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reine Kaufhandel zur Herrschaft gelangt. Wie die
Anfänge des Münzwesens, so sind demnach auch
die des reinen Kaufhandels in Dunkel gehüllt.
Die Phönizier, nach andern die Lydier, sollen die
Erfinder des Geldes sein; jedenfalls haben sie
bereits reinen Kaufhandel getrieben, selbstverständ-
lich neben Tauschhandel mit minder kultivierten
Völkern. Die Römer hatten Geld schon zur
Königszeit, und zwar in Bronzestäben (asses);
erst im Jahre 269 v. Chr. gingen sie zur Silber-
prägung über. Zu Zeiten des Tacitus war bei
den alten Germanen der Binnenhandel Tausch-,
der auswärtige Kaufhandel.
Wie schon erwähnt, knüpft der regere Handel
an den Verkehr zwischen Völkern mit verschiedener
Kultur an. Die Annäherung zwischen einander
fremden Völkern, die minder zivilisiert sind, voll-
zieht sich aber nicht ohne Schwierigkeiten, ja nicht
ohne Gefahren. Die Scheu und der Argwohn
vor dem Fremden, die solchen eigen zu sein pflegen
und den Fremden als Feind betrachten und be-
handeln lassen, mußten auch die Anbahnung eines
Handelsverkehrs erschweren. Die Entwicklung steht
in enger Verbindung mit der, welche in den ein-
zelnen Ländern das Fremdenrecht, das Gastrecht
genommen hat. Durch Geschenke und bei regel-
mäßigem Verkehr durch ständige Abgaben an den
Stammeshäuptling, den Fürsten, erkaufte sich der
fremde Händler Schutz und Erlaubnis zur Aus-
übung des Handels. Nicht selten entsteht zunächst
ein friedlicher sog. stummer Handel, ein Han-
del, bei dem in Abwesenheit der Gegenpartei die
zum Austausch angebotene Ware an einem beiden
Teilen zugänglichen Orte ausgelegt und die in
gleicher Weise dargebotene Gegengabe, wenn sie
als angemessen erachtet wird, unter Zurücklassung
der eigenen Ware weggenommen wird, ohne daß
ein persönlicher Verkehr stattgefunden hätte. Auch
hieraus entwickelt sich dann wohl ein regelmäßiger
Handel und auf Grund friedlichen Ubereinkommens
die dauernde gesicherte Handelserlaubnis. Händler
siedeln mit ihrem Kapital zu ständigem Aufent-
halt in das fremde Land über, gründen Handels-
niederlassungen, Faktoreien, von denen aus
einerseits die Verbindung mit dem Heimatlande
aufrecht erhalten und anderseits ein regelmäßiger
Betrieb in das fremde Land bewerkstelligt wird,
und die nicht selten den Kern zu sog. Handels-
kolonien abgeben. Die Unsicherheit und die Ge-
fahren, welche immerhin bei rohen Völkern zu er-
warten sind, regen zu gemeinsamen Handelszügen,
Schiffs= und Landkarawanen unter bewaffneter
Bedeckung an. An ihrer Spitze stehen die Fürsten
und Häuptlinge. Die so auftretende Masse kann
leichter der Gefahr trotzen, ist aber auch der Ver-
suchung, ihrerseits zu Gewalt und Raub zu greifen,
ausgesetzt, wofern nicht schon die ursprüngliche
Absicht auf Raub gerichtet war. In der Tat hat
sich bei sehr vielen Völkern der eigentliche Handel
aus dem Raube entwickelt. „So haben die Phö-
nizier, Griechen, Etrusker, Goten, Franken, Sach-
Handel usw.
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sen, Araber, Normannen, Wenden mit allgemein
geachteter Seeräuberei begonnen. Landnomaden
sind gewöhnlich erst Karawanenräuber, dann
Karawanenführer“" (Roscher). Auf solch gemein-
samen Zügen werden dann ebenfalls dauernde
Niederlassungen, Kolonien angelegt, sei es als
bloße Stützpunkte des Handels, sei es zur dauern-
den Beherrschung des fremden Landes. „Selbst
der englische Welthandel ist zum großen Teile
aus dem Piratentum der Elisabethischen Zeit her-
vorgegangen.“
Die älteste Form des Handelsbetriebs ist der
Wanderhandel, der Handel im Umher-
ziehen, indem die Händler als Hausierer „mit
Karren, Lasttieren und Schiffen von Ort zu Ort,
von Stamm zu Stamm, von Küste zu Küste
ziehen; sie sind meist Groß= und Kleinhändler,
Frachtführer und Warenbesitzer, oft auch technische
Künstler und Handwerker zugleich“. In fremdem
Lande bieten die Niederlassungen, und wo solche
fehlen, die Schiffe den Ausgangspunkt. Auf die
weitere Ausgestaltung übt die wirtschaftliche Ent-
wicklung, die Dichtigkeit der Bevölkerung der ver-
schiedenen Länder entscheidenden Einfluß. Das
gelegentliche oder regelmäßig sich wiederholende
Zusammenströmen von Volksmassen bei kirchlichen
und weltlichen Festlichkeiten, Wallfahrten, bei
Gerichts= und sonstigen offiziellen Volksversamm-
lungen gibt Veranlassung für die Händler, mit
ihren Waren sich einzufinden; ihnen folgen die
Geldwechsler und in fremdem Lande die Dolmet-
scher, aus denen sich die Makler entwickeln. Mittel-
punkte des Handels werden die Märkte und Messen.
Je mehr sie zu regelmäßigen Einrichtungen wer-
den, je häufiger sie stattfinden, je mehr Städte
entstehen, denen Markt= und Meßprivilegien ver-
liehen werden, um so lebhafter bildet sich ein solcher
Handel aus; in den Städten entsteht daneben der
seßhafte Handel. Das Seßhaftwerden des
Handels trägt außerordentlich zur Ausbildung
neuer Formen bei. Erst seitdem zweigt sich der
Detailhandel nach verschiedenen Warengattungen
vom Großhandel, der Krämer und Höber, die
zum Handwerkerstande gehören, vom patrizischen
Kaufherrn, der den Export und Import leitet, ab;
erst seitdem bildet sich ein Kreditsystem aus und
entsteht der Bankier.
In seinen Anfängen ist der Handel noch durch-
aus mit der Produktion verbunden, indem der
Produzent den Absatz des überflüssigen Vorrats
an eigenen Erzeugnissen an den Verbraucher selbst
besorgt; der Handel ist Nebenbeschäftigung des
Gutsbesitzers, Viehzüchters, Weinbauers, Jägers
usw. und liegt zumeist in den Händen der Fürsten,
Stammeshäuptlinge und Großen des Landes;
auch Priester sind in den ersten Zeiten nicht un-
erheblich beteiligt. Auch als die Arbeitsteilung
den Kreis der Familie überschritten und die Bil-
dung eines eigenen Gewerbestandes bewirkt hatte,
setzte der Handwerker noch lange die Erzeugnisse
seines Gewerbefleißes ohne Vermittler ab. Schon