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stimmung noch wird es tatsächlich verwendet zum
Anwachsen, zur Vermehrung und Vergrößerung
seiner selbst. Wohl gelangten namentlich manche
kirchliche Korporationen im Laufe der Zeit vor-
züglich durch Schenkungen zu ansehnlichem Besitze,
der dann durch gute, oft ausgezeichnete Bewirt-
schaftung und Verwaltung nicht nur erhalten,
sondern auch vermehrt wurde. Es besteht aber
doch zwischen dem Kirchengut und dem Laien-
vermögen in wirtschaftlicher Beziehung ein be-
deutender Unterschied. Das Laiengut befindet sich
zum weitaus größten Teile in den Händen derer,
welche wegen der Sorge für ihre Nachkommen
oder anderer Umstände nicht nur auf die Erhal-
tung, sondern auch auf Vermehrung ihres Eigen-
tums bedacht sind und es bis zu einem gewissen
Grade auch sein müssen. Die kirchlichen Kor-
porationen brauchen, wenn sie ein entsprechendes
Vermögen besitzen, nur auf Erhaltung desselben
bedacht zu sein; auf eine geringe Vermehrung
desselben lediglich insoweit, als diese zum Ersatze
von im Laufe der Zeit immerhin unvermeidlichen
Verlusten erfordert wird. Es drängt sich hier eine
Vergleichung von einst und jetzt geradezu auf.
Einst Klagen über Anhäufung von Besitz in der
„toten Hand“ der Kuche, welche dann zur ge-
waltsamen Beraubung derselben führten. Jetzt,
nach Beendigung dieses Zustandes, weit herbere
und ungleich berechtigtere Klagen über Anhäufung
von Besitz in den Händen einiger wenigen Reichen
und über eine mit Hintansetzung jeglicher Humani-
tät, ja oft mit schreiender Ungerechtigkeit ins Un-
geheuerliche gehende Plusmacherei. b) Die Kirche
legt allen ihren Mitgliedern, Korporationen und
Instituten Wohltun ans Herz, ja den Inhabern
von Pfründen hat sie von jeher die Pflicht auf-
erlegt, den Überschuß ihrer zum angemessenen
Unterhalte erforderlichen Einnahmen zu guten
Zwecken zu verwenden. Die diesbezüglichen Ge-
setze reichen bis in die älteste Zeit zurück und be-
stehen bis heute in Kraft. Zu den guten Zwecken
gehören nun nicht bloß religiöse, sondern alle
wohltätigen Zwecke; auch profan gemeinnützige
sind unter Umständen nicht ausgeschlossen. Daher
erklärt sich die Erscheinung, daß man im Mittel-
alter die Sorge für Arme und Verlassene getrost
der Kirche überließ, welche dieser Aufgabe auch in
geradezu staunenerregender Weise gerecht geworden
ist. Heute sieht sich die Kirche in den meisten
Ländern ihrer früheren Güter beraubt; weit-
gehende Amortisationsgesetze erschweren ihr die
Erwerbung neuer. Sie kann dem ihr innewoh-
nenden Drange nach Wohltätigkeit nur mehr in
sehr beschränktem Maße nachkommen. Damit ist
die Sorge für Kranke, Arme und Verlassene der
Privatwohltätigkeit, dem Staate, den einzelnen
Provinzen und Gemeinden anheimgefallen. Daß
bei der Verminderung der Güter der „toten
Hand“ der hilfsbedürftige Teil der Menschheit
sich besser steht als einstens, wird wohl niemand
behaupten. (Siehe bezüglich der Würdigung der
Hand,
tote. 1020
kirchlichen Armenpflege d. Art. Armenpflege.)
) Ferner mufß hier auch bemerkt werden, daß in
Zeiten öffentlicher Kalamitäten die Kirche mit den
ihr zu Gebote stehenden Mitteln aufs reichlichste
half. Wie sie alle ihre Glieder zur Wohltätigkeit
ermuntert, so gestattet sie die Veräußerung des
Kirchengutes, um den Erlös zur Abhilfe der all-
gemeinen Not zu verwenden. d) Endlich muß
noch hervorgehoben werden, daß die Kirche bei
der Bewirtschaftung ihrer Güter einen sehr aus-
gedehnten Gebrauch von der Teilung des Eigen-
tumsrechts und des Nutzungsrechts machte und
dadurch bewirkte, daß dieselben nur in sehr be-
schränktem Maße dem wirtschaftlichen Verkehr ent-
zogen wurden. Verpachtung liegender Güter auf
kürzere Frist war allgemein gestattet; die Kon-
stitution Pauls II., welche die Verpachtung auf
längere Zeit verbot, kam besonders in jenen
Ländern, in welchen die Kirche sich bedeutenden
Besitzes erfreute, wie im Gebiete des ehemaligen
römisch-deutschen Reiches, nicht in Ubung; doch
gestattet auch sie noch Übergabe in langfristige
Pacht und Lehen von solchen Besitzungen, welche
seit langer Zeit in eben solcher Weise vergeben
waren.
3. Amortisationsgesetze. Bezüglich der
Berechtigung von Amortisationsgesetzen haben vor
allem folgende Grundsätze zu gelten: a) Die Kirche
besitzt als vollkommene Gesellschaft das Recht, zeit-
liche Güter zu erwerben, zu besitzen und zu ver-
walten. Da sie innerhalb ihrer Sphäre, d. h. vor
allem bezüglich der zur Erreichung ihres Zweckes
erforderlichen Mittel, von jeder Gewalt unab-
hängig ist, da sie aber zur Erreichung ihres über-
natürlichen Zweckes der zeitlichen Güter nicht ent-
behren kann, so läßt sich nicht leugnen, daß die
Fähigkeit, Vermögen zu erwerben, der Kirche aus
sich zukommt und nicht erst vom Staate ihr zu-
gestanden zu werden braucht. Eben dies wird auch
durch die von Pius IX. erfolgte Verurteilung des
Satzes: Ecclesia non habet nativum ac legi-
timum ius acquirendi et possidendi (Syllab.
pProp. 26) ausgesprochen. Der Ausdruck ius nati-
vum bedeutet eben ein angebornes, d. h. mit der
Existenz von selbst gegebenes Recht. Es folgt aber
auch ferner, daß der Staat dieses Recht nicht nach
seinem Gutdünken einschränken darf. b) Der
Kirche als Gemeinschaft aller Gläubigen kommt
der Charakter einer juristischen Person zu; sie be-
sitzt ferner die Vollmacht, andere juristische Per-
sonen innerhalb ihres Berufskreises und zur Er-
reichung ihres Zieles zu schaffen; auch hierin muß
sie Unabhängigkeit vom Staate beanspruchen.
e) So wie die Aufgabe des Staates vor allem
darin besteht, die einem jeden Menschen von Natur
und darum vom Schöpfer der Natur gegebenen
Rechte zu wahren und zu schützen, so muß der
Staat auch die vom Willen des Gottmenschen
der Kirche beigelegten Rechte achten und schützen.
Das der Kirche zukommende Recht freier und un-
abhängiger Erwerbsfähigkeit können die Staats-