Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Angehörigen anderer Staaten in wirtschaftliche 
Beziehungen zueinander treten. Die Bedingungen 
hierfür selbständig vorschreiben und je nach dem 
wechselnden Bedürfnis oder nach Gutdünken wieder 
ändern zu können, ist für einen selbständigen und 
auf seine Selbständigkeit haltenden Staat ein so 
naheliegendes natürliches Verlangen, daß man 
die Ausübung und Erhaltung des Rechts zur 
autonomen Bestimmung der Zollsätze, zu denen 
fremde Waren die Grenze passieren dürfen, als 
Grundlage und erste Regel für das Verhalten 
eines Staates bezeichnen darf. Aber nicht minder 
natürlich muß das Verlangen erscheinen, die in 
der gleichen Autonomie anderer, ebenso berech- 
tigter und ebenso selbständiger Staaten liegende 
Möcglichkeit einer Störung des als wünschens- 
wert erkannten Verkehrs fernzuhalten. Es kann 
auch je nach der wirtschaftlichen Lage sogar ein 
dringendes Bedürfnis, den fremden Tarif anders 
gestaltet zu sehen, hinzutreten. Auf friedlichem 
Wege ist dies nur mittels vertragsmäßigen Über- 
einkommens, durch Handelsverträge, zu erreichen. 
Es ist also ein Fehler, jedenfalls eine Einseitigkeit, 
bei der Frage, ob Handelsverträge abzuschließen 
seien oder nicht, nur die eigene Bindung wie einen 
Verlust der besten Waffe zu betrachten, die Bin- 
dung der Gegenseite jedoch zu übersehen, die viel- 
leicht die Entwindung einer viel gefährlicheren 
Waffe aus der Hand des Gegners bedeutet. Nicht 
die „Theorie der freien Hand“ also, sondern nur 
eine sachliche, auf vollständiger Übersicht aller 
in Betracht kommenden Verhältnisse beruhende 
richtige Beurteilung der Stärke und Gefährlich- 
keit des andern Teiles können hier entscheidend 
sein. Und da liegt es bei der außerordentlichen 
Kompliziertheit der Verhältnisse, bei dem augen- 
fälligen Bestreben großer und auf das wirtschaft- 
liche Leben sämtlicher Kulturländer bedeutenden 
Einfluß ausübender Mächte, sich abzuschließen, 
abzuschließen doch nur aus selbstsüchtigen Grün- 
den und zu selbstsüchtigen Zwecken, durchaus nahe, 
den Versuch zu machen, die gefährliche Waffe des 
Gegners unschädlich zu machen und durch Ver- 
tragsbindung den Schädigungen vorzubeugen. 
Im übrigen bedingt nicht einmal der Abschluß 
eines Handelsvertrags notwendig ein Aufgeben 
oder eine Beschränkung der Tarifautonomie, selbst 
wenn ein solcher Vertrag — die Handelsverträge, 
in denen überhaupt keine Zollbestimmung vor- 
kommt, hier gänzlich beiseite gelassen — in Bezug 
auf das Tarifwesen die Meistbegünstigungsklausel 
enthält. Nach dem Sinne der Klausel, wie er 
oben mitgeteilt ist, werden die Vertragsstaaten an 
sich gar nicht gehindert, ihre autonomen Tarife zu 
ändern, ja sogar, vom Standpunkte des andern 
Teiles aus betrachtet, zu verstärken, zu verschlech- 
tern; ihre Bedeutung ist eben nur die, daß der 
meistbegünstigte Staat nicht schlechter gestellt wer- 
den darf wie irgend ein dritter Staat. In Bezug 
auf Tarifbindung kommt demnach die Meist- 
begünstigungsklausel erst dann und nur in den 
Handelsverträge. 
  
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Fällen zur Geltung, wenn der die Meistbegün- 
stigung einräumende Staat entweder Tarifverträge 
mit andern Sätzen abschließt oder bereils ab- 
geschlossene ändert. Danach richtet es sich auch, 
ob ein Meistbegünstigungsvertrag als Tarif- 
vertrag angesprochen werden kann oder nicht. Ist 
er ein solcher, so wirkt er im internationalen Ver- 
kehr in der eigentümlichen Weise weiter, daß fort- 
während bei irgend welcher Anderung selbsttätig 
neue Beziehungen hergestellt werden, ohne daß 
überall neue Vertragsabschlüsse statthaben müssen. 
Das macht aber auch den zeitigen Stand der 
Verhältnisse sehr unübersichtlich, da er nur aus 
der Gesamtheit aller später abgeschlossenen Ver- 
träge anerkannt werden kann. 
Ein Staat kann bei Reglung seines autonomen 
Tarifs in der Weise verfahren, daß er, wie dies 
merkantilistische Methode war, für jeden Staat 
besondere Tarifsätze normiert, Differentialtarife 
aufstellt, oder aber einen gegenüber allen Staaten 
anzuwendenden einheitlichen Tarif, den allgemeinen 
oder Generaltarif, erläßt. Er kann auch einen 
sog. Doppeltarif aufstellen, d. h. einen Tarif, 
der eine Maximal= und eine Minimalgrenze der 
Zölle aufweist, die nicht überschritten werden soll; 
in diesem Falle hat der Maximaltarif gleichzeitig 
die Rolle des Generaltarifs zu vertreten, während 
der Minimaltarif lediglich den Zweck hat, für 
etwaige Vertragsabschlüsse die äußerste Begün- 
stigungsgrenze zu fixieren. Werden nun Handels- 
verträge in Ansehung dieser Tarife abgeschlossen, 
so kann sich der Inhalt der Bestimmungen darauf 
beschränken, den Staat an seinen Tarif zu binden, 
ihn also zu verpflichten, die Tarifsätze nicht zu 
ändern, d. h. nicht zu erhöhen oder auch wohl 
nicht zugunsten anderer zu erniedrigen, oder aber 
er kann auch Abänderungen, Herabsetzungen der 
Tarifsätze betreffen. Die Zusammensetzung dieser 
Tarifsätze bildet den Konventionaltarif. Je nach- 
dem der Staat Verträge mit Meistbegünstigungs- 
klausel laufen hat, pflanzen sich die Begünstigungen 
im Konventionaltarif auf die meistbegünstigten 
Staaten fort, wie hier noch einmal zur Verdeut- 
lichung von anderem Gesichtspunkt aus wieder- 
holt werden mag. Sofern die eingehende Ware, 
statt nach Generaltarif, nach dem Konventional= 
tarif behandelt werden soll, ist die Vorlage von 
Ursprungs= oder Herkunftszeugnissen erforderlich 
(ogl. d. Art. Zölle). 
Aus dem Gesagten geht schon ohne weiteres her- 
vor, daß es unzulässig ist, in dem bloßen Abschluß 
von Handelsverträgen, selbst wenn es solche mit 
Konventionaltarifen sind, eine Betätigung frei- 
händlerischer Gesinnung zu erblicken. Es kommt 
eben ganz darauf an, welche Ermäßigungen der 
Konventionaltarif gegenüber dem Generaltarif, 
bzw. welchen sonstigen Inhalt der Vertrag auf- 
weist. In dieser Beziehung kann auch in der 
vertragsmäßigen Bindung kein freihändlerischer 
Akt gesehen werden, wie eingangs dieses Ab- 
schnittes bereits auseinandergesetzt ist. Es sind
	        
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