Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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nach dem neuen weggefallen ist. Damit ist einer 
der bedeutsamsten Unterschiede gekennzeichnet. Das 
neue Gesetz ist demnach, da seine Anwendung von 
dem Umstande abhängt, daß ein Kaufmann be- 
teiligt ist, wieder in gewissem Sinne zu einem 
Standesrecht der Kaufleute geworden, wie es in 
früheren Jahrhunderten war. Ist ein Rechtsge- 
schäft auf der einen Seite ein Handelsgeschäft, so 
kommen die Vorschriften des H.G.B. über Han- 
delsgeschäfte für beide Teile gleichmäßig zur An- 
wendung; jedoch auch diesem Satze gegenüber engt 
noch das Buch als Standesgesetz sein Herrschafts- 
gebiet durch besondere Vorschriften ein. 
Diese Einschränkung der Anwendung der Vor- 
schriften des Handelsrechts gegen früher werden 
aber mehr wie aufgewogen durch den Umstand, 
daß der Begriff des Kaufmanns im neuen Ge- 
setzbuche bedeutend erweitert ist. Kaufmann ist 
nach dem neuen Gesetze nicht wie bisher, wer be- 
stimmte Handelsgeschäfte betreibt, sondern ganz 
allgemein, wer ein Handelsgewerbe betreibt. Neun 
Arten von Geschäften gibt es, deren gewerblicher 
Betrieb ohne weiteres die Kaufmannsqualität ver- 
leiht. Außerdem aber ist dies der Fall bei jedem 
andern gewerblichen Unternehmen, das nach Art 
und Umfang einen in kaufmännischer Weise ein- 
gerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, sofern die 
Firma des Unternehmers in das Handelsregister 
eingetragen worden ist. Da diese Eintragung aber 
zur Pflicht gemacht ist und erzwungen werden 
kann, so ist den Inhabern aller gewerblichen Unter- 
nehmungen im Zweifel die Kaufmannseigenschaft 
zuzusprechen. Die Handelsgesellschaften sind ohne 
weiteres den Kaufleuten gleichzuachten. Auf den 
Betrieb der Land= und Forstwirtschaft findet das 
Gesagte keine Anwendung; treiben Land- und 
Forstwirte aber ein Nebengewerbe, das nach Art 
und Umfang einen kaufmännisch eingerichteten Ge- 
schäftsbetrieb erfordert, z. B. größere Brennereien, 
Mühlen, so sind sie berechtigt, aber nicht ver- 
pflichtet, sich als Kaufleute in das Handelsregister 
eintragen zu lassen. Dies ist einer der wichtigsten 
Unterschiede im Anwendungsgebiet des alten und 
des neuen H.G. B. Ohne weitere Ausführung 
wird man nun die Behauptung aufstellen dürfen, 
daß die rechtlichen Beziehungen der Menschen, 
soweit sie überhaupt durch Rechtsgeschäfte begrün- 
det werden, in der Mehrzahl durch solche Rechts- 
geschäfte geknüpft werden, die zu den nach Han- 
delsgesetz zu beurteilenden „Handelsgeschäften“ zu 
zählen sind, was in mancher Beziehung von Be- 
deutung ist. 
Das H. G. B. zerfällt in vier Bücher: Han- 
delsstand, Handelsgesellschaften und stille Ge- 
sellschaft, Handelsgeschäfte, Seehandel. Das erste 
Buch enthält die vorher erwähnten Bestim- 
mungen über Kaufleute und bringt dann Vor- 
schriften über Handelsregister (Zwang zur Ein- 
tragung, öffentliche Bekanntmachung, Rechtsver- 
mutung als Wirkung der Eintragung bzw. Be- 
kanntmachung, Freiheit der Einsicht), Handels- 
Handelsrecht. 
  
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firma (Inhalt, Anbringung an offenen Läden usw., 
Schutz, Folgen der Ubernahme und Fortführung), 
Handelsbücher (Pflicht zur Führung von Büchern, 
zur Aufbewahrung derselben und der Briefe, zur 
Bilanzaufstellung), Prokura und Handlungsvoll- 
macht (Bedeutung, Inhalt, Erteilung, Eintragung, 
Erlöschen, Beschränkungen), Handlungsgehilfen 
und Handlungslehrlinge (Begriff, Eingehung und 
Beendigung des Verhältnisses. Rechte und Pflich- 
ten, auch sozialpolitischer Natur, Konkurrenz- 
klausel), Handlungsagenten (neu! Begriff, Ent- 
stehung und Beendigung der Stellung, Rechte 
und Pflichten) und Handelsmakler. Im zweiten 
Buche wird zunächst von der offenen Handels- 
gesellschaft (Errichtung, Rechtsverhältnis der Ge- 
sellschafter untereinander und zu dritten, Auf- 
lösung, Liquidation und Verjährung), dann von 
der Kommanditgesellschaft, ferner der Aktiengesell- 
chaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien und end- 
lich der Stillen Gesellschaft (Firma, Vertretung, 
Rechte und Pflichten der Beteiligten, Auflösung) 
gehandelt. Das dritte Buch enthält außer der 
Feststellung des Begriffes der Handelsgeschäfte 
mannigfache allgemeine Vorschriften, welche die 
sachlichen Abweichungen der Schuldverhältnisse 
nach Handelsrecht von denen des bürgerlichen 
Rechts ergeben, z. B. betreffs Vertragsstrafen, 
Bürgschaft, Zinsen, Leistungszeit, Schutz des red- 
lichen Erwerbes u. dgl. Es regelt ferner in die- 
sem Abschnitt das Kontokorrentverhältnis (neul), 
die kaufmännischen Orderpapiere und das kauf- 
männische Zurückbehaltungsrecht. In den folgen- 
den Abschnitten regelt es den Handelskauf (Folgen 
des Annahmeverzugs, Fixgeschäfte, Pflicht zur 
Mängelanzeige und Dispositionsstellung, Ge- 
wichtsberechnung der Ware), das Kommissions- 
geschäft (Begriff, Rechte und Pflichten), das 
Speditionsgeschäft (dgl.), das Lagergeschäft (neu! 
dgl., Lagerschein), das Frachtgeschäft (dgl., Lade- 
schein) und endlich die Beförderung von Gütern 
und Personen auf den Eisenbahnen (besondere 
Rechtsstellung der Eisenbahnen, Transportzwang, 
Haftung für Schäden, Besonderheiten des Eisen- 
bahnfrachtgeschäftes). Das vierte Buch endlich 
hat den Seehandel zum Gegenstand (vgl. d. Art. 
Seerecht). 
In Handelssachen gelten zunächst die Vor- 
schriften des H. G. B., und nur soweit solche nicht 
getroffen sind, kommt das B.G.B. ergänzend zur 
Anwendung, die allerdings nach dem Gesagten 
eine sehr umfassende ist. Im Verhältnis zu den 
sonstigen Reichsgesetzen gilt der umgekehrte Grund- 
satz, d. h. diese werden durch das H.G.B. nicht 
berührt. Einzelne sind durch das Einf.Ges. zum 
H.G.B. abgeändert worden. Als wichtigste für 
den Handel sind etwa folgende Reichsgesetze zu 
nennen: die Wechselordnung, die Gewerbeord- 
nung, das Reichspostgesetz, das Reichsbankgesetz, 
das Gesetz über die Erwerbs= und Wirtschafts- 
genossenschaften, das Patent- und Gebrauchs- 
musterschutzgesetz, das Gesetz über die Gesellschaften 
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