Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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natürlichen Endzieles ist er verlustig gegangen durch 
die Sünde, durch die das Menschengeschlecht aus 
der übernatürlichen Ordnung herausgetreten ist 
und sich in Gegensatz zu Gott gesetzt hat. Durch 
das Erlösungswerk Christi aber ist der Mensch mit 
Gott versöhnt und in die übernatürliche Ordnung 
wieder aufgenommen worden; durch Christus und 
sein Werk ist ihm also seine übernatürliche End- 
bestimmung wieder erreichbar. Aber auch nur durch 
Christus. Es gibt keinen andern Weg zum Himmel 
als den, der uns in Christo gebahnt ist. „Nie- 
mand kommt zum Vater, außer durch miich“ 
(Joh. 14, 6). Verhält es sich aber so, dann muß 
notwendig auch für die Erziehung das Christentum 
das belebende und leitende Prinzip sein. Sie soll 
ja den Zögling heranbilden für seinen zeitlichen 
Beruf und für seine ewige Bestimmung. Nun kann 
aber der Mensch, wie wir soeben gesehen, seine 
ewige Bestimmung nur erreichen durch das Chri- 
stentum, und folglich kann er auch seine zeitliche 
Lebensaufgabe nur dann so erfüllen, wie er sie 
nach Gottes Willen erfüllen soll, wenn er sie im 
christlichen Geist erfüllt. Deshalb muß die ganze 
Erziehung auf dem Christentum beruhen; der 
christliche Geist ist es, von dem die Erziehung in 
allen ihren Verzweigungen durchdrungen und ge- 
tragen sein muß, wenn sie ihrem Zwecke genügen 
soll. Nur dadurch wird es der Erziehung auch 
gelingen, den Zögling sittlich zu machen und das 
Böse in ihm wirksam zu bekämpfen. Das positive 
Christentum allein kann eine sittlich bildende Wirk- 
samkeit in der Erziehung ausüben. Wo dieses ver- 
lassen wird, da erfolgt Verwilderung der Jugend 
in gröberer oder in feinerer Form. 
3. Stellung des Erziehers zum 
Zögling. Es ergibt sich nun die weitere Frage, 
welche Stellung denn der Erzieher dem Zögling 
gegenüber einzunehmen hat. Die naturalistische 
Pädagogik, die von einer „freien Selbstentwick- 
lung“ des Zöglings träumt, ist der Ansicht, daß 
der Erzieher von dem Zögling keinen Gehorsam 
fordern dürfe. Die Worte „befehlen“, „gehorchen“, 
meint Rousseau, müßten aus dem Wörterbuch der 
Erziehung ausgestrichen werden. Der Wille des 
Zöglings solle keine andere Schranke kennen als 
die Notwendigkeit, an der er sich bricht. Nach den 
Grundsätzen der christlichen Erziehungslehre da- 
gegen ist die Stellung des Erziehers dem Zögling 
gegenüber eine autoritative, die als solche von 
seiten des letzteren Gehorsam heischt; denn der Er- 
zieher leitet und führt den Zögling auf dem Wege, 
den er gehen muß, um zum Ziele der Erziehung 
zu gelangen. Eine Leitung und Führung kann 
aber nur von einer Autorität ausgehen. Wer einen 
andern leitet, der muß rechtliche Gewalt über dessen 
Willen haben, weil er ihn nur unter dieser Be- 
dingung zu jener Richtung bestimmen kann, die 
ihm zu geben die Leitung bezweckt. In jener recht- 
lichen Gewalt über den Willen des andern besteht 
aber eben die Autorität. Fragen wir weiter, worin 
denn die autoritative Stellung des Erziehers in 
Erziehung. 
  
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der Erziehung begründet sei, so sind wir in dieser 
Beziehung nicht etwa auf die höhere Einsicht oder 
Macht des Erziehers, sondern auf Gottes Ordnung 
verwiesen. Denn diese bringt es mit sich, daß der 
Mensch erzogen werden muß, und da eine Erziehung 
ohne erziehliche Autorität sich nicht denken läßt, 
so ist auch letztere in Gottes Ordnung begründet, 
und zwar in Kraft des göttlichen Gebotes: „Du 
sollst Vater und Mutter (und deren Stellvertreter) 
ehren!“ Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint 
die erziehliche Autorität als eine Teilnahme an 
der göttlichen Autorität, der Erzieher in der er- 
ziehlichen Leitung des Zöglings als Gottes Stell- 
vertreter. 
Das Erziehungsamt steht in erster Linie den 
Eltern zu. Sie sind die geborenen Erzieher 
ihrer Kinder. Dies gilt sowohl in der natürlichen 
als auch in der übernatürlichen Ordnung. Nach 
jener gehört die Erziehung des Kindes in die 
Familie, und in dieser sind die Eltern die Träger 
aller Autorität, also auch der erziehlichen. In der 
übernatürlichen, christlichen Ordnung aber wird 
durch das Sakrament der Ehe den Eltern zugleich 
das Erziehungsamt übertragen, insofern jenes 
Sakrament sie anweist, die Kinder, die sie er- 
zeugen, für das Reich Gottes zu erziehen und da- 
mit die Zahl der Kinder Gottes zu vermehren. 
Wohnt aber den Eltern die erziehliche Autorität 
in erster Linie bei, so ist damit gesagt, daß die 
Eltern sowohl das Erziehungsrecht als auch die 
Erziehungspflicht haben; das Erziehungsrecht: 
denn die erziehliche Autorität kommt ihnen von 
Gott, und darum haben sie jedem andern gegen- 
über das Recht, an dieser erziehlichen Autorität 
festzuhalten und sie zum Besten ihrer Kinder aus- 
zuüben; die Erziehungspflicht: denn sowohl die 
natürliche als auch die übernatürliche Ordnung 
verpflichtet sie, für das Beste ihrer Kinder zu 
sorgen, sie also auch zu ihrem zeitlichen und ewigen 
Wohl durch die erziehliche Leitung zu führen. — 
Das Erziehungsrecht ist für die Eltern unver- 
äußerlich. Von keiner Macht, sei sie welche sie 
wolle, darf es ihnen geraubt werden. Es wäre 
dies ein Eingriff in die von Gott gesetzte Ord- 
nung. Allerdings, wenn die Eltern die Erziehung 
ihrer Kinder vollständig vernachlässigen oder ihr 
Recht gar zum Schaden des Kindes mißbrauchen, 
dann muß die Obrigkeit eingreifen, weil auch das 
Kind ein Recht auf Erziehung hat, und da kann 
es dann wohl gerechtfertigt sein, daß das Kind zur 
Sicherung seiner Erziehung andern Händen an- 
vertraut werden muß; aber damit wird das elter- 
liche Recht nicht aufgehoben, sondern nur das 
Kind gegen den Mißbrauch dieses Rechts ge- 
schützt. — Ebenso ist die Erziehungspflicht der 
Eltern streng genommen eine persönliche. In die 
Familie gehört das Kind, hier soll es von den 
Eltern erzogen werden; dazu ist die Familie von 
Gott geordnet nach natürlicher und christlicher 
Ordnung. Nur in Fällen, wo die Eltern außer- 
stande sind, der vollen Erziehungspflicht zu ge- 
 
	        
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