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Einrichtungen bei der hochentwickelten Industrie
Belgiens nicht genügen würden, lag auf der Hand.
Gleichwohl erging erst im Jahre 1903 ein Gesetz,
wonach alle Unfälle in gewerblichen und landwirt-
schaftlichen Betrieben mit einer bestimmten Zahl
von Arbeitern zu entschädigen sind, es sei denn,
daß sie absichtlich verursacht wurden.
e) Schweiz. Die Bestimmungen über die
Schadenersatzverbindlichkeit bei gewerblichen Un-
glücksfällen sind in den einzelnen Kantonen sehr
verschieden, indem dieselben sich teils dem fran-
zösischen teils dem deutschen oder österreichischen
Recht anschließen. Ausnahmebestimmungen für
das ganze Land bestehen für Eisenbahnen ein-
schließlich Eisenbahnbau und Dampfschiffahrt in
dem Bundesgesetz vom 5. Juli 1871, und für
Fabriken in dem Bundesgesetz vom 23. März
1877. Beide Gesetze enthalten lediglich eine be-
deutende Ausdehnung der Haftpflicht im engeren
Sinne. Sie hatten zur Folge, daß die Betriebs-
unternehmer fast ausnahmslos ihre Arbeiter
auf eigene Kosten bei Versicherungsgesellschaften
gegen alle haftpflichtigen Unfälle versichert haben.
Weiter ging dann das Bundesgesetz betreffend die
Haftpflicht aus Fabrikbetrieb vom 25. Juni 1881,
und zwar noch erheblich weiter, als das deutsche
Haftpflichtgesetz gegangen war. Nach diesem
haftet in allen Fabriken der Betriebsinhaber
nicht nur, wenn ein Mandatar, Repräsentant,
Leiter oder Aufseher der Fabrik die Verletzung
oder den Tod eines Angestellten oder Arbeiters ver-
schuldet, sondern auch ohne ein solches Verschulden,
insofern er nicht beweist, daß der Unfall durch
höhere Gewalt oder durch Verbrechen oder Ver-
gehen dritter Personen oder durch eigenes Ver-
schulden des Verletzten oder Getöteten erfolgt ist.
In Betrieben, welche gefährliche Krankheiten er-
zeugen, haftet er auch für den Schaden aus Krank-
heiten, wenn die Erkrankung erwiesenermaßen
und ausschließlich durch den Betrieb der Fabrik er-
folgt ist. Ein weiteres Bundesgesetz vom 26. April
1887 betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht
und die Ergänzung des vorstehend erwähnten
Bundesgesetzes läßt die zivilrechtlichen Grundsätze
des letzteren unberührt, dehnt aber die Haftpflicht
aus unter anderem auf alle Gewerbe, in denen
explodierbare Stoffe erzeugt oder verwendet wer-
den, auf das Baugewerbe, die Fuhrhalterei, den
Schiffsverkehr und die Flößerei, die Aufstellung
von Telegraphen= und Telephonleitungen, den
Eisenbahntunnel- usw. Bau, endlich den Berg-
werksbetrieb. Es verordnet ferner, daß bedürf-
tigen Personen, welche Haftpflichtansprüche gel-
tend zu machen haben, kostenfreier Prozeß ge-
währt werde.
t) Schweden. Ursprünglich war jeder Urheber
einer schädigenden Handlung zum Ersatze ver-
pflichtet. Ein Verschulden kam lediglich bei Ab-
messung der Höhe der Entschädigung in Betracht.
Später hing die Schadenersatzpflicht vom vor-
sätzlichen Verschulden ab. Im Gesetz vom 12. März
Haftpflicht.
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1886, betreffend die Haftpflicht bei Unglücksfällen
im Eisenbahnbetriebe, erstreckte sie sich auf die An-
gestellten, welche bei Ausführung ihrer Dienst-
verrichtungen getötet oder verletzt wurden. Gegen-
über dieser Haftpflicht war nur der Einwand zu-
lässig, daß der Unfall durch Nichtbeobachtung der
bestehenden Bestimmungen oder durch grobe Fahr-
lässigkeit verursacht ist. Die Art der Ersatzleistung
war Geldentschädigung in gesetzlich festgelegter
Höhe. Schadenersatz durch eine Unfallversiche-
rung befreite den Unternehmer von seiner Ver-
pflichtung. Das am 5. Juli 1901 veröffentlichte,
am 1. Jan. 1903 in Kraft getretene Gesetz, be-
treffend den Ersatz für Schaden, welcher aus Be-
triebsunfall herrührt, legt allen Arbeitgebern,
welche eine der im § 2 namentlich und ausschließ-
lich aufgeführten Beschäftigungen gewerbsmäßig
ausüben, die Verpflichtung zur Schadloshaltung
der bei Ausübung einer solchen Verrichtung ihren
Arbeitnehmern zugestoßenen Unfälle auf. Vor-
aussetzung hierfür ist, daß weder der Geschädigte
noch ein nicht aufsichtspflichtiger Dritter den Un-
fall absichtlich verursacht hat. Die Entschädigungs-
pflicht läuft erst vom 60. Tage nach dem schädi-
genden Ereignis und besteht in sehr beschränktem
Umfange, nämlich für vorübergehende Arbeits-
unfähigkeit in einer täglichen Krankenunterstützung
von nur einer Krone, bei dauernder Arbeits-
unfähigkeit in einer jährlichen Rente bis höchstens
300 Kronen, bei tödlichen Unfällen in einer Be-
gräbnisbeihilfe von 60 Kronen und einer Hinter-
bliebenenrente bis 300 Kronen. In allen diesen
Fällen steht es jedoch dem Entschädigungsberech-
tigten frei, die Haftpflicht seines Arbeitgebers nach
dem Gemeinen Rechte geltend zu machen. Sowohl
Betriebsunternehmer als auch Arbeiter können sich
bei der auf Grund desselben Gesetzes errichteten
staatlichen Reichsversicherungsanstalt gegen ge-
werbliche Unfälle versichern. Freiwillige Versiche-
rung bei dieser Anstalt befreit den Arbeitgeber
von seiner Haftung.
8) Rußland. Am 1. Jan. 1904 ist auch hier
ein neues Gesetz in Kraft getreten, betreffend die Ar-
beiterunfälle in Fabriken, Hüttenwerken und Berg-
werksbetrieben, welche Privatfirmen, Städten oder
Gouvernements gehören. Ihm zufolge macht jeder
Betriebsunfall bei einer mehr als dreitägigen, un-
verschuldeten Erwerbsunfähigkeit ersatzpflichtig.
Der Unternehmer kann sich seiner Haftpflicht nur
durch den Nachweis der Mutwilligkeit oder der
groben Fahrlässigkeit des Geschädigten entledigen.
Der Schadenersatz besteht in unentgeltlicher ärzt-
licher Behandlung und zwei Dritteln des orts-
üblichen Tagelohnes als Krankenunterstützung vom
Unfall bis zur Wiederherstellung, bei dauernder
Erwerbsunfähigkeit in Zuerkennung einer Rente.
Ihre Höhe ist in dem Arbeitsvertrage, welcher der
Genehmigung des Fabrikinspektors unterliegt, zu
regeln. Tödlicher Unfall verpflichtet den Arbeit-
geber zur Leistung der Begräbniskosten und einer
genau bestimmten Hinterbliebenenrente.