Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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nisse auf der einen, Überfluß an solchen auf der 
andern Seite sind daher zweifellos die ersten, weil 
natürlichsten Ursachen und Veranlassungen ge- 
wesen, einen Austausch vorzunehmen. Ein solcher 
Güteraustausch unter den Mitgliedern derselben 
Wirtschaftsgemeinschaft hat natürlich nicht den 
Charakter des Handels. Erst nachdem sich eine An- 
zahl selbständiger Wirtschaftsgemeinschaften neben- 
einander gebildet haben, läßt sich, unter Voraus- 
setzung der Anerkennung des Eigentums, ein han- 
delsmäßiger Austausch zwischen den Mitgliedern 
der einen und der andern denken. Indessen konnte 
er wohl nur einen geringen Umfang annehmen 
und mehr gelegentlich als planmäßig stattfinden, 
solange die Wirtschaftsgemeinschaften unter den- 
selben klimatischen Daseinsbedingungen und auf 
derselben Kulturstufe standen und jede von ihnen 
in der Regel noch in der Lage war, dasjenige zu 
produzieren, was für ihre Bedürfnisse ausreichte. 
Erst die Trennung in Stämme und Völkerschaften, 
deren Ausbreitung über die verschiedenen Teile 
der Erde und die daraus sich entwickelnden Ab- 
weichungen in der Kultur der einzelnen waren die 
Elemente, die einen lebhafteren Handel zur Ent- 
stehung zu bringen vermochten. Erst so wurde die 
Kenntnis neuer Güter vermittelt, die Begehrlichkeit 
nach ihrem Besitz, der das Dasein zu erleichtern 
und zu verannehmlichen geeignet erscheinen mochte, 
geweckt, und aus dem gelegentlichen Tauschver- 
kehr wurde ein regelmäßiger Handel. Die Ver- 
vielfältigung der Beziehungen mußte bald zu der 
Erkenntnis der Vorteile führen, welche die Be- 
nutzung der einen vor der andern bot, und der 
Trieb, daraus Gewinn zu ziehen, mußte zur An- 
bahnung neuer Handelsunternehmungen reizen, 
die, wie aus mannigfachen Zeichen zu entnehmen, 
schon in den frühesten Zeiten der Menschengeschichte 
Beziehungen zwischen den entferntesten Ländern 
herstellten. — Auch unter den Wirtschaftsgemein- 
schaften desselben Stammes, derselben Völkerschaft 
muß sich aus denselben Gründen des Mangels 
und Überflusses der Handel entwickelt haben; nur 
traten hier noch andere Umstände hinzu. Wurde 
eine Völkerschaft seßhaft, wurden die Haushal- 
tungen in Dörfer und Städte zusammengedrängt, 
begann dann die Arbeitsteilung, und produzierte 
demnach nicht mehr eine jede Haushaltung, was 
sie brauchte, so war auch hier der Anfang zu 
einem handelsmäßigen Güteraustausche gegeben; 
das Wachsen der Bevölkerung, die Steigerung der 
Arbeitsteilung, die Vermehrung der von einem 
erfindungsreichen Gewerbe gebotenen Erzeugnisse 
wurden dann die weiteren Faktoren für die Aus- 
bildung eines regen Binnenhandels. 
Aller Handel war ursprünglich ein gegenseitiger 
Austausch von notwendigen und nützlichen Ver- 
brauchs= und Gebrauchs= sowie von Luxusgegen- 
ständen, von Getreide, Früchten, Salz, Tieren, 
Fellen, Werkzeugen, Sklaven, Muscheln usw. Die 
Mannigfaltigkeit der Handelsbeziehungen, vor 
allem aber die fortschreitende Arbeitsteilung und 
Staatslexikon. II. 3. Aufl. 
Handel usw. 
  
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die daraus entspringende Schwierigkeit, die ver- 
schiedenen Gebrauchsgegenstände überall und zu 
jeder Zeit verwerten zu können, führte zur Ein- 
führung eines allgemeinen Tauschmittels, durch 
dessen Hingabe man alle andern Güter eintauschen 
konnte. Die Wahl dieses Mittels konnte nicht 
ganz willkürlich getroffen werden; verschiedene 
Umstände mußten von Einfluß auf sie sein. Vor 
allem mußte dieser Gegenstand in einem gewissen 
Maße wertvoll erscheinen und anderseits ein Be- 
dürfnis zu befriedigen geeignet, ständig begehrt 
und ständig absetzbar sein. Welche Gegenstände 
diesen Erfordernissen entsprächen, hing zumeist von 
den äußeren Daseinsbedingungen der einzelnen 
Völker ab, und so erklärt sich die Erscheinung, daß 
die verschiedensten Gegenstände jenen Charakter 
annahmen. Bei Jägerstämmen galten Tierfelle, 
bei nomadisierenden und Ackerbau treibenden 
Völkern Tiere als Tauschwerkzeuge. „Es gibt 
beinahe keinen Handelsgegenstand, der nicht als 
Geld (in diesem Sinne gedacht) gedient hätte, 
3. B. Früchte, Glasperlen, Muscheln, Häute, 
Salz, Erz und selbst noch in neuerer Zeit Tabak.“ 
Bei den germanischen Völkern war das wichtigste 
Tauschmittel das Vieh, vor allem das Rind; bei 
den Goten, Sachsen, Skandinaviern bedeutet fihu 
sowohl Vieh wie Geld. Auch bei den Römern war 
das Vieh (pecus — Vieh, pecunia — Geld) das 
älteste Tauschmittel. Die ständige Verwendung 
dieser Gegenstände mußte aus dem Vermittlungs- 
gut allmählich das Wertmaß für andere Güter 
machen. So war bei den Germanen die spätere 
Einheit für Preisansätze die milchende Kuh. Nach 
der indogermanischen Viehwährung rechnete man 
1 Rind = 10 Schafen. Mit der Ausbreitung des 
Verkehrsgebietes mußte sich die Ungeeignetheit 
vieler Gegenstände ergeben, als Tauschobjekt ver- 
wendet werden zu können, namentlich wegen ihrer 
Unfähigkeit, lange Transporte auszuhalten. Dies 
brachte die Metalle als allgemeines Tauschmittel 
in Aufnahme, unter denen bald die Edelmetalle, 
Gold und Silber, alle andern verdrängten. Die 
Einführungeines solchen allgemein gültigen Tausch- 
mittels verwischt allmählich den Charakter des 
Tauschgeschäfts; an seine Stelle tritt der Kauf- 
handel, vollends nachdem sich die Wertabstufungen 
und Einheitssätze gebildet hatten. An sich kommt 
der Einführung der Metalle, insbesondere auch 
der Edelmetalle, in ihrer ersten Anwendung keine 
abweichende Bedeutung in diesem Prozesse zuz sie 
sind Waren wie die andern Gegenstände auch, die 
man wie diese abwog und probierte. Erst dadurch, 
daß sie die Funktion des allgemeinen Tauschmittels 
und Wertmessers ausschließlich übernahmen und, 
bis dahin lediglich ein Ergebnis des Verkehrs- 
bedürfnisses und gesellschaftlichen Ubereinkommens, 
durch Hinzutritt autoritativer Stempelung ein- 
zelner Metallstücke als Münze in die Erscheinung 
traten (vgl. d. Art. Münzwesen), ward ein groß- 
artiger Fortschritt im Handel herbeigeführt. Mit 
der Einführung der Münze, des Geldes, ist der 
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