Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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gewalten in doppelter Weise verletzen, sowohl da- 
durch, daß sie die Kirche und die von ihr mit dem 
Charakter von juristischen Personen bekleideten 
einzelnen Institute als solche und darum als er- 
werbsfähig nicht anerkennen, als auch dadurch, daß 
sie die Erwerbsfähigkeit der Kirche und ihrer In- 
stitute trotz ihrer Anerkennung als juristische Per- 
sonen in unzulässiger Weise einschränken wollen. 
Unter Amortisationsgesetzen im eigent- 
lichen Sinne des Wortes versteht man jene staat- 
lichen Verordnungen, welche der Kirche und ihren 
Instituten verbieten, ohne besondere Bevollmäch- 
tigung von seiten des Staates zeitliche Güter ge- 
wisser Art oder über einen bestimmten Betrag 
hinaus zu erwerben. In dieser Erklärung liegt 
bereits angedeutet, daß nicht alle der Kirche von 
seiten des Staates gemachten Einschränkungen im 
Vermögenserwerb zu den Amortisationsgesetzen zu 
zählen sind. Zu denselben gehören z. B. offenbar 
nicht jene älteren Verordnungen römischer Kaiser, 
welche den Diakonissen verboten, die Kirche zu 
Erben ihres Vermögens einzusetzen, um so diese 
Personen von unvorsichtiger Abfassung von Testa- 
menten abzuhalten. Zum Wesen der Amorti- 
sationsgesetze gehört vielmehr, daß sie die An- 
sammlung von zeitlichen Gütern in der Hand der 
Kirche und ihrer Institute einschränken wollen. 
Sie lassen sich bis ins 13. Jahrh. hinauf ver- 
folgen. (Einige Beispiele aus dieser Zeit finden 
sich bei Walter, Lehrb. d. Kirchenrechts 1° § 252, 
Anm. 15; Schulte. System d. Kirchenrechts 476, 
Anm. 1.) Ihren Ursprung verdanken sie teils dem 
Neide weltlicher Großen gegen den sich mehrenden 
Reichtum und durch ihn gesteigerten Einfluß von 
Kirchenfürsten und kirchlichen Korporationen, teils 
dem Drange, nicht allzu viele Güter von der 
Tragung gemeinsamer Lasten befreit zu sehen, 
mehrfach auch einem allgemein kirchenfeindlichen, 
irreligiösen Geiste, der sich dann in Klagen über 
mangelhafte Bewirtschaftung des Kirchenguts Luft 
machte usw. 
Das Vorgesagte schließt nicht aus, daß die 
Kirche selbst im kirchlichen Interesse darauf bedacht 
sein muß, die Anhäufung zu großer Vermögen in 
den Händen kirchlicher Institute zu verhindern. 
Kirchlichem Geiste und kirchlichem Leben gereicht 
dieselbe nicht zur Förderung, wie die Geschichte, 
und zwar bis in die Neuzeit, lehrt. Latifundien- 
wirtschaft hat auch bei kirchlichen Anstalten ihre 
wirtschaftspolitischen Bedenken. Daß die An- 
saommlung von Reichtümern in der Hand der 
kirchlichen Institute die Begehrlichkeit unkirchlicher 
oder kirchenfeindlicher Mächte weckt, braucht nicht 
näher dargelegt zu werden. 
Gegenwärtig finden sich in den meisten deutschen 
Staaten, welche die kirchlichen Institute als 
erwerbsfähig anerkennen, Beschränkungen dieser 
Fähigkeit. [Keine Amortisationsgesetze begegnen 
uns in Sachsen, Oldenburg, Braunschweig, 
Reuß ä. L., Schaumburg-Lippe, Hamburg, Bre- 
men, Anhalt, Sachsen-Meiningen und Sachsen- 
Hand, tote. 
