Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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ist unmöglich. Sie ist aber auch unzweckmäßig, 
weil sie nicht so gegeben werden kann, daß sie die 
beteiligten Kreise befriedigt. Da nämlich die De- 
finition sich an äußerlich wahrnehmbare Merkmale, 
wie Größe und Ausdehnung der Räume, Zahl der 
beschäftigten Personen, Umfang und Wert der her- 
gestellten Jahresmenge u. dgl. halten muß, so müßte 
die Zuweisung von Betrieben zur Handwerkskam- 
mer (Gewerbekammer) oder zur Handelskammer 
nach dem durch die Definition vorgeschriebenen 
Schema geschehen. Dies steht aber im Widerspruch 
zu den tatsächlichen Verhältnissen im Gewerbe, 
dessen Grenzen flüssig sind und bleiben müssen und 
keine Schematisierung, die bei der Entscheidung auf 
Grund von Definition unvermeidlich ist, vertragen. 
Dazu kommt die gerechtfertigte Befürchtung, daß 
die Definition auf Grund von äußeren Merkmalen 
den Fabrikbegriff begünstigt, da bei den maßge- 
benden Stellen eine gewisse Strömung unverkenn- 
bar ist, die Entwicklung zum Fabrikbetriebe zu er- 
leichtern. Jedenfalls ist nicht anzunehmen, daß die 
Erenze zugunsten des Handwerks gesteckt wird. 
Deshalb ist die Definition schon aus Zweckmäßig- 
keitsgründen abzulehnen, ganz abgesehen davon, 
daß sie nicht in einer Form gegeben werden kann, 
die den Verhältnissen in der Praxis vollständig 
gerecht wird und alle beteiligten Kreise be- 
friedigt. 
Die Entscheidung über die Eigenschaft eines Be- 
triebes hat von Fall zu Fall zu geschehen, weil da- 
bei die Eigenschaften eines jeden Betriebes sich am 
besten berücksichtigen lassen. Bei dieser sollen na- 
mentlich folgende Merkmale einen Anhalt für die 
Beurteilung eines Betriebes geben: a) die Größe 
und Ausdehnung der vorhandenen Räumllichkeiten; 
b) der Umfang und Wert der hergestellten Jahres- 
menge;c) die Art der Arbeitsteilung und die mehr 
mechanische oder mehr kunstgemäße Mitwirkung der 
Arbeiter; d) die Beschäftigung von handwerks- 
mäßig und in mehrjähriger Lehrzeit ausgebildeten 
Geschäftsinhaber und Gesellen (Gehilfen); e) die 
mehr oder minder umfassende Verwendung von 
Arbeitsmaschinen; f) die Herstellung der Gegen- 
stände auf Bestellung und zum Einzelverkauf oder 
auf Vorrat oder zum Massenabsatz (auch Halb- 
fabrikate); g) die persönliche Beteiligung des Be- 
triebsunternehmers an der Herstellung der Gegen- 
stände oder die Beschränkung seiner Tätigkeit auf 
die Leitung des Unternehmens; h) die handwerks- 
mäßige Ausbildung von Lehrlingen. 
Der Handwerksbegriff ist, soweit es sich um die 
Zugehörigkeit zu einer Zwangsinnung, zur Bei- 
tragslerstung an die Handwerks= oder Gewerbe- 
kammer oder zur Anwendung der Vorschriften in 
den §§ 129 ff und 133 der Gewerbeordnung han- 
delt, einheitlich zu gestalten. 
Gemischte und zusammengesetzte Betriebe, also 
solche, in denen ein Handelsgewerbe und ein Hand- 
werk zugleich betrieben werden, find je nach dem 
Grade der wirtschaftlichen Bedeutung und Selb- 
ständigkeit entweder als ein einheitliches Ganzes 
zu betrachten und dann entweder als Handwerks- 
oder Fabrik= bzw. Handelsbetrieb der Handwerks- 
(Gewerbe-) oder der Handelskammer zuzuweisen 
oder als getrennte Teile zu betrachten. 
