Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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fördern. Der Sonderrechtsbildung für die ein- 
zelnen Berufsstände war der aufstrebende Staat 
überhaupt nicht günstig. Dafür aber gebührt ihm 
das Verdienst, in neuerer Zeit die Kodifikation 
des Handelsrechts zustande gebracht zu haben, 
das nicht bloß in zahllose städtische Statutarrechte 
und Satzungen der Kaufmannsgilden, sondern 
auch nach Materien in Markt-, Maß-, Mer- 
kantil-, Börsen-, Bank-, Firmen-, Assekuranz-, 
Stapel= usw. Rechte sich zersplitterte. Als erster 
Staat betrat Frankreich diesen Weg, indem es 
1673 die Ordonnance du commerce und 1681 
die Ordonnance de marine erließ, die beide im 
wesentlichen die Grundlage des heute noch in 
Frankreich geltenden, wenn auch durch viele Ge- 
setze modifizierten, 1807 erlassenen Code de com- 
merce bilden. Als nächste Kodifikation folgen 
1737 die Ordonnanzen von Bilbao, die Grund- 
lagen des späteren spanischen Handelsrechts von 
1829, und nach voraufgegangenem Erlasse einer 
Wechselordnung (1751) sowie einer Assekuranz 
und Havereiordnung (1766), 1794 das Handels- 
recht als Teil des Allgemeinen Landrechts in Preu- 
ßen. Im übrigen dauerte in den kontinentalen 
Staaten die alte Zersplitterung des Rechts bis 
weit in das 19. Jahrh. hinein fort, und England 
wie Nordamerika besitzen auch heute noch kein kodi- 
fiziertes Handelsrecht. 
Jener Zustand blieb, von Preußen abgesehen, 
in den deutschen Bundesstaaten ebenfalls vor- 
läufig bestehen. Erst im Jahre 1836 regte die 
württembergische Regierung im Zollverein eine 
Kodifikation des Handelsrechts für ganz Deutsch- 
land an. Jedoch erst nach verschiedenen neuen 
Anträgen beschloß die Bundesversammlung auf 
den Antrag Bayerns im Jahre 1856. eine Kom- 
mission zur Abfassung eines Handelsgesetzbuches 
zu berufen. Diese trat im Jan. 1857 in Nürn- 
berg zusammen und beendete ihre Arbeiten im 
März 1861. Durch Bundesbeschluß vom 31. Mai 
1861 wurde ihr Werk als „Entwurf eines allge- 
meinen deutschen Handelsgesetzbuchs“ den Regie- 
rungen der Einzelstaaten zur Annahme empfohlen 
und von diesen auch, einschließlich Osterreichs, in 
den Jahren 1861/65, natürlich als Partikular= 
gesetz, eingeführt. Nach Gründung des Nord- 
deutschen Bundes bzw. Deutschen Reiches wurde 
es verfassungsgemäß zum Bundes= bzw. Reichs- 
gesetz erklärt. 
Entsprechend den drei erwähnten Kodifikatio- 
nen, der französischen, spanischen und deutschen, 
lassen sich drei Staatengruppen unterscheiden, die 
in ihren Handelsgesetzbüchern sich der einen oder 
andern mehr oder minder angeschlossen haben. 
Der französische Code de commerce wurde fran- 
zösischer Gewohnheit gemäß in allen unter fran- 
zösische Herrschaft gelangten Ländern eingeführt 
und gilt auf Grund dessen noch in Luxemburg. 
In Holland ist an seine Stelle, aber auf seiner 
Grundlage aufgebaut, ein neueres Gesetzbuch ge- 
treten. Auch bildet er für die Gesetzbücher mehrerer 
Handelsrecht. 
  
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andern Staaten die Grundlage, z. B. Griechen- 
lands, der Türkei, Agyptens. Er gilt noch im 
Königreich Polen. Das Gebiet des spanischen 
Handelsgesetzbuchs umfaßt außer dem Mutterland 
die ehemaligen spanisch-portugiesischen Kolonien 
in Amerika, die wohl sämtlich neuere Gesetzbücher 
erhalten haben. Von dem deutschen H.G.B. sind 
beeinflußt die Gesetzbücher von Belgien, Italien, 
Rumänien, Ungarn, Japan u. a. Natürlich sind 
diese Beeinflussungen keine ausschließlichen, viel- 
mehr stehen die drei grundlegenden Kodifikationen 
wie auch die späteren unter dem Einfluß der zur 
Zeit ihrer Veranstaltung überhaupt bereits be- 
stehenden Rechte. Infolgedessen hat das gesamte 
Handelerecht aller Kulturstaaten bei aller Ver- 
schiedenheit in sehr vielen Einzelheiten und auch 
in betreff der in den einzelnen Kodifikationen ge- 
regelten Materien, in gewissem Grade einen gleich- 
artigen Charakter erhalten. Dazu kommt, daß in 
zahlreichen internationalen Vereinbarungen zwi- 
schen größeren oder kleineren Staatengruppen 
immer mehr für die Ausgleichung der Verschieden- 
heiten auf dem Gebiete des Handels= und Ver- 
kehrsrechts geschieht. Es sei hier nur, vom Ver- 
kehrsrecht abgesehen, auf die Berner Konvention 
betreffend den Schutz des Urheber= und Verlags- 
rechts hingewiesen. 
2. Im Deutschen Reiche ist am 1. Jan. 
1900 ein neues H.G. B., vom 10. Mai 1897, 
in Kraft getreten. Die Revision des alten Gesetz- 
buchs war eine notwendige Folge der umfassen- 
den Neugestaltung des Privatrechts im B. G.B., 
welches mit demselben Zeitpunkt in Kraft getreten 
ist. Das alte H. G. B. hatte bei der Vielgestaltig- 
keit des bürgerlichen Rechts, welche zur Zeit seiner 
Herstellung in Deutschland herrschte, es sich zur 
Aufgabe gemacht, in gewissem Umfange eine ge- 
meinsame Grundlage auch für solche Verhältnisse 
zu schaffen, die, selbst wenn man die Notwendig- 
keit selbständiger handelsrechtlicher Sonderbestim- 
mungen anerkennt, an sich dem bürgerlichen Rechte 
angehören. Diese Aufgabe fiel mit der Reglung 
des bürgerlichen Rechts weg. Die Folge davon 
war eine Verminderung des dem H. G. B. zuge- 
fallenen Rechtsstoffes und eine Annäherung des 
Handelsrechts an das bürgerliche Recht auch aus 
diesem rein äußerlichen Grunde. Im übrigen ist 
diese Annäherung dadurch gefördert, daß das 
B. G. B. in vielen Punkten bewährte Sätze des 
alten Handelsrechts aufgenommen hat, die nun- 
mehr für beide Rechte gelten. 
Auf Rechtsverhältnisse, die zwischen Nichtkauf- 
leuten bestehen, findet das neue H.G.B. keine 
Anwendung; mindestens einer der Träger des 
Rechtsverhältnisses muß Kaufmann sein. Dies 
hängt damit zusammen, daß es nach dem alten 
H.G.’B. sog. absolute Handelsgeschäfte gab, d. h. 
Geschäfte, welche um ihrer selbst willen, mochten 
sie abgeschlossen sein von wem und in welcher An- 
zahl immer, als Handelsgeschäfte galten und nach 
Handelsrecht zu beurteilen waren, und daß dies
	        
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