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ziehung und den erziehlichen Unterricht ihrer Kinder
nur unter der Bedingung an einen Stellvertreter
übergeben, daß dieser gleichfalls von der Kirche
zur Erziehung autorisiert ist und unter der Auf-
sicht und Leitung derselben steht. Wenn also der
erziehliche Unterricht in einer Schule konzentriert
wird, dann muß auch der Lehrer, der in der Schule
wirkt, von der Kirche autorisiert sein und in
seiner Tätigkeit unter Oberaussicht und Leitung
der Kirche stehen; sonst dürften die Eltern als
Christen ihre Kinder gar nicht in diese Schule
geben. 3) Das gleiche ergibt sich aus der Stellung,
die der Lehrer in der Schule einnimmt. Wir
haben gezeigt, daß der Erzieher dem Zögling
gegenüber eine religiöse Stellung hat in dem
Sinn, daß er als Stellvertreter Gottes in der Er-
ziehung der Kinder fungiert. Aber in der über-
natürlichen, christlichen Ordnung kann niemand
eine religiöse Stellung einnehmen, es sei denn,
daß er von der Kirche in diese eingewiesen oder
wenigstens seine Berechtigung dazu von ihr an-
erkannt ist. So kann also auch der Lehrer in der
Schule nicht eine von der Kirche unabhängige
Stellung in Anspruch nehmen, weil er sonst aus
der christlichen Ordnung heraustreten würde. Er
muß sich vielmehr ebenso wie die Eltern als Or-
gan der Kirche in der Erziehung betrachten und
deshalb auch der Leitung und Oberaufsicht der
Kirche mindestens in seiner erziehlichen Tätigkeit
sich unterwerfen.
Unter diesen Umständen können wir dem Staat
nicht die Berechtigung zuerkennen, die Schule als
ein Glied des staatlichen Organismus für sich
allein in Anspruch zu nehmen und die Oberleitung
und Oberaussicht über diese ganz souverän zu
führen. Dadurch würde die Schule ihrer natür-
lichen Stellung entrückt und in eine Lage gebracht,
die mit ihrem Begriff und mit ihrer wesentlichen
Bestimmung als Erziehungsanstalt sich nimmer-
mehr vereinbaren läßt. Der Staat ist weder all-
gemeiner Erzieher noch allgemeiner Lehrmeister
und kann es nicht sein. Daher muß mit aller
Entschiedenheit abgelehnt werden, daß er das ge-
samte Schulgebiet einseitig beherrscht, eine Ab-
lehnung, die, nebenbei bemerkt, auch aus ganz
andern als religiösen Gründen von den verschie-
densten Seiten erfolgt. Dennoch kann man, wenn
man vom erziehlichen Standpunkt absieht und
jenen Gesichtspunkt festhält, den die Bedürfnisse
des bürgerlichen Lebens darbieten, dem Stagt ein
Recht auf Kontrollierung der Schule nicht ernst-
lich abstreiten; dazu hat heute der Staat bei der
großen Bedeutung des Unterrichts an diesem ein
zu tiefes Interesse. Es ist für ihn von wesent-
licher Wichtigkeit, daß die Kinder in der Elemen-
tarschule in den sog. weltlichen Unterrichtsgegen-
ständen tüchtig unterrichtet und geschult werden,
weil sie nur unter dieser Bedingung den Anfor-
derungen dereinst emtprechen können, welche das
bürgerliche und staatliche Leben an sie stellt. Die
Männer des Volkes nehmen in Kraft unserer
Erziehung.
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gegenwärtigen staatlichen Einrichtungen vielfach
an den öffentlichen Angelegenheiten teil und
müssen daher auch hinreichend unterrichtet sein,
um ihres Amtes in diesen Dingen gehörig walten
zu können. Ebenso fordern die gegenwärtigen
staatlichen und bürgerlichen Verhältnisse, daß der
höhere wissenschaftliche Schulunterricht in einer
möglichst vollkommenen und ausgedehnten Weise
betrieben werde, schon deshalb, weil aus den
höheren Schulen der Staat seine Organe be-
ziehen muß.
Verhält es sich aber so, dänn ist der Staat auch
berechtigt zu verlangen, daß die Jugend durch
die ganze Stufenleiter des Schulsystems hinauf
derart unterrichtet und gebildet werde, wie es den
gegenwärtigen bürgerlichen und staatlichen Ver-
hältnissen angemessen ist. Der Staat kann also
an die Schule die Anforderung stellen, daß sie den
sog. weltlichen Unterricht in der Weise einrichte,
daß den Bedürfnissen des bürgerlichen und staat-
lichen Lebens vollkommen genügt werde. Dieses
Recht kann aber nicht in der Weise aufgefaßt wer-
den, als sei der Staat in Kraft desselben befugt,
die Schule in der gedachten Richtung ganz für
sich allein in Anspruch zu nehmen und jede Auf-
sicht der Kirche auszuschließen. Denn dadurch
geriete er in Konflikt mit dem Recht der Kirche,
das durch ein solches Verfahren des Staates hin-
fällig würde; die Schule würde dadurch in den
Machtbereich des Staates übergehen und damit
ihren wesentlichen Charakter als Erziehungsanstalt
verlieren. Der Staat kann also jenes Recht nach
der christlichen Ansicht nur im Einvernehmen mit
der Kirche ausüben, d. h. er muß sich über die
Forderungen, die er an die Schule stellt, mit der
Kirche verständigen und darf dieser auf keinen
Fall das Recht auf den Religionsunterricht und
auf den ihr zukommenden Einfluß auf die Leitung
zu schmälern versuchen. In Deutschland und
Osterreich, wo der konfessionelle Religionsunter-
richt obligatorisch ist, geschieht dies auch im all-
gemeinen. Dagegen ist in Frankreich und Italien
die Staatsschule religionslos; in Belgien sind erst
neuerdings erfreulichere Zustände eingetreten, in
Amerika und in der Schweiz kümmert sich die
Staatsschule um Religion nicht. Bei dem herr-
chenden Schulzwang bleibt den Konfessionen
nichts weiter übrig, als eigene konfessionelle Schulen
zu gründen, die in England auch vom Staate
unterstützt werden.
Es ergibt sich aus dem Gesagten als etwas
Selbstverständliches, daß dem Staat auch das
Recht nicht abzusprechen ist — es ist sogar seine
flicht —, Schulen und Lehrer, die falsche und
sittenlose Grundsätze verbreiten, nicht zu dulden und
anderseits den Nachweis zu verlangen, daß das
Maß von Wissen erreicht ist, das zu seinen Zwecken
nötig erscheint. Nur soll sich seine Kontrolle nicht
in eine exklusive Oberaussicht über die Schule
verwandeln. Das wäre eine Überschreitung seiner
Kompetenz und eine Einmischung in den erzieh-
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