Die Entscheidung über die Streitigkeiten find 
nicht wie bisher (z. B. in Preußen) der unteren 
und höheren Verwaltungsbehörde einerseits und 
dem Bezirksausschuß anderseits, sondern ein und 
Handwerk. 
  
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derselben Stelle zu übertragen. Hierzu eignet sich 
am besten das Verwaltungsgericht. 
Die ordentlichen Gerichte sind bei der Entschei- 
dung unter allen Umständen auszuschließen."“ 
II. Die geschichtliche Entwichlung des 
Handwerks bis 1731. Das Handwerk hat eine 
gewaltige Entwicklung durchgemacht. In der Ur- 
zelle der Gesellschaft, in der Familie, liegen seine 
Anfänge, und „von hier aus“, sagt Bücher, „ha- 
ben sich auf dem Wege der Differenzierung und 
Integration fortgesetzt Teile abgelöst und immer 
mehr verselbständigt“. Schon in der Urzeit finden 
wir in der Familie eine primitive Verteilung der 
ökonomischen Pflichten: der Frau fällt die Haus- 
und Ackerarbeit zu, der Mann liegt der Viehzucht, 
der Jagd und dem Kriege ob. Hieraus refultiert 
die Notwendigkeit der Beschaffung der verschie- 
denen Gebrauchsgegenstände. Ihre Herstellung 
jällt je nach der Art des Gegenstandes zunächst 
dem Verbraucher selbst zu, später seinen Haus- 
genossen, vornehmlich der Frau und den Sklaven. 
Hier liegen die Anfänge des Handwerks. 
Je nach dem Umfange und der Art der Be- 
darfsdeckung tritt eine primitive Arbeitsteilung 
ein; diese gewinnt mit der sozialen Differenzierung 
der Menschen an Umfang. Sie entwickelt sich nach 
M. Weber auf der Grundlage der sozialen Un- 
gleichheit, und zwar einmal durch die Sklaven- 
arbeit, die erst den Fortschritt der Arbeitsteilung 
innerhalb der Familie im weitern Sinn ermöglicht 
— arbeitsteilige Bedarfsdeckung für den Herrn 
in der Oikoswirtschaft (Rodbertus) — sodann 
durch die Arbeitsteilung innerhalb der freien Ge- 
meinschaften als Folge der Besitzdifferenzierung. 
In der Hausgemeinschaft sind infolge Arbeits- 
teilung bereits verschiedene Handwerke vertreten. 
Mit dem Anwachsen der ersteren in die Groß- 
familie steigt die Bedeutung derjenigen Haus- 
genossen, welche handwerksmäßige Erzeugnisse her- 
stellen (Geräte, Waffen usw.); es finden weitere 
Ansätze der technischen Arbeitsteilung statt (s. d. 
Art. Gewerbe), aber immer bleibt bis weit in das 
Mittelalter hinein das Hervorstechende, daß sich 
im allgemeinen Produktion und Konsumtion auf 
dem Fuße folgen. Noch ist die Bedarfsdeckung, 
selbst später auf den Fronhöfen des Mittelalters, 
nur auf die engere Gemeinschaft beschränkt; es 
wird nicht für einen Kundenkreis gearbeitet. Aber 
selbst im Altertum, in der vorchristlichen Zeit ist 
die Entwicklung der handwerksmäßigen Erzeug- 
nisse schon weit vorgeschritten; die Belegstücke da- 
für liefern die Bibel und die ältesten Kulturdenk- 
mäler; ebenso im alten Hellas und Rom. Hier 
finden sich wie später auf den Höfen der Grund- 
herrschaft die hauptsächlichsten Handwerke bereits 
vor, aber der Mehrzahl derselben klebt als Merk- 
mal die Unfreiheit an. Alle Handwerker der 
größeren und kleineren Hausgemeinschaft sind ab- 
hängig von dem Herrn. Es findet daher dort 
hauptsächlich eine technische, keine ökonomische Ar- 
beitsteilung statt.
	        
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