Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Die umfassende Tätigkeit Karls d. Gr. wirkte 
auch auf diesem Gebiete ordnend und belebend, 
und neben den Handelsbeziehungen zu den alten 
Kulturländern entwickelte sich allmählich, beson- 
ders seitdem die skandinavische Völkergruppe zur 
Ruhe gekommen war, ein lebhafter Handel im 
Norden und Nordosten mit Dänen, Skandina- 
viern, Slawen und Avaren bis Nowgorod. Von 
hervorragendster Bedeutung für den Außenhandel 
wurden dann die Kreuzzüge. Sie belebten nicht 
nur außerordentlich die Einfuhr orientalischer 
Natur= und Kunstprodukte, sondern waren auch die 
unmittelbare Ursache des schnellen Aufdlühens 
der italienischen Handelsstädte und deren 
Vorherrschaft auf dem Mittelmeer. Der Levante- 
handel ging allmählich vollständig in deren Hände 
über. Anderseits traten sie über die Alpen hinweg 
mit den zur Blüte gelangten Städten Deutsch- 
lands, namentlich Süddeutschlands, und zur See 
auch mit denen Belgiens, der Niederlande und 
England in Verbindung, die wieder durch rege 
direkte Beziehungen mit den deutschen Städten 
die Kette schließen. Inzwischen hatte im nörd- 
lichen Deutschland der mächtige Städtebund der 
Hansao sich entfaltet und seinen Handel über alle 
damals bekannten Meere und Länder ausgedehnt. 
Eine völlige Umwälzung in den äußeren Bah- 
nen des Handels und zugleich eine bedeutende 
Vermehrung der Handelsgegenstände und der Um- 
satzmengen bewirkten dann in der folgenden 
Periode des Handels die Entdeckungen der 
Neuen Welt und des Seeweges nach Ostindien 
um die Südspitze Afrikas herum sowie die Auf- 
klärung der Südsee. Der Handel Europas nach 
Ostindien vereinfachte sich von dem kombinierten 
See- und Landhandel über das Mittelländische 
Meer und durch Vorderasien und unter Ausschal- 
tung der seit der Eroberung Konstantinopels durch 
die Türken immer unbequemer werdenden türki- 
schen und arabischen Zwischenglieder zum direkten 
Seeverkehr. Zugleich entwickelte sich ein immer 
bedeutender werdender Verkehr nach den neu ent- 
deckten Erdteilen mit ihren schier unerschöpflichen 
Schätzen. Dabei ging die Hegemonie im Handel, 
der nunmehr in Wirklichkeit ein die ganze Erde um- 
spannender Welthandel wird, von den italienischen 
Städten am Mittelmeer auf die europäischen 
Völker am Atlantischen Ozean, die Spanier, 
Portugiesen, Franzosen, Niederländer, Engländer 
über, die nach kurzer Vorherrschaft der beiden er- 
steren sich in die Herrschaft zu teilen, endlich aber 
das ÜUbergewicht Englands anzuerkennen lernen 
mußten. Deutschland, obgleich zu Beginn dieser 
Periode England wirtschaftlich nicht nur eben- 
bürtig, sondern sogar überlegen, vermochte nicht 
sich Vorteile hierbei zu sichern; seine inneren 
Wirren, die ihm namentlich aus der Glaubens- 
spaltung und dem dadurch geförderten Aufstreben 
der Landesfürsten nach Landeshoheit erwuchsen 
und durch Schwächung des Kaisertums jede Be- 
tätigung nach außen beeinträchtigten, hinderten 
Handel usw. 
  
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daran. Sogar das Gegenteil trat ein: die Nie- 
derwerfung der Städte durch das absolute Fürsten- 
tum trug wesentlich zu dem Niedergang der Hansa 
und der Beteiligung Deutschlands am Welthandel 
dieser Handelsperiode bei. 
Mit dem Ende des 18. und hauptsächlich dem 
Anfange des 19. Jahrh. beginnt wieder ein 
neuer Abschnitt in der Geschichte des Welthandels, 
dessen Verlauf wesentlich durch zwei Umstände be- 
einflußt wird. Zunächst sind von größter Trag- 
weite die Anderungen, welche in der Neuen Welt 
sich vollzogen haben. Die Länder der Neuen Welt 
sind seit der Zeit, von der wir diese neue Epoche 
datieren, in außerordentlicher Weise wirtschaftlich 
erstarkt, namentlich auch Australien. Amerika ist 
außerdem in seiner vollen Ausdehnung, den nörd- 
lichsten Teil ausgenommen, politisch selbständig 
geworden, und davon wieder sind vornehmlich 
die Vereinigten Staaten von Amerika mit einem 
an Größe der Ausdehnung Europa fast gleich- 
kommenden, an ungeheuern natürlichen, noch 
frischen Kräften ihm weit überlegenen Gebiete 
aus der Rolle eines passiven Kolonialstaates heraus- 
getreten und zu einem selbständigen, in sich ge- 
schlossenen Kulturstaate herausgewachsen, der mit 
sämtlichen Mitteln der modernen Zivilisation aus- 
gerüstet, mit klarem Bewußtsein seines Wollens 
und seiner Kraft und mit rücksichtsloser Energie 
als neuer Konkurrent im Welthandel auftritt. 
Sodann hat die Entdeckung der Dampfkraft ein 
Verkehrsmittel, die Eisenbahn, ermöglicht, das, 
ganz abgesehen davon, daß es den Handel zu nie 
geahnter Leistungsfähigkeit im Transport brachte, 
ähnlich wie die Entdeckung neuer Handelswege in 
früherer Zeit dem Handel neue Bahnen anzuweisen 
geeignet ist. Einen großen Teil der Fracht, die früher 
auf dem Seewege um das Kap Hoorn, die Südspitze 
Südamerikas, geführt werden mußte, haben bereits 
die nordamerikanischen transkontinentalen Bahnen 
an sich gezogen. Von der sibirischen, der vorder- 
asiatischen, der transkaukasischen und der nord- 
südafrikanischen Eisenbahn dürfen nach ihrer Voll- 
endung ähnliche Wirkungen auf die für sie in Be- 
tracht zu ziehenden Gebiete erwartet werden. Wie 
weit insbesondere der Sueskanal, der einen Teil 
des Handels wieder auf die alte Straße durch das 
Mittelmeer zurückführte, an Bedeutung durch die 
vorderasiatische Bahn einbüßen wird, muß dahin- 
gestellt bleiben; desgleichen anderseits, wie weit 
die etwaige Fertigstellung des Panama= und 
des Nicaragua-Kanals der Seefahrt im Atlan- 
tischen und Stillen Ozean wieder zugute kommen 
wird. Die Entwicklung, den diese Verkehrsperiode 
nehmen wird, ist zur Zeit noch nicht zu übersehen. 
Wenn die Ansicht ausgesprochen worden ist, alles 
deute darauf hin, daß in betreff der künftigen 
Gestaltung des Welthandels Nordamerika die 
ihm geographisch angewiesene Zentralstellung auch 
ökonomisch erringen werde, so wird man ihr nach 
der zeitigen Lage der Dinge die Berechtigung kaum 
absprechen können. Man wird indessen das in der
	        
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