Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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stimmung noch wird es tatsächlich verwendet zum 
Anwachsen, zur Vermehrung und Vergrößerung 
seiner selbst. Wohl gelangten namentlich manche 
kirchliche Korporationen im Laufe der Zeit vor- 
züglich durch Schenkungen zu ansehnlichem Besitze, 
der dann durch gute, oft ausgezeichnete Bewirt- 
schaftung und Verwaltung nicht nur erhalten, 
sondern auch vermehrt wurde. Es besteht aber 
doch zwischen dem Kirchengut und dem Laien- 
vermögen in wirtschaftlicher Beziehung ein be- 
deutender Unterschied. Das Laiengut befindet sich 
zum weitaus größten Teile in den Händen derer, 
welche wegen der Sorge für ihre Nachkommen 
oder anderer Umstände nicht nur auf die Erhal- 
tung, sondern auch auf Vermehrung ihres Eigen- 
tums bedacht sind und es bis zu einem gewissen 
Grade auch sein müssen. Die kirchlichen Kor- 
porationen brauchen, wenn sie ein entsprechendes 
Vermögen besitzen, nur auf Erhaltung desselben 
bedacht zu sein; auf eine geringe Vermehrung 
desselben lediglich insoweit, als diese zum Ersatze 
von im Laufe der Zeit immerhin unvermeidlichen 
Verlusten erfordert wird. Es drängt sich hier eine 
Vergleichung von einst und jetzt geradezu auf. 
Einst Klagen über Anhäufung von Besitz in der 
„toten Hand“ der Kuche, welche dann zur ge- 
waltsamen Beraubung derselben führten. Jetzt, 
nach Beendigung dieses Zustandes, weit herbere 
und ungleich berechtigtere Klagen über Anhäufung 
von Besitz in den Händen einiger wenigen Reichen 
und über eine mit Hintansetzung jeglicher Humani- 
tät, ja oft mit schreiender Ungerechtigkeit ins Un- 
geheuerliche gehende Plusmacherei. b) Die Kirche 
legt allen ihren Mitgliedern, Korporationen und 
Instituten Wohltun ans Herz, ja den Inhabern 
von Pfründen hat sie von jeher die Pflicht auf- 
erlegt, den Überschuß ihrer zum angemessenen 
Unterhalte erforderlichen Einnahmen zu guten 
Zwecken zu verwenden. Die diesbezüglichen Ge- 
setze reichen bis in die älteste Zeit zurück und be- 
stehen bis heute in Kraft. Zu den guten Zwecken 
gehören nun nicht bloß religiöse, sondern alle 
wohltätigen Zwecke; auch profan gemeinnützige 
sind unter Umständen nicht ausgeschlossen. Daher 
erklärt sich die Erscheinung, daß man im Mittel- 
alter die Sorge für Arme und Verlassene getrost 
der Kirche überließ, welche dieser Aufgabe auch in 
geradezu staunenerregender Weise gerecht geworden 
ist. Heute sieht sich die Kirche in den meisten 
Ländern ihrer früheren Güter beraubt; weit- 
gehende Amortisationsgesetze erschweren ihr die 
Erwerbung neuer. Sie kann dem ihr innewoh- 
nenden Drange nach Wohltätigkeit nur mehr in 
sehr beschränktem Maße nachkommen. Damit ist 
die Sorge für Kranke, Arme und Verlassene der 
Privatwohltätigkeit, dem Staate, den einzelnen 
Provinzen und Gemeinden anheimgefallen. Daß 
bei der Verminderung der Güter der „toten 
Hand“ der hilfsbedürftige Teil der Menschheit 
sich besser steht als einstens, wird wohl niemand 
behaupten. (Siehe bezüglich der Würdigung der 
Hand, 
  
tote. 1020 
kirchlichen Armenpflege d. Art. Armenpflege.) 
) Ferner mufß hier auch bemerkt werden, daß in 
Zeiten öffentlicher Kalamitäten die Kirche mit den 
ihr zu Gebote stehenden Mitteln aufs reichlichste 
half. Wie sie alle ihre Glieder zur Wohltätigkeit 
ermuntert, so gestattet sie die Veräußerung des 
Kirchengutes, um den Erlös zur Abhilfe der all- 
gemeinen Not zu verwenden. d) Endlich muß 
noch hervorgehoben werden, daß die Kirche bei 
der Bewirtschaftung ihrer Güter einen sehr aus- 
gedehnten Gebrauch von der Teilung des Eigen- 
tumsrechts und des Nutzungsrechts machte und 
dadurch bewirkte, daß dieselben nur in sehr be- 
schränktem Maße dem wirtschaftlichen Verkehr ent- 
zogen wurden. Verpachtung liegender Güter auf 
kürzere Frist war allgemein gestattet; die Kon- 
stitution Pauls II., welche die Verpachtung auf 
längere Zeit verbot, kam besonders in jenen 
Ländern, in welchen die Kirche sich bedeutenden 
Besitzes erfreute, wie im Gebiete des ehemaligen 
römisch-deutschen Reiches, nicht in Ubung; doch 
gestattet auch sie noch Übergabe in langfristige 
Pacht und Lehen von solchen Besitzungen, welche 
seit langer Zeit in eben solcher Weise vergeben 
waren. 
3. Amortisationsgesetze. Bezüglich der 
Berechtigung von Amortisationsgesetzen haben vor 
allem folgende Grundsätze zu gelten: a) Die Kirche 
besitzt als vollkommene Gesellschaft das Recht, zeit- 
liche Güter zu erwerben, zu besitzen und zu ver- 
walten. Da sie innerhalb ihrer Sphäre, d. h. vor 
allem bezüglich der zur Erreichung ihres Zweckes 
erforderlichen Mittel, von jeder Gewalt unab- 
hängig ist, da sie aber zur Erreichung ihres über- 
natürlichen Zweckes der zeitlichen Güter nicht ent- 
behren kann, so läßt sich nicht leugnen, daß die 
Fähigkeit, Vermögen zu erwerben, der Kirche aus 
sich zukommt und nicht erst vom Staate ihr zu- 
gestanden zu werden braucht. Eben dies wird auch 
durch die von Pius IX. erfolgte Verurteilung des 
Satzes: Ecclesia non habet nativum ac legi- 
timum ius acquirendi et possidendi (Syllab. 
pProp. 26) ausgesprochen. Der Ausdruck ius nati- 
vum bedeutet eben ein angebornes, d. h. mit der 
Existenz von selbst gegebenes Recht. Es folgt aber 
auch ferner, daß der Staat dieses Recht nicht nach 
seinem Gutdünken einschränken darf. b) Der 
Kirche als Gemeinschaft aller Gläubigen kommt 
der Charakter einer juristischen Person zu; sie be- 
sitzt ferner die Vollmacht, andere juristische Per- 
sonen innerhalb ihres Berufskreises und zur Er- 
reichung ihres Zieles zu schaffen; auch hierin muß 
sie Unabhängigkeit vom Staate beanspruchen. 
e) So wie die Aufgabe des Staates vor allem 
darin besteht, die einem jeden Menschen von Natur 
und darum vom Schöpfer der Natur gegebenen 
Rechte zu wahren und zu schützen, so muß der 
Staat auch die vom Willen des Gottmenschen 
der Kirche beigelegten Rechte achten und schützen. 
Das der Kirche zukommende Recht freier und un- 
abhängiger Erwerbsfähigkeit können die Staats-
	        
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