  
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Coburg-Gotha. Die mannigfaltig ausgestaltete 
Gesetzgebung der übrigen deutschen Staaten fand 
durch Ausf. Gesetze zum B.G.B., das gemäß Einf.= 
Ges. Art. 86 zwar die landesgesetzlichen Vor- 
schriften bestehen läßt, aber den Erwerb bis 5000 M 
freigibt, teilweise eine eingreifende Neureglung. 
Danach stellt sich das geltende Recht folgender- 
maßen dar: In Preußen, Bayern wie in den 
meisten übrigen Staaten sind Schenkungen und 
letztwillige Zuwendungen von Mobilien wie Im- 
mobilien, falls sie die Summe oder den Wert von 
5000 K übersteigen, an staatliche Genehmigung 
gebunden. Der selbst onerose Erwerb von Grund- 
stücken im Werte von über 5000 M bedarf außer- 
dem noch besonderer staatlicher Genehmigung 
in Preußen, Württemberg, das im übrigen Mo- 
bilien gänzlich freigibt, und Bayern, welch letzteres 
die Grenze jedes Erwerbes der „koten Hand“ auf 
10 000 K festsetzt und außerdem selbst für Zu- 
wendungen an auswärtige Stiftungen königliche 
Genehmigung verlangt. In den beiden Mecklen- 
burg ist die Lage ungefähr die gleiche wie in 
Württemberg. Besondere beschränkende Vor- 
schriften für den Erwerb von Ordenspersonen 
innerhalb der durch die Reichsgesetzgebung zulässi- 
gen Begrenzung finden sich in Lübeck, Reuß j. V. 
und den beiden Schwarzburg (ogl. Friedberg, 
Lehrbuch des kathol. und evangel. Kirchenrechts 
[1903] 519—521).]) In Osterreich wurden 
die bis dahin bestehenden Amortisationsgesetze 
durch Art. 29 des Konkordats vom Jahre 1855 
aufgehoben; jedoch bestimmt, abgesehen von der 
im Jahre 1870 erfolgten einseitigen Aufhebung 
des Konkordais, Art. 6 des Staatsgrundgesetzes 
vom 21. Dez. 1867 die prinzipielle Zulässigkeit 
von Amortisationsgesetzen; indes wurden seither 
keine derartigen Gesetze erlassen, und so unter- 
liegt tatsächlich die Kirche in dieser Hinsicht keinen 
Beschränkungen (vgl. Groß, Lehrbuch des kathol. 
Kirchenrechts [P1907|] 390). In Spanien be- 
stehen nach Art. 41 des Konkordats vom Jahre 
1851 und Art. 5 der Übereinkunft vom Jahre 
1859 keine Amortisationsgesetze; ebenso ist in 
dieser Hinsicht die Kirche in Italien nicht ein- 
geschränkt. In Holland besitzen die Kirche und 
die einzelnen kirchlichen Institute die Rechte einer 
juristischen Person, unterliegen aber auch als solche 
dem Verbote, ohne Staatsgenehmigung Vermächt- 
nisse und Schenkungen anzunehmen. 
Literatur. Freies Erwerbsrecht der Kirche: 
Mamachi, Del diritto libero della chiesa di ac- 
quistare e possedere beni temporali (5 Bde, 
1769); Cavagnis, Institutiones iuris publ. eccles. 
(1889). Veräußerung des Kirchengutes: die Kom- 
mentare zu Decretales Gregorü IX. I. 3, tit. 
13 De bonis ecclesiae alienandis vel non, z. B. 
Schmalzgrueber, Reiffenstuel usw. Amortisations- 
gesetze: Kahl, Die deutschen Amorrisationsgesetze 
(1879); Schulte, Die juristische Persönlichkeit der 
kath. Kirche usw. (1869); Geiger, Der kirchenrecht- 
liche Inhalt der bundesstaatlichen Ausführungs- 
gesetze zum B.G.B., im Archiv für kath. Kirchen-
	        
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