Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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wurde bis zum Ende des 18. Jahrh. beibehalten, 
trotzdem inzwischen die „Manufakturen“ und 
„Fabriken“ aufgekommen waren. In dem um 
diese Zeit entstandenen, von Weißer und andern 
bearbeiteten „Recht der Handwerker“ wurde ein 
doppelter Begriff für Handwerk gegeben, ein öko- 
nomischer und ein juristischer. Unter ersterem be- 
zeichneten sie die künstlerische Bearbeitung roher 
Materien auf Kauf oder um Lohn, unter letzterem 
eine „gesellschaftliche Vereinigung mehrerer Bür- 
ger, die einerlei Gewerbe trieben“. Ob es sich bei 
diesem Gewerbe um die Bearbeitung von Roh- 
stoffen oder um persönliche Dienstleistungen han- 
delte, blieb hierbei unberücksichtigt, ebenso daß 
man in Widersprüche geriet, indem man weitere 
Unterscheidungsmerkmale aufstellte und von „un- 
zünftigen Handwerkern“ sowie von „handelnden“, 
„tagewerkenden“ oder „auf Geding arbeitenden 
Handwerkern" sprach. Man wandte dann nur den 
ökonomischen Begriff an und ließ den juristischen 
unberücksichtigt. — Im allgemeinen aber bestimmte 
das Herkommen, welche Gewerbe und Gewerbs- 
zweige handwerksmäßige waren, so das preußische 
Landrecht, welches die Begriffe „Handwerk“ und 
„Fabrik“ ganz unterschiedlich und bald so bald 
anders bestimmte und ersteren z. B. davon ab- 
hängig machte, ob ein Zunftgewerbe am Orte der 
Niederlassung vorhanden war oder nicht, während 
es Fabrik als Verfeinerungs-oder Verarbeitungs- 
anstalt für Naturerzeugnisse im großen ansah und 
hierfür staatliche Konzessionierung verlangte. 
Wenn hierdurch auch nicht einwandfreie, son- 
dern im Gegenteil willkürlich errichtete Unter- 
scheidungsmerkmale geschaffen wurden, so hatten 
diese im Gegensatze zu der heutigen Unsicherheit 
des Begriffes für die Praxis wenigstens den Vor- 
zug, daß sie für die Judikatur brauchbar waren. 
Infolge der Entwicklung der Gewerbe wurde aber 
der ökonomische Begriff unsicher und ebenso in- 
folge des Schwindens der Zunftverfassung der 
juristische. — Der ökonomische Liberalismus des 
19. Jahrh., welcher der von ihm ausschließlich 
als existenzberechtigt anerkannten Souveränität 
des Individuums möglichst weitgehende Geltung 
zu verschaffen suchte, beseitigte durch die sog. Not- 
gewerbeordnung (Abgeordnete Lasker und Migquel) 
vom 8. Juli 1868 bzw. durch die an ihre Stelle 
getretene Gewerbeordnung für den Norddeutschen 
Bund vom 21. Juni 1869 die den Zünften zu- 
stehenden Verbietungs-, die Innungs= und Bann- 
rechte und hiermit den Begriff Handwerk als einen 
Rechtsbegriff. Dieser unterlag von da ab nach 
der einen Seite den Bestimmungen „der tatsäch- 
lichen Feststellung“, die dann auch hauptsächlich 
im Gegensatze zu den korrespondierenden Begriffen 
der Fabrik und des Fabrikarbeiters durch die Ju- 
dikatur mehrfach versucht wurde, während er nach 
der andern Seite der freien wissenschaftlichen For- 
schung bzw. Feststellung überlassen wurde. — 
Hierdurch ist denn auch zum Teil die Unsicherheit 
des Begriffes entstanden, zum größten Teil aber 
Handwerk. 
  
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infolge der wirtschaftlichen Entwicklung, welche 
die an sich flüssige Grenze zwischen den verschie- 
denen Betriebsformen, namentlich zwischen Hand- 
werk und Fabrik, immer mehr verwischt hat. 
Wenn nun die Gewerbeordnung (seit 1869)) 
einer Legaldefinition hat entbehren können und 
nur auf den wechselnden Sprachgebrauch zurück- 
griff, so wird, nachdem dieselbe unter dem 26. Juli 
1897 eine wesentliche Abänderung erfahren und 
eine neue korporative Gliederung der Handwerker 
in Zwangsinnungen usw. und Handwerkskammern 
geschaffen hat, dies nicht mehr länger möglich 
sein, weil die für das Handwerk geschaffenen Ein- 
richtungen auf dem Begriffe Handwerk basieren 
(ogl. Gewerbeordnung). 
Nach den bereits ausgebrochenen Streitigkeiten 
darüber, ob ein Betrieb Handwerk oder Fabrik 
ist, welche (Streitigkeiten) bisher im administra- 
tiven Wege und oftmals in diametral entgegen- 
gesetzter Richtung entschieden wurden, kann sich 
die gesetzgebende Körperschaft (Reichstag) kaum 
noch fernerhin der Pflicht entziehen, gewisse Merk- 
male für den Begriff „Handwerk“ aufzustellen. 
Denn hiervon hängt die Beitragspflicht für die 
Handwerkskammern und in letzter Konsequenz das 
Sein oder Nichtsein derselben ab (s. d. Art. Hand- 
werkskammern). 
Wiederholt haben sich die zuständigen Ver- 
tretungen (OHandwerkskammern usw.) auch damit 
befaßt, eine Definition des Begriffes zu geben. 
Ein einheitliches Resultat wurde aber bisher nicht 
erzielt, weil sich hier besonders scharfe Interessen- 
gegensätze finden, die zum Teil in der subjektiven 
Auffassung der beteiligten Betriebsinhaber, die 
öfters gern als Kaufleute oder als Inhaber größerer 
Handelsbetriebe angesprochen werden möchten, zum 
Teil in den widerstreitenden Ansichten der begut- 
achtenden Unterinstanzen (Handwerks= und Han- 
delskammern usw.) ihre Ursachen haben; jeder 
Teil, sowohl Handels= als Handwerks-(Gewerbe-) 
Kammer, hat ein natürliches Interesse daran, die 
kräftigsten Betriebe (nur um diese handelt es sich 
in der Regel, wegen ihrer schon erwähnten Bei- 
tragspflicht) sich anzugliedern. 
Die Frage ist deshalb zwischen den Beteiligten 
eine offene und bis heute Gegenstand einer großen 
Reihe einzelner Entscheidungen der oberen Ver- 
waltungsbehörde. Auch befaßten sich die vereinig- 
ten Handwerkskammern Deutschlands auf ihren 
gemeinschaftlichen Tagungen wiederholt mit ihr. 
Die letzte dieser Tagungen am 25. Aug. 1908 in 
Breslau hat über die Festlegung der Begriffe 
„Fabrik“ und „Handwerk“ zwar keine endgültige 
Entschließung angenommen; die dort aufgestellten 
Leitsätze geben jedoch im allgemeinen die für die 
Entscheidung richtigen Merkmale wieder. In dem 
betreffenden Berichte wird darüber von der Hand- 
werkskammer Düsseldorf mitgeteilt: 
„Eine Definition der Begriffe „Fabrik“ und 
„Handwerk“ in der Kürze und Schärfe, wie sie für 
die Zwecke der Gesetzgebung allein brauchbar find,
	        
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