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die in ihrer Berechtigung sehr bestritten sind, haben
z. B. bei der neuesten hier in Frage kommenden
Rechtsbildung in Deutschland, dem Erlasse des
B. G. B. und des Handelsgesetzbuchs (H.G.B.),
vor einer weiteren Verschmelzung beider Rechte, als
tatsächlich geschehen, Halt machen lassen. Und was
die universale Geltung des Handelsrechts anlangt,
so beruht dieselbe teils auf internationalen Ab-
machungen teils auf der Privatautonomie der
Beteiligten. In ersterer Beziehung liegt die Sache
genau so wie vorhin, und die Privatautonomie
kann man gegen die Untauglichkeit des bestehenden
Rechts überhaupt nicht anführen, da sie sich selbst
über das beste hinwegsetzen kann. Der einzige
Grund, der sich für die Trennung anführen läßt,
ist eben nur der Zustand des allgemeinen bürger-
lichen Rechts. Solange dieses für den Handels-
verkehr zureichend und richtig gestaltet ist, wird die
Existenz eines Sonderrechts überflüssig erscheinen.
Dies zeigt sich auch bei Betrachtung der historischen
Entwicklung, welche die Bildung des Handels-
rechts genommen hat.
Von verschiedenen Völkern des Altertums, die
vornehmlich auf dem Gebiete des Handels tätig
gewesen sind, den Agyptern, Phöniziern und Kar-
thagern, sind privatrechtliche Bestimmungen über
den Handelsverkehr nicht bekannt. Dasselbe ist
der Fall in betreff der Babylonier und Assyrier;
von ihnen sind indes zahlreiche rechtsgeschichtliche
Urkunden erhalten, die auf einen auch nach der
rechtlichen Seite ungemein ausgebildeten Handels-
verkehr schließen lassen, ohne indes Aufschluß dar-
über zu geben, ob Sonderbestimmungen für den
Handel bestanden. Letzteres gilt auch von den
Griechen; auf feste besondere Normen läßt aller-
dings die Ausbildung des Seedarlehens und der
großen Haverei schließen; hier begegnen uns auch
Sonderbestimmungen für den Handelsprozeß. Die
Römer besaßen selbst auf der Höhe der Staats-,
Rechts= und Verkehrsentwicklung kein von dem
übrigen Privatrecht getrenntes Handelsrecht. Der
Grund lag nicht, wie zuweilen behauptet wird,
in der Sklavenwirtschaft und dem damit zu-
sammenhängenden Mangel an Berufsständen,
wenn dies auch vielleicht mitgewirkt hat, sondern
in der Bildung des gemeinen bürgerlichen Rechts,
das so reich und dessen Kategorien so elastisch ge-
staltet waren, daß es den Anforderungen auch des
großen Handelsverkehrs entsprach. Ein sonstiger
Anhänger der Notwendigkeit eines besondern
Handelsrechts (Goldschmidt) sagt in dieser Be-
ziehung: Bei einem so universalen, biegsamen, mit
vollendeter Technik bis in das feinste Detail ent-
wickelten, zugleich von den höchsten ethischen Prin-
zipien beherrschten bürgerlichen Recht, in dessen
Handhabung die freieste Beurteilung nach Treu
und Glauben . die Regel bildete .., war weder
Raum noch Bedürfnis nach einem umfassenden
Sonderrecht des Handels gegeben.
Die Anfänge eines solchen Sonderrechts finden
sich erst im Mittelalter in Italien. Während im
Handelsrecht.
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oströmischen, später byzantinischen Reiche das
Rechtswesen weiter auf dem römischen unter
Justinian kodifizierten Rechte beruhen blieb, bil-
dete sich im Westen Europas allmählich ein kauf-
männisches Gewohnheitsrecht aus, auf welches die
kanonische Doktrin und Praxis (vgl. d. Art. Han-
del) keinen wesentlichen Einfluß übte. Die Han-
delsgewohnheit zeigte sich in den „in typischer
Form von Notaren geschlossenen Rechtsgeschäften
(Notariatsurkunden)“. Dazu kam die Bildung
eines besondern Kaufmannsstandes (der Gilden)
unter eigenen Konsuln (Innungsvorstehern) und
Schiedsgerichten, wodurch für die weitere Fort-
und Ausbildung gesorgt wurde. Diese zünftige
Rechtspflege wurde auch in fremden Ländern, in
den Faktoreien geübt und wirkte so auf die inter-
nationale Handelsrechtsbildung ein. So finden
sich schon frühzeitig in den romanischen Ländern
mehr oder minder übereinstimmend eine Reihe
neuer, dem bisherigen Rechte fremder handels-
rechtlicher Institutionen, z. B. verschiedene Han-
delsgesellschaftssormen, Order= und Inhaber-
papiere, Wechsel, ein ausgebildetes Bankrecht,
sowie dem Seerecht angehörige Sätze. Diese Bil-
dung dehnte sich infolge des intensiven Verkehrs,
namentlich auch auf den mehr internationalen
Messen, über alle romanischen Länder aus und
veranlaßte dort eine Anzahl von Kodifikationen,
sowohl als Innungsstatuten (statuta mercato-
rum) wie als städtische Statutarrechte, die aber
bald eine weit über den ursprünglichen lokalen Be-
reich hinausgehende Bedeutung erlangten. Hier-
her gehörten z. B. das Constitutum usus von
Pisa (um 1161) und auf dem Gebiete des See-
rechts die Tabula Amalfitana (aus dem 13. und
14. Jahrh.) sowie die Seerechte von Oléron und
Barcelona (aus dem 12. bzw. 14. Jahrh.). Im
Norden Europas, in Deutschland besonders, war
der Bildungsgang ähnlich. Auch hier entstanden
die Kaufmannsgilden und Gildengerichte (curia
mercatorum), welche die Privilegien des Stan-
des zu wahren und die Streitigkeiten der Genossen
zu schlichten hatten. In den Gilden bildeten sich
auch hier allmählich sowohl materielle Rechtssätze
als auch ein besonderes Verfahren aus. Aller-
dings war hier die eigene Rechtsbildung bedeutend
dürftiger als in den romanischen Ländern; in der
Hauptsache ist hier sogar seit dem Ausgange des
Mittelalters ähnlich wie das gemeine bürgerliche
Recht so auch das Handelsrecht aus jenen Ländern
„rezipiert“. Auf dem Gebiete des Seerechts machte
sich mehr Selbständigkeit geltend (z. B. im Wis-
byschen Seerecht, „Waterrecht“).
Vom Ende des Mittelalters ab trat ein längerer
Stillstand in der Rechtsbildung ein, trotz des
großen Ausschwungs, den der Handel infolge der
neuen Entdeckungen nahm. Zu gleicher Zeit
wuchs die Landeshoheit der Fürsten; dieselbe er-
drückte immer mehr die Autonomie der Städte
und Korporationen, die Hauptauellen des Han-
delsrechts, ohne seinerseits dessen Fortbildung zu