Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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1849 als „Faustin I.“ den Kaisertitel an und 
spielte mit seinem Hofstaate einen lächerlichen 
Mummenschanz. Seiner verhaßten Herrschaft 
machte 1859 ein Militäraufstand ein Ende; der 
farbige General Geffrard übernahm die Leitung 
der wiederhergestellten Republik. Geffrard wurde 
1867 von Salnave gestürzt, dessen Ermordung 
(15. Jan. 1870) den Anfang neuer Parteikämpfe 
bezeichnet. Rasch folgten die Präsidenten aufeinan- 
der, bis es dem General Salomon für die Jahre 
1879/88 gelang, sich in den Besitze der höchsten 
Gewalt zu setzen. Anfang 1889 brach zwischen 
dem Präsidenten Légitime, dem Schützlinge Frank- 
reichs, und dem General Hippolyte, dem Freunde 
der nordamerikanischen Union ein offener Kampf 
aus, in welchem der Präsident unterlag. Er legte 
seine Würde nieder und floh nach Paris. Hip- 
polyte wurde Präsident und behauptete sich bis 
zu seinem Tode (1896). Sein Nachfolger wurde 
der bisherige Kriegsminister F. S. Sam. Die 
ungesetzliche Verhaftung eines deutschen Reichsan- 
gehörigen brachte ihn 1898 in Streit mit Deutsch- 
land, das die Republik durch zwei auf der Reede 
von Port-au-Prince erschienene Kriegsschiffe zu 
voller Genugtuung und Entschädigung des bereits 
vorher freigelassenen Deutschen zwang. 1902 trat 
Sam zurück, und es kam zum Kampfe zwischen 
den zwei Bewerbern um den Präsidentenstuhl, Fir- 
min und Alexis Nord, währenddessen ein hattia- 
nisches Kanonenboot einem deutschen Schiff die 
Ladung von Waffen und Munition abnahm, 
worauf das deutsche Kanonenboot Panther es im 
Sept. 1903 im Hafen von Gonawes in den 
Grund bohrte. Nord behielt die Oberhand und 
wurde im April 1903 zum Präsidenten gewählt. 
Nach einigen Jahren der Ruhe brach, von Firmin 
geschürt, im Jan. 1908 ein neuer Aufstand aus, 
der nach anfänglichen Erfolgen der Insurgenten 
mit dem Sieg der Regierung endete. Wegen der 
drohenden Haltung des Präsidenten gegen die 
fremden Vertretungen, die den flüchtigen Insur- 
genten Aufnahme in den Gesandtschaften und 
Konsulaten gewährt hatten, erschienen im Som- 
mer 1908 europäische Kreuzer vor Halti. Im 
Herbst 1908 erhob sich General Simon gegen 
A. Nord und zwang ihn Anfang Dezember zur 
Flucht nach Jamaica; zum Präsidenten wurde 
General Légitime gewählt. 
2. Die Bevölkerung der Republik, welche 
einen Flächeninhalt von 28 676 qkm hat, betrug 
1906 an 1,5 Millionen Seelen in 5 Departe- 
ments (die in Arrondissements, diese in Gemein- 
den zerfallen); Hauptstadt Port-au-Prince (an 
70 000 Einwohner), Departementshauptstädte: 
Cap Haiti (29000), Les Cayes (25000), Go- 
na#des (18 000) und Port-de-Paix (10.000); 
wichtige Häsen noch Jérémie, Jacmel und Saint- 
Marc. Neun Zehntel der ein verderbtes Fran- 
zösisch sprechenden Einwohner sind Neger; das 
letzte Zehntel besteht zum größten Teil aus Mu- 
latten und wenigen Weißen (an 700 Europäer, 
Halti. 
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1904:184deutsche Reichsangehörige). Den Frem- 
den ist der Erwerb von Grundbesitz untersagt. 
3. Verfassung, Verwaltung. Hattt ist 
eine repräsentativ-demokratische Republik, deren 
gesetzgebende Versammlung von einem Senat und 
einem Hause der Gemeinen gebildet wird (Ver- 
fassung vom 9. Okt. 1889). Das Haus der Ge- 
meinen besteht aus 96 (1 aus jeder Gemeinde) 
direkt von allen 21 Jahre alten Haltianern auf drei 
Jahre gewählten Abgeordneten, die über 25 Jahre 
alt sein und wie die Senatoren ein unbewegliches 
Eigentum besitzen oder einen Beruf ausüben oder 
ein Handwerk betreiben müssen. Die 39 Mit- 
glieder des Senates, deren Wählbarkeit an ein 
Alter von 30 Jahren geknüpft ist, werden auf sechs 
Jahre teils vom Hause der Gemeinen gewählt, 
teils vom Präsidenten ernannt und erneuern sich 
alle zwei Jahre zu je einem Drittel. Die voll- 
ziehende Gewalt ist einem mindestens 40 Jahre 
alten Präsidenten übertragen, der von beiden zur 
Nationalversammlung vereinten Kammern auf 
sieben Jahre gewählt wird und die (1908; sechs) 
Staatssekretäre (Außeres und Kultus; Finanzen 
und Handel; Inneres und Polizei; Ackerbau und 
öffentliche Arbeiten; Justiz und öffentlicher Unter- 
richt; Krieg und Marine) ernennt. Für die Rechts- 
pflege, die auf dem Code Napoléon beruht, be- 
stehen in Port-au-Prince je ein Kassations-, Zivil- 
und Handelstribunal; außerdem Zivil-, Kriminal- 
und Korrektionstribunale in Les Cayes, Cap Hatti, 
Gonalves, Jacmel, Jérémie, Port-be-Paix, Han- 
delstribunale an denselben Orten, außer in Port- 
de-Paix, und Friedens= und Polizeigerichte in den 
Gemeinden; die Richter werden im allgemeinen 
vom Präsidenten ernannt. 
4. Staatsreligion ist die katholische (Kon- 
kordat 1861), jedoch werden andere Bekenntnisse, 
die übrigens nur wenige Anhänger zählen, ge- 
duldet. Für die Katholiken besteht seit dem 3. Okt. 
1861 das Erzbistum Port-au-Prince mit den 
Suffraganbistümern Gonakves, Les Cayes, Cap 
Halti und Port-de-Paix. Abergläubische Vor- 
stellungen und der Geheimkultus des „Vaudoux“ 
spielen eine große Rolle. Die Baptisten haben 
fünf Hauptniederlassungen, die Methodisten eine 
Mission in Port-au-Prince, die Wesleyaner Sta- 
tionen in den größeren Städten. Die geistige 
Kultur steht auf niedriger Stufe; es gibt zwar 
allenthalben Schulen (an 400 Nationalschulen, 
5 Lyzeen, ferner zahlreiche kirchliche und private 
Schulen), aber die Schwarzen zeigen im allge- 
meinen wenig Neigung zu geistiger Arbeit. 
Die wirtschaftliche Lage der Republik ist kläg- 
lich, hauptsächlich wegen der ungünstigen Besitz- 
verhältnisse, die überdies noch willkürlichen Ein- 
griffen stets ausgesetzt sind, und wegen Vernach- 
lässigung der künstlichen Bewässerung. Die einst in 
hoher Blüte stehende Plantagenwirtschaft (1789: 
2289 480 Acres kultiviertes Land) wurde in den 
loangwierigen Bürgerkriegen gänzlich vernichtet, 
und auch gegenwärtig ist die fruchtbare Insel noch 
 
	        
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