Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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mehr die Politik geltend, den Handel von diesen 
Beschränkungen zu befreien und durch Aufhebung 
der Binnenzoͤlle, der städtischen Gerechtsame und 
Abschließungssysteme die einzelnen Territorien zu 
einheitlichen Wirtschafts- und Handelsgebieten zu 
machen. In Osterreich fielen die letzten Zölle 
zwischen den einzelnen Gebietsteilen 1826 und 
zwischen ihm und Ungarn erst 1851. Preußen 
beseitigte die inneren Provinzialzölle für seine 
alten Provinzen 1816, im übrigen 1818. Für 
die innere Konsolidierung Deutschlands in dieser 
Richtung ist sodann das Zustandekommen des Zoll- 
vereins von durchschlagender Bedeutung. Nicht 
unerwähnt soll hier das große Verdienst bleiben, 
das sich auf dem Gebiete der innern Handels- 
politik dieser Deutsche Zollverein durch Schaffung 
der deutschen Wechselordnung und der Deutsche 
Bund durch das Zustandekommen des Allge- 
meinen deutschen Handelsgesetzbuches erwarb. 
Nach Erledigung dieser Aufgaben hat die innere 
Handelspolitik die erwähnte Bindung des Han- 
dels, die teilweise bis ins 19. Jahrh. sich erhalten 
hatte, vollständig beseitigt und mit der allgemeinen 
Gewerbefreiheit auch die Freiheit des Handels- 
betriebes durchgeführt. Abgesehen von gewissen 
Auflagen an die Vollkaufleute, z. B. ihre Firmen 
im Handelsregister eintragen zu lassen, und für 
gewisse Betriebe, die Verkaufslokale anzeigen zu 
müssen, sind persönliche Beschränkungen nur mehr 
in Ansehung des Hausierhandels und der sich ihm 
nähernden Formen des Wanderhandels aufrecht 
erhalten bzw. neu geregelt. Daneben bestehen Be- 
schränkungen einzelner Betriebe, wie des Trödel- 
handels, des Handels mit Arzneien, Giften, 
Branntwein, Spiritus, Lotterielosen. Im übrigen 
ist die innere Handelspolitik in der Hauptsache 
darauf gerichtet, Mißbräuche und Ausschreitungen 
im Handel zu verhüten, die indessen teilweise 
mehr dem gewerblichen Gebiet angehören. Dahin 
sind zu zählen die Bestimmungen über den Ver- 
kehr mit Nahrungs= und Genußmitteln, insbeson- 
dere mit Wild, Fischen, Wein, Margarine. Auch 
von allgemeineren Gesichtspunkten aus hat sich die 
Handelspolitik aller Staaten durch Erlaß von Ge- 
setzen über den unlautern Wettbewerb, den Börsen- 
handel, Warenzeichen usw. in dieser Richtung be- 
tätigt. Hierher gehört auch die Gesetzgebung be- 
treffend die Aktiengesellschaften, Genossenschaften, 
Konsumvereine, Gesellschaften mit beschränkter 
Haftung und sonstige Handelsgesellschaften. Eine 
Aufgabe der deutschen Handelspolitik wird es noch 
sein, Stellung zu nehmen zu den hauptsächlich seit 
1875 sich ausbildenden Kartellen, Konventionen, 
Ringen, Trusts. Zu den ersten Aufgaben einer 
guten innern Handelspolitik gehört die Handels- 
rechtspflege überhaupt. In dieser Beziehung ist 
auf den Spezialartikel zu verweisen; hier sei nur 
bemerkt, daß in Deutschland seit dem 1. Jan. 
1900 ein neues Handelsgesetzbuch (vom 10. Mai 
1897) in Kraft getreten ist, daß die Organi- 
sation von Kammern für Handelssachen bei den 
Handel usw. 
  
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Landgerichten als Handelsgerichten (Gerichtsver- 
fassungsgesetz vom 27. Jan. 1877, Titel 7) in- 
sofern durchgeführt ist, als die Errichtung solcher 
Kammern nach Bedürfnis erfolgen kann, und daß 
durch das Reichsgesetz vom 6. Juli 1904 die Bil- 
dung von Kaufmannzgerichten vorgesehen ist. 
Als ein ergiebiges Feld für handelspolitische 
Betätigung des Staates erweist sich das Gebiet 
des Handels mit Rücksicht auf die soziale Frage. 
Aus der Statistik ergibt sich deutlich ein erheb- 
licher Rückgang der Selbständigen und eine ent- 
sprechende Vermehrung des Hilfspersonals, da- 
neben eine bedeutendere Vermehrung der größeren 
Betriebe gegenüber derjenigen der kleineren. Ein 
Eingreifen zugunsten des bedrohten Mittelstan- 
des erscheint indessen außerordentlich schwierig, 
und der in Frankreich wie in Deutschland be- 
schrittene Weg, dem Umsichgreifen des Groß- 
betriebes auf dem Gebiete des Detailhandels durch 
Besteuerung der großen Warenhäuser (preuß. Ge- 
setz vom 18. Juli 1900) entgegenzuwirken, be- 
gegnet neben dem Zweifel an dem tatsächlichen 
Erfolge, sofern nicht geradezu eine „Erdrosselungs- 
steuer“ beliebt wird, auch grundsätzlichen Be- 
denken. Hierbei darf übrigens nicht unbeachtet 
gelassen werden, daß die mißliche Lage vieler 
Kleinbetriebe sehr häufig ihnen selbst zuzuschreiben 
ist, indem solche Betriebe, begünstigt durch ver- 
schiedene Umstände allgemeiner Natur, sehr häufig 
in Ermanglung andern Könnens ohne berufs- 
mäßige Vorbildung und ohne ausreichende finan- 
zielle Grundlage begonnen werden und neben son- 
stigen Schädigungen eine ungesunde Überfüllung 
des Standes mit diesen Betrieben bewirken. Was 
die andere Richtung dieser Frage anlangt, die 
Stellung des Hilfspersonals, so sind sowohl in 
England wie in Deutschland, Osterreich und an- 
dern Ländern, am weitestgehenden in Australien, 
Vorschriften zur Besserung erlassen. Sie beziehen 
sich im wesentlichen auf die Ruhezeit, Sonntags- 
ruhe, Mittagspause, Ladenschluß usw. Das deutsche 
Handelsgesetzbuch enthält aber auch wertvolle Be- 
stimmungen sozialreformerischer Art über Ein- 
gehung und Aupfhebung des Dienstverhältnisses, 
Konkurrenzklausel, den Schutz gegen Gefährdung 
von Gesundheit und Sittlichkeit usw. Hierhin ge- 
hört auch die bereits erwähnte Bildung von Kauf- 
mannsgerichten (s. d. Art. Handelsrecht). 
Als weitere Gebiete der Betätigung des Staates 
in betreff des Handels sind die Förderung der 
kaufmännischen Berufsbildung durch Gründung 
von Handelsschulen und Handelshochschulen sowie 
die Pflege der Handelsstatistik zu nennen. 
Als Organe, welche dem Staate bei Lösung der 
ihm obliegenden handelspolitischen Aufgaben zur 
Verfügung stehen, kommen neben seinen eigenen Be- 
hörden (Handelsministerium, Regierungen usw.) die 
Handelskammern (s. d. Art.), für Preußen der 1880 
geschaffene Volkswirtschaftsrat u. a. in Betracht. 
2. Auf dem Gebiete der äußern Handels- 
politik sind uns aus der Geschichte des Altertums
	        
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