungen führen werden. In Preußen 
kommen in dieser Frage die 88 823 und 831 des 
B.G.B. in Betracht, da das preußische Eisenbahn- 
gesetz vom 3. Nov. 1838 mit seiner Haftpflicht für 
Körper= und Sachschäden sich nur auf Vollbahnen 
bezieht. In Elsaß-Lothringen haften die Konzes- 
sionsinhaber bzw. Pächter der Eisenbahn für den 
aus dem Betrieb entstehenden Schaden. Bayern, 
Württemberg, Hessen. Braunschweig, die thürin- 
gischen Staaten und Lübeck haben diese Haftpflicht 
auf Grund des Art. 105 des Einf.Ges. zum 
B.G.B. durch besondere Gesetze geregelt. 
2. Ausländische Gesetzgebung. a) Oster- 
reich. Unter den übrigen modernen Kultur- 
staaten hatte bis vor kurzem auch Osterreich keine 
besondern Grundsätze über die Haftpflicht bei ge- 
werblichen Unternehmungen mit Ausnahme der 
Haftpflicht bei Eisenbahnen. Dagegen waren seine 
allgemeinen Grundsätze über die Schadenersatz- 
pflicht bei Unfällen etwas sorglicher ausgebildet. 
Nach dem Allg. B.G.-B. von 1811 8§ 1295ff 
haftet in allen obligatorischen und nicht obligato- 
rischen Verhältnissen, also sowohl gegenüber den 
eigenen Arbeitern als gegenüber allen Dritten, der 
Gewerbeunternehmer in der Regel nur für sein 
eigenes Verschulden, nicht aber für das seiner Ge- 
hilfen, Bediensteten und überhaupt jener Per- 
sonen, deren er sich beim Betriebe bedient, es sei 
denn, daß ihm bei der Wahl, Bestellung oder Bei- 
behaltung dieser Personen ein Verschulden zur Last 
fiele (ogl. 88 1161 und 1315, dazu 1010). Bei 
den weitaus zahlreicheren Unfällen, welche durch 
Angestellte verschuldet sind, bedurfte es daher eines 
doppelten Verschuldens: eines direkten des Ange- 
stellten und eines indirekten des Unternehmers bei 
der Wahl. Bestellung oder Beibehaltung dieses 
Angestellten. Für Zufall und die allgemeine Ge- 
fährlichkeit des Betriebes wurde von keinem ge- 
haftet. Strenger normiert war nur die für unsere 
Frage allerdings hochwichtige Haftung der Eisen- 
bahnunternehmungen durch das Gesetz vom 5. März 
1869. Diese haften nach demselben unbedingt für 
alle in dem Verkehr der Eisenbahnen sich ereignen- 
den Unfälle, also nicht nur für das Verschulden 
aller ihrer Leute, sondern auch für zufällige, beim 
Bahnbetrieb erfolgte körperliche Verletzungen, so- 
fern nicht die schädigende Ursache auf höhere Ge- 
Haftpflicht. 
  
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walt oder eigene Schuld des Beschädigten zurück- 
zuführen ist. Im übrigen war die Haftpflicht des 
Unternehmers dieselbe bei allen gewerblichen Unter- 
nehmungen, bei den Handwerken, den Fabriken, 
der Landwirtschaft usw. 
Der Umfang der Haftpflicht war in den 88 1325 
bis 1327 des genannten Gesetzbuchs folgender- 
maßen festgesetzt: Bei Verletzungen sind die Hei- 
lungs= und Genesungskosten, dann der gesamte 
entgangene Gewinn, also der Lohn für die Zeit 
der Krankheit, und wenn der Verletzte zum Erwerb 
unfähig geworden ist, auch der künftig entgehende 
Gewinn zu ersetzen, auf Verlangen auch ein an- 
gemessenes Schmerzensgeld zu zahlen. Bei Tö- 
tungen müssen alle Kosten, insbesondere Krank- 
heits= und Begräbniskosten, ersetzt und denjenigen 
Personen, welche der Getötete zu ernähren ver- 
pflichtet war, insbesondere dessen Witwe und Kin- 
dern, alles vergütet werden, was ihnen durch den 
Todesfall entgangen ist. Die Verpflichtung dauert 
solange, als der Getötete verpflichtet gewesen wäre, 
diesen Personen den Unterhalt zu geben. Die Be- 
weislast richtet sich nach der allgemeinen Regel: 
Was man behaupten muß, muß man beweisen; 
der Verletzte muß zur Begründung seiner Kiage 
die Schuld des Unternehmers, sei es eine direkte 
oder indirekte in der Wahl seiner Angestellten, 
und im letzteren Falle dazu die Schuld des Ange- 
stellten behaupten und auch beweisen; ebenso muß 
er das Bestehen und die Größe des Schadens dar- 
tun. Soweit eine Schuld nicht bewiesen werden 
kann, gilt die Vermutung, daß der Schaden ohne 
die Schuld eines andern entstanden ist. Bei Un- 
fällen im Eisenbahnbetrieb trifft den Unternehmer 
die Beweislast, daß die ihn entschuldigenden Um- 
stände, also höhere Gewalt oder eigene Schuld 
des Beschädigten, vorliegen. Für die Eisenbah- 
nen war damit die Haftpflicht in einigermaßen 
zureichender Weise geregelt. Für die sämtlichen 
andern Gewerbe jedoch waren die obigen Bestim- 
mungen auch in ÖOsterreich, wie die Erfahrung 
zeigte, völlig unzulänglich. Nur etwa 5 % aller 
Unfälle in solchen kamen zur Entschädigung. Ver- 
suche, die Bestimmungen des Eisenbahngesetzes zu 
verallgemeinern, scheiterten. Die Lage des Arbeiter- 
standes war dabei noch gedrückter als in Deutsch- 
land. Das sozialpolitische Vorgehen im Deutschen 
Reich fand darum bald Nachahmung. Unter dem 
28. Dez. 1887 kam ein neues Gesetz betreffend 
die Unfallversicherung der Arbeiter zustande. Es 
beruht auf obligatorischen, auf Gegenseitigkeit be- 
gründeten Versicherungsanstalten in territorialer 
Gliederung, gemeinschaftlich für alle einbegriffenen 
Gewerbszweige, unter Abweisung einer berufs- 
genossenschaftlichen Organisation, ohne staatliche 
Hilfe. unter Ausschluß aller Privatversicherung. 
Am 6. April 1888 schuf man auch ein Gesetz über 
die Krankenversicherung der Arbeiter. Beide Ge- 
setze waren zusammen eingebracht worden und bil- 
den ein einheitliches Ganzes. Durch diese beiden 
Gesetze ist auch in Osterreich das Stadium der
	        
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