Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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lange bestand eine rege Handelstätigkeit, ehe sich ein 
selbständiger Handelsberuf, ein eigener Handels- 
stand entwickelt hatte, der es sich dem oben 
lunter Nr 1) gegebenen Begriffe des Handels ent- 
sprechend zur Aufgabe macht, die von andern pro- 
duzierten Waren nur zu dem Zwecke an sich zu 
bringen, um aus ihrer gewerbsmäßigen Weiter- 
veräußerung seinen Unterhalt zu ziehen. Indessen 
tritt der Berufshändler, der Kaufmann (von cau- 
po, dem römischen Weinhausierer, stammend), doch 
bereits in den Anfängen der Menschengeschichte 
auf. Die Verrichtung der mit dem Handel zu- 
sammenhängenden Dienste lag im Altertum, na- 
mentlich bei den Römern, der antiken Wirtschafts- 
ordnung entsprechend, meistenteils in den Händen 
unfreier Leute oder auch von Freigelassenen, die 
sich dann nach und nach zu selbständigen Kauf- 
leuten herausbildeten. Auch der deutsche Kauf- 
mannsstand des Mittelalters ist großenteils aus 
unfreien Ministerialen hervorgegangen. 
2. Von diesen Anfängen bis zu der Entwicklungs- 
stufe, die er geschichtlichen Nachweisen zufolge schon 
bei vielen Völkern des Altertums und vollends im 
Mittelalter erreicht hatte, hat der Handel einen 
weiten Weg zurücklegen müssen, von dort bis zu 
seiner jetzigen Ausbildung und Verzweigung, bis 
zu dem komplizierten unübersehbaren Getriebe der 
heutigen Zeit einen noch viel weiteren. Zwar sind 
die ursprünglichsten Formen des Tausch-(Baratto- 
Handels und des stummen Handels auch heute 
noch nicht verschwunden, wo es sich um den Ver- 
kehr mit und unter Völkerschaften auf niedriger 
Kulturstufe handelt, wie z. B. gewissen Völker- 
schaften in Afrika, auf Ceylon. Auch heute noch 
hat die Urform des Handels im Umherziehen Be- 
deutung, und dies nicht bloß in noch unaufge- 
schlossenen, dünn bevölkerten Gegenden, wie z. B. 
dem Westen Amerikas, Sibirien, oder in einigen 
ehemaligen Kulturstrichen Asiens und Afrikas, wo 
ihm wohl noch dieselbe Bedeutung zukommt wie 
in den ältesten Zeiten, sondern auch in den kulti- 
viertesten Ländern, wo er in neuen Formen auf- 
tritt. Und auch heute noch werden wie ehedem 
große Karawanenzüge ausgerüstet und vermitteln 
den Hauptverkehr ganzer Länder, wie in den ge- 
nannten Erdteilen. Und „von den phönizischen 
und griechischen Seeräuberzügen und den Wi- 
kingerfahrten bis zu den holländisch -englischen 
Kaper-, Opium-, Gold= und Diamantenkriegen 
klebt List und Betrug, Blut und Gewalttat an 
diesem Handel in die Fremde, dessen Formen 
außerhalb Europas heute noch vielfach vorherr- 
schen“ (Schmoller). Aber welch ungeheure Fort- 
schritte hat nicht der Handel in jeder Beziehung, 
in seiner innern Organisation und Verzweigung, 
in seinen äußern Betriebsformen und hinsichtlich 
seines Umfanges nach Raum und Mengenumsatz 
gemacht! Dieselben Faktoren, welche den Handel 
überhaupt, insbesondere den Binnenhandel, zur 
Entstehung brachten, trugen auch weiterhin dazu 
bei, daß der gewerbsmäßige Handel sich immer 
  
Handel usfw. 
  
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mehr verzweigte, selbst wieder unter das Gesetz 
der Arbeitsteilung trat und allmählich nach den 
verschiedensten Objekten des Handels sich unend- 
lich abstufte. Und dabei blieb es nicht; auch nach 
der subjektiven Seite hin äußerte dasselbe Gesetz 
seine Wirkung, indem es die Gesamttätigkeit des 
Berufshandels in verschiedene selbständige Funk- 
tionen auflöste, namentlich die sog. Hilfsgeschäfte 
des Handels zu selbständigen Unternehmungen 
herausbildete. 
Was die Entwicklung des Handels in Ansehung 
des Umsatzgebietes anlangt, so darf man ruhig die 
Behauptung aufstellen, daß der Handel zu allen 
Zeiten, auch den vorgeschichtlichen, bis an die 
Grenzen der jeweils bewohnten und bekannten 
Teile der Erde sich erstreckte. Der Nachbar tauschte 
und kaufte eben vom Nachbar und dieser wieder 
von seinem Nachbar auf der andern Seite, und so 
setzte sich schon der Urhandel fort, bis ihm natür- 
liche Hindernisse entgegentraten, die für die je- 
weilige Kultur als unüberwindlich sich darstellten, 
die aber auch in gleicher Weise der Ausbreitung 
des Menschengeschlechts ein Ziel setzten. Indessen 
haben auch ohne solche Zwischenglieder schon die 
ältesten Völker mit den entferntesten Ländern 
direkte Handelsbeziehungen gehabt. Schon in den 
Zeiten seiner ersten Dynastengeschlechter betrieb 
Agypten Handel nicht nur mit dem benachbarten 
Nubien und Vorderasien, sondern auch mit den 
Ländern am Arabischen Meerbusen und mit In- 
dien, letzteres wieder direkt mit dem heutigen 
China. Aus den Amarnatexten ist bekannt ge- 
worden, wie lebhaft bereits zu Zeiten Amen- 
ophis' IV. (Mitte des 15. Jahrh. v. Chr.) die 
Handelsbeziehungen Agyptens zu Assyrien und 
Babylonien waren. Der Handel der letzteren Län- 
der wieder erstreckte sich von Indien bis in die 
kaukasischen Länder und ans Schwarze Meer, 
vom Mittelmeer bis in den fernen Osten Asiens; 
in ihnen kreuzten sich die großen Karawanen- 
straßen in den angegebenen Richtungen, und auf 
diesen verkehrten die Angehörigen aller Völker. 
Die Phönizier sodann sind nicht nur im ganzen 
Umkreise des Mittelmeeres (Cädiz z. B. wurde 
von ihnen im 12. Jahrh. v. Chr. gegründet), 
sondern ebenso im Asowschen und im Roten 
Meere, an den Küsten Hinterindiens, im Atlan- 
tischen Ozean wie in der Nordsee Handel treibend 
und Kolonien gründend tätig gewesen. Zur 
Zeit des Pharao Necho II. (Ende des 7. Jahrh. 
v. Chr.) hatten sie erwiesenermaßen Afrika um- 
schifft. Und die Karthager dehnten ihre Handels- 
reisen an der Westküste Afrikas bis weit nach 
Süden, anderseits nach Norden bis ins Baltische 
Meer aus und unterhielten zu Lande Handels- 
beziehungen zu dem entfernten Nubien und Ober- 
ägypten. 
Die Vergrößerung dieses Absatzgebietes durch 
die Entdeckungen der Neuen Welt, das außer- 
ordentliche Wachstum der Bevölkerung der Erde 
und die hiermit naturgemäß Schritt haltende Ver- 
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