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nisse auf der einen, Überfluß an solchen auf der
andern Seite sind daher zweifellos die ersten, weil
natürlichsten Ursachen und Veranlassungen ge-
wesen, einen Austausch vorzunehmen. Ein solcher
Güteraustausch unter den Mitgliedern derselben
Wirtschaftsgemeinschaft hat natürlich nicht den
Charakter des Handels. Erst nachdem sich eine An-
zahl selbständiger Wirtschaftsgemeinschaften neben-
einander gebildet haben, läßt sich, unter Voraus-
setzung der Anerkennung des Eigentums, ein han-
delsmäßiger Austausch zwischen den Mitgliedern
der einen und der andern denken. Indessen konnte
er wohl nur einen geringen Umfang annehmen
und mehr gelegentlich als planmäßig stattfinden,
solange die Wirtschaftsgemeinschaften unter den-
selben klimatischen Daseinsbedingungen und auf
derselben Kulturstufe standen und jede von ihnen
in der Regel noch in der Lage war, dasjenige zu
produzieren, was für ihre Bedürfnisse ausreichte.
Erst die Trennung in Stämme und Völkerschaften,
deren Ausbreitung über die verschiedenen Teile
der Erde und die daraus sich entwickelnden Ab-
weichungen in der Kultur der einzelnen waren die
Elemente, die einen lebhafteren Handel zur Ent-
stehung zu bringen vermochten. Erst so wurde die
Kenntnis neuer Güter vermittelt, die Begehrlichkeit
nach ihrem Besitz, der das Dasein zu erleichtern
und zu verannehmlichen geeignet erscheinen mochte,
geweckt, und aus dem gelegentlichen Tauschver-
kehr wurde ein regelmäßiger Handel. Die Ver-
vielfältigung der Beziehungen mußte bald zu der
Erkenntnis der Vorteile führen, welche die Be-
nutzung der einen vor der andern bot, und der
Trieb, daraus Gewinn zu ziehen, mußte zur An-
bahnung neuer Handelsunternehmungen reizen,
die, wie aus mannigfachen Zeichen zu entnehmen,
schon in den frühesten Zeiten der Menschengeschichte
Beziehungen zwischen den entferntesten Ländern
herstellten. — Auch unter den Wirtschaftsgemein-
schaften desselben Stammes, derselben Völkerschaft
muß sich aus denselben Gründen des Mangels
und Überflusses der Handel entwickelt haben; nur
traten hier noch andere Umstände hinzu. Wurde
eine Völkerschaft seßhaft, wurden die Haushal-
tungen in Dörfer und Städte zusammengedrängt,
begann dann die Arbeitsteilung, und produzierte
demnach nicht mehr eine jede Haushaltung, was
sie brauchte, so war auch hier der Anfang zu
einem handelsmäßigen Güteraustausche gegeben;
das Wachsen der Bevölkerung, die Steigerung der
Arbeitsteilung, die Vermehrung der von einem
erfindungsreichen Gewerbe gebotenen Erzeugnisse
wurden dann die weiteren Faktoren für die Aus-
bildung eines regen Binnenhandels.
Aller Handel war ursprünglich ein gegenseitiger
Austausch von notwendigen und nützlichen Ver-
brauchs= und Gebrauchs= sowie von Luxusgegen-
ständen, von Getreide, Früchten, Salz, Tieren,
Fellen, Werkzeugen, Sklaven, Muscheln usw. Die
Mannigfaltigkeit der Handelsbeziehungen, vor
allem aber die fortschreitende Arbeitsteilung und
Staatslexikon. II. 3. Aufl.
Handel usw.
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die daraus entspringende Schwierigkeit, die ver-
schiedenen Gebrauchsgegenstände überall und zu
jeder Zeit verwerten zu können, führte zur Ein-
führung eines allgemeinen Tauschmittels, durch
dessen Hingabe man alle andern Güter eintauschen
konnte. Die Wahl dieses Mittels konnte nicht
ganz willkürlich getroffen werden; verschiedene
Umstände mußten von Einfluß auf sie sein. Vor
allem mußte dieser Gegenstand in einem gewissen
Maße wertvoll erscheinen und anderseits ein Be-
dürfnis zu befriedigen geeignet, ständig begehrt
und ständig absetzbar sein. Welche Gegenstände
diesen Erfordernissen entsprächen, hing zumeist von
den äußeren Daseinsbedingungen der einzelnen
Völker ab, und so erklärt sich die Erscheinung, daß
die verschiedensten Gegenstände jenen Charakter
annahmen. Bei Jägerstämmen galten Tierfelle,
bei nomadisierenden und Ackerbau treibenden
Völkern Tiere als Tauschwerkzeuge. „Es gibt
beinahe keinen Handelsgegenstand, der nicht als
Geld (in diesem Sinne gedacht) gedient hätte,
3. B. Früchte, Glasperlen, Muscheln, Häute,
Salz, Erz und selbst noch in neuerer Zeit Tabak.“
Bei den germanischen Völkern war das wichtigste
Tauschmittel das Vieh, vor allem das Rind; bei
den Goten, Sachsen, Skandinaviern bedeutet fihu
sowohl Vieh wie Geld. Auch bei den Römern war
das Vieh (pecus — Vieh, pecunia — Geld) das
älteste Tauschmittel. Die ständige Verwendung
dieser Gegenstände mußte aus dem Vermittlungs-
gut allmählich das Wertmaß für andere Güter
machen. So war bei den Germanen die spätere
Einheit für Preisansätze die milchende Kuh. Nach
der indogermanischen Viehwährung rechnete man
1 Rind = 10 Schafen. Mit der Ausbreitung des
Verkehrsgebietes mußte sich die Ungeeignetheit
vieler Gegenstände ergeben, als Tauschobjekt ver-
wendet werden zu können, namentlich wegen ihrer
Unfähigkeit, lange Transporte auszuhalten. Dies
brachte die Metalle als allgemeines Tauschmittel
in Aufnahme, unter denen bald die Edelmetalle,
Gold und Silber, alle andern verdrängten. Die
Einführungeines solchen allgemein gültigen Tausch-
mittels verwischt allmählich den Charakter des
Tauschgeschäfts; an seine Stelle tritt der Kauf-
handel, vollends nachdem sich die Wertabstufungen
und Einheitssätze gebildet hatten. An sich kommt
der Einführung der Metalle, insbesondere auch
der Edelmetalle, in ihrer ersten Anwendung keine
abweichende Bedeutung in diesem Prozesse zuz sie
sind Waren wie die andern Gegenstände auch, die
man wie diese abwog und probierte. Erst dadurch,
daß sie die Funktion des allgemeinen Tauschmittels
und Wertmessers ausschließlich übernahmen und,
bis dahin lediglich ein Ergebnis des Verkehrs-
bedürfnisses und gesellschaftlichen Ubereinkommens,
durch Hinzutritt autoritativer Stempelung ein-
zelner Metallstücke als Münze in die Erscheinung
traten (vgl. d. Art. Münzwesen), ward ein groß-
artiger Fortschritt im Handel herbeigeführt. Mit
der Einführung der Münze, des Geldes, ist der
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