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n) Amerika. Das Recht der Vereinigten
Staaten von Amerika knüpft in seinen allgemeinen
Grundsätzen an das ältere englische Recht an, das
dem Arbeiter sehr ungünstig ist. Der Unternehmer
haftet nur für eigene Schuld, und zwar für Nach-
lässigkeit bei eigenem Tun, für Nachlässigkeit in
Bezug auf die Gebäude, die Maschinen, das Roh-
material und die Werkzeuge und endlich für Nach-
lässigkeit in der Anstellung von unfähigen oder
fahrlässigen Bediensteten. Nachlässigkeit ist die
Außerachtlassung der gewohnheitsmäßigen und in
dem besondern Gewerbe billig zu fordernden Sorg-
falt. Da die gefährlicheren Gewerbe eine größere
Sorgfalt erfordern, so muß in diesen der Unter-
nehmer auch für größere Sorgfalt einstehen; dies
gilt insbesondere für Eisenbahnen. Für letztere
bestimmt weiter ein Spezialgesetz von 1908, daß
öffentliche Verkehrsanstalten und Frachtführer des
zwischenstaatlichen Handelsverkehrs auch dann haf-
ten, wenn der Unfall ganz oder teilweise durch
Nachlässigkeit eines Angestellten oder durch un-
zulängliche Ausrüstung des Fahrzeuges herbei-
geführt worden ist. Jede anderweitige Verein-
barung ist nichtig. Trotz dieses kleinen Fort-
schrittes ist die Haftpflichtgesetzgebung des Bundes
wie der einzelnen Staaten noch sehr rückständig.
Zum Teil liegt dies an der Macht der Trusts, zum
Teil an dem allgemeinen Widerwillen gegen jede
gesetzliche Einengung.
Diese Übersicht zeigt, daß in den meisten In-
dustrieländern bis zu einer gedeihlichen Reglung
der Entschädigung der industriellen Arbeiter bei
Betriebsunfällen für die Gesetzgebung noch viel
zu tun ist. Ein Stehenbleiben auf dem Boden
der engeren Haftpflichtauffassung, welche den ver-
unglückten Arbeiter wegen seiner Entschädigung
nur an seinen Arbeitgeber verweist, dürfte sich
immer mehr als ungenügend erweisen. Diese
Konstruktion entspricht der rein individualistischen
Auffassung des Verhältnisses zwischen Arbeit-
geber und Arbeiter, wie sie die manchesterliche
Lehre ausgebildet hat. Betrachtet man dagegen
die Haftpflichtfrage im Gesamtrahmen der großen
sozialen Frage, so erhebt sich für alle industriell
fortgeschrittenen Länder die unabweisbare Forde-
rung eines Hinausgehens über jene individua-
listische Auffassung des Verhältnisses von Arbeit-
geber und Arbeiter und einer organischen Lösung
der Frage auf Grund einer korporativen Zusam-
menfassung der Industrie. Das Beispiel ist in der
neueren deutschen Gesetzgebung gegeben worden,
und zwar in verhältnismäßig glücklicher Weise.
Von allen neuen großen sozialen Reformwerken
des Deutschen Reiches ist die Unfallversicherung,
trotz vieler Schwächen und Mängel, am besten ge-
lungen. Es ist zu wünschen, daß auf dem hiermit
gezeigten Wege die engere Auffassung der Haft-
pflichtfrage allmählich in allen Industrieländern
überwunden werde.
II. Haflpfsticht bei Automobilunfällen.
Eine neue Aufgabe wurde der Haftpflichtgesetz-
Haftpflicht.
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gebung gestellt durch das Entstehen und die rasche
Zunahme des Automobilverkehrs. Am 1. Jan.
1907 wurden im Deutschen Reiche bereits 27026,
am 1. Jan. 1908 36022 Kraftfahrzeuge gehalten,
davon die größere Hälfte Krafträder, die kleinere
Kraftwagen. Vom 1. Okt. 1906 bis 30. Sept.
1907 verkehrten zudem 5686 ausländische Kraft-
fahrzeuge, darunter 5254 Kraftwagen. Die Zahl
der durch Kraftfahrzeuge verursachten Unfälle
betrug im Sommerhalbjahr 1906 2290; vom
1. Okt. 1906 bis 30. Sept. 1907 war sie auf
4864 gestiegen. Angesichts der besondern Ge-
fährlichkeit dieses Betriebes reichen die allge-
meinen Vorschriften des B.G.B. 88 823 ff nicht
mehr aus. Ein Entwurf zur anderweitigen Reg-
lung der Haftpflicht der Automobilhalter wurde
am 1. März 1906 dem Reichstag unterbreitet,
kam aber nicht zur Erledigung. Ein neuer Ent-
wurf wurde am 24. Okt. 1908 dem Reichstag
vorgelegt und Mitte März 1909 von ihm ent-
sprechend den Kommissionsbeschlüssen verabschiedet.
Da der Bundesrat ihnen wohl zustimmen wird,
dürfte sich das künftige Reichsautomobilgesetz in
drei Abschnitte gliedern: 1) Verkehrsvorschriften,
2) Haftpflicht, 3) Strafvorschriften. Besonders
lebhaft waren die Verhandlungen über die Haft-
pflichtvorschrisften. Unter Zugrundelegung des Ge-
fährdungsprinzips erhielten dieselben schließlich
folgende Fassung:
„Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges
ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesund-
heit eines Menschen verletzt oder eine Sache be-
schädigt, so ist der Halter des Fahrzeuges ver-
pflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden
Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht ist aus-
geschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwend-
bares Ereignis verursacht wird, welches weder
auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahr-
zeuges noch auf einem Versagen seiner Vorrich-
tungen beruht. Als unabwendbar gilt ein Ereig-
nis insbesondere dann, wenn es auf das Verhalten
des Verletzten oder eines nicht bei dem Betrieb
beschäftigten Dritten oder eines Tieres zurück-
zuführen ist und sowohl der Halter als der Führer
des Fahrzeuges jede nach den Umständen des
Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Wird
das Fahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahr-
zeughalters von einem andern in Betrieb gesetzt,
so ist dieser an Stelle des Halters zum Ersatz des
Schadens verpflichtet.“
Diese Vorschriften finden keine Anwendung,
wenn zur Zeit des Unfalls der Verletzte oder die
beschädigte Sache durch das Fahrzeug befördert
wurde oder der Verletzte bei dem Betrieb desselben
tätig war oder der Unfall durch ein Fahrzeug
verursacht wurde, welches nur zur Beförderung
von Lasten dient und auf ebener Bahn eine auf
20 km begrenzte Geschwindigkeit in der Stunde
nicht übersteigen kann. Wiederholt drohte die Re-
gierung den ganzen Entwurf scheitern zu lassen;
so bei Beratung der zuletzt erwähnten Vorschrift,