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Die umfassende Tätigkeit Karls d. Gr. wirkte
auch auf diesem Gebiete ordnend und belebend,
und neben den Handelsbeziehungen zu den alten
Kulturländern entwickelte sich allmählich, beson-
ders seitdem die skandinavische Völkergruppe zur
Ruhe gekommen war, ein lebhafter Handel im
Norden und Nordosten mit Dänen, Skandina-
viern, Slawen und Avaren bis Nowgorod. Von
hervorragendster Bedeutung für den Außenhandel
wurden dann die Kreuzzüge. Sie belebten nicht
nur außerordentlich die Einfuhr orientalischer
Natur= und Kunstprodukte, sondern waren auch die
unmittelbare Ursache des schnellen Aufdlühens
der italienischen Handelsstädte und deren
Vorherrschaft auf dem Mittelmeer. Der Levante-
handel ging allmählich vollständig in deren Hände
über. Anderseits traten sie über die Alpen hinweg
mit den zur Blüte gelangten Städten Deutsch-
lands, namentlich Süddeutschlands, und zur See
auch mit denen Belgiens, der Niederlande und
England in Verbindung, die wieder durch rege
direkte Beziehungen mit den deutschen Städten
die Kette schließen. Inzwischen hatte im nörd-
lichen Deutschland der mächtige Städtebund der
Hansao sich entfaltet und seinen Handel über alle
damals bekannten Meere und Länder ausgedehnt.
Eine völlige Umwälzung in den äußeren Bah-
nen des Handels und zugleich eine bedeutende
Vermehrung der Handelsgegenstände und der Um-
satzmengen bewirkten dann in der folgenden
Periode des Handels die Entdeckungen der
Neuen Welt und des Seeweges nach Ostindien
um die Südspitze Afrikas herum sowie die Auf-
klärung der Südsee. Der Handel Europas nach
Ostindien vereinfachte sich von dem kombinierten
See- und Landhandel über das Mittelländische
Meer und durch Vorderasien und unter Ausschal-
tung der seit der Eroberung Konstantinopels durch
die Türken immer unbequemer werdenden türki-
schen und arabischen Zwischenglieder zum direkten
Seeverkehr. Zugleich entwickelte sich ein immer
bedeutender werdender Verkehr nach den neu ent-
deckten Erdteilen mit ihren schier unerschöpflichen
Schätzen. Dabei ging die Hegemonie im Handel,
der nunmehr in Wirklichkeit ein die ganze Erde um-
spannender Welthandel wird, von den italienischen
Städten am Mittelmeer auf die europäischen
Völker am Atlantischen Ozean, die Spanier,
Portugiesen, Franzosen, Niederländer, Engländer
über, die nach kurzer Vorherrschaft der beiden er-
steren sich in die Herrschaft zu teilen, endlich aber
das ÜUbergewicht Englands anzuerkennen lernen
mußten. Deutschland, obgleich zu Beginn dieser
Periode England wirtschaftlich nicht nur eben-
bürtig, sondern sogar überlegen, vermochte nicht
sich Vorteile hierbei zu sichern; seine inneren
Wirren, die ihm namentlich aus der Glaubens-
spaltung und dem dadurch geförderten Aufstreben
der Landesfürsten nach Landeshoheit erwuchsen
und durch Schwächung des Kaisertums jede Be-
tätigung nach außen beeinträchtigten, hinderten
Handel usw.
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daran. Sogar das Gegenteil trat ein: die Nie-
derwerfung der Städte durch das absolute Fürsten-
tum trug wesentlich zu dem Niedergang der Hansa
und der Beteiligung Deutschlands am Welthandel
dieser Handelsperiode bei.
Mit dem Ende des 18. und hauptsächlich dem
Anfange des 19. Jahrh. beginnt wieder ein
neuer Abschnitt in der Geschichte des Welthandels,
dessen Verlauf wesentlich durch zwei Umstände be-
einflußt wird. Zunächst sind von größter Trag-
weite die Anderungen, welche in der Neuen Welt
sich vollzogen haben. Die Länder der Neuen Welt
sind seit der Zeit, von der wir diese neue Epoche
datieren, in außerordentlicher Weise wirtschaftlich
erstarkt, namentlich auch Australien. Amerika ist
außerdem in seiner vollen Ausdehnung, den nörd-
lichsten Teil ausgenommen, politisch selbständig
geworden, und davon wieder sind vornehmlich
die Vereinigten Staaten von Amerika mit einem
an Größe der Ausdehnung Europa fast gleich-
kommenden, an ungeheuern natürlichen, noch
frischen Kräften ihm weit überlegenen Gebiete
aus der Rolle eines passiven Kolonialstaates heraus-
getreten und zu einem selbständigen, in sich ge-
schlossenen Kulturstaate herausgewachsen, der mit
sämtlichen Mitteln der modernen Zivilisation aus-
gerüstet, mit klarem Bewußtsein seines Wollens
und seiner Kraft und mit rücksichtsloser Energie
als neuer Konkurrent im Welthandel auftritt.
Sodann hat die Entdeckung der Dampfkraft ein
Verkehrsmittel, die Eisenbahn, ermöglicht, das,
ganz abgesehen davon, daß es den Handel zu nie
geahnter Leistungsfähigkeit im Transport brachte,
ähnlich wie die Entdeckung neuer Handelswege in
früherer Zeit dem Handel neue Bahnen anzuweisen
geeignet ist. Einen großen Teil der Fracht, die früher
auf dem Seewege um das Kap Hoorn, die Südspitze
Südamerikas, geführt werden mußte, haben bereits
die nordamerikanischen transkontinentalen Bahnen
an sich gezogen. Von der sibirischen, der vorder-
asiatischen, der transkaukasischen und der nord-
südafrikanischen Eisenbahn dürfen nach ihrer Voll-
endung ähnliche Wirkungen auf die für sie in Be-
tracht zu ziehenden Gebiete erwartet werden. Wie
weit insbesondere der Sueskanal, der einen Teil
des Handels wieder auf die alte Straße durch das
Mittelmeer zurückführte, an Bedeutung durch die
vorderasiatische Bahn einbüßen wird, muß dahin-
gestellt bleiben; desgleichen anderseits, wie weit
die etwaige Fertigstellung des Panama= und
des Nicaragua-Kanals der Seefahrt im Atlan-
tischen und Stillen Ozean wieder zugute kommen
wird. Die Entwicklung, den diese Verkehrsperiode
nehmen wird, ist zur Zeit noch nicht zu übersehen.
Wenn die Ansicht ausgesprochen worden ist, alles
deute darauf hin, daß in betreff der künftigen
Gestaltung des Welthandels Nordamerika die
ihm geographisch angewiesene Zentralstellung auch
ökonomisch erringen werde, so wird man ihr nach
der zeitigen Lage der Dinge die Berechtigung kaum
absprechen können. Man wird indessen das in der