Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1089 
in dieser Zeit nur das Interesse, politische Macht 
zu erlangen. Sie nahm daher fast alle in sich auf, 
welche zu ihr hinein wollten, und erstrebte den 
Zunftzwang nur zur Stärkung der Zunft, um 
viele Mitglieder zu haben, sowie ferner, um die 
Verkehrsregulierung an sich zu ziehen. — Die 
zweite Periode kennzeichnet sich dadurch, daß 
die Zunft in ihrer Bedeutung gestiegen ist. Nach- 
dem sich die politische Macht zur physischen Kraft 
des Handwerks und ihre Masse zu technischer 
Leistungsfähigkeit und sittlicher Tüchtigkeit ge- 
sellte, erreichte sie den Höhepunkt ihrer Macht. — 
Auf dieser Verbindung beruht die Blüte der 
Zunft und zum Teil der deutschen Städte im 12. 
bis 14. Jahrh. Nun aber erstrebt die Zunft 
Monopolisierung des Verkehrs und sucht sich nicht 
nur das Land durch Vernichtung (Legen) des Dorf- 
handwerks (Zunftbann, Bönhasen und Pfuscher- 
jagden) zu unterwerfen, sondern zwingt mit Hilfe 
der städtischen Gewalt, welche nach dem Sturz 
der Geschlechter vielfach in Händen von Zunft- 
meistern lag, auch den Landmann, seinen Bedarf 
innerhalb der Stadt zu decken, sowie auch gleich- 
zeitig nur nach dort auf dem städtischen Markte 
seine Produkte abzusetzen. 
Die dritte Periode der Monopolisierung be- 
ginnt mit der Verengung des Nahrungsspielraums. 
Die Expansion der städtischen Handwerke hatte 
bereits im 14. Jahrh. ihre Grenze erreicht, und 
jetzt beginnt ein weiteres Stadium dieser Mono- 
polisierungspolitik einzusetzen. Es werden keine 
neuen Meister mehr in die Zunft aufgenommen, 
sondern die bereits angesetzte Geschlossenheit der 
Zunft geht ihrer endgültigen Ausführung ent- 
gegen. — War bis dahin diese Politik der Zunft 
nur gegen die außerhalb stehenden Handwerker, 
namentlich gegen die Landhandwerker und -be- 
wohner gerichtet, so wendet sie sich jetzt gegen die 
eigenen Genossen. Der Beitritt zur Zunft wird 
durch Beitrittsgelder erschwert, die allmählich 
bis zu unerschwinglicher Höhe hinaufgeschraubt 
werden (so von der Fleischerinnung in Basel 
um 1391 auf die damals unerhört hohe Summe 
von 402½ Schilling). Man erläßt ferner im 
Gegensatze zu früheren Perioden Vorschriften 
über eine Minimallehrzeit (um nicht zu vielen 
Nachwuchs heranzubilden); daneben wird zur 
Beseitigung der Konkurrenz der bis dahin un- 
bekannte Befähigungsnachweis in Form des Mei- 
sterstückes eingeführt sowie ferner der Wander- 
zwang für die jungen Gesellen. Diese müssen 
eine bestimmte Zeit wandern und werden auf 
diese Weise abgeschoben; das war vornehmlich 
der Zweck der Wanderjahre. Endlich kontingen- 
tiert man sogar die Meisterzahl nach dem Vor- 
bilde der in den Gemeindemarken Berechtigten, 
und damit ist die Monopolisierung eine end- 
gültige. Das Meisterrecht wird daneben oftmals 
noch an den Besitz eines Hauses oder bestimmter 
Räumlichkeiten geknüpft, und das Recht zur Aus- 
übung des Handwerks wird damit ein Realrecht, 
Staatslexikon. II. 3. Aufl. 
Handwerk. 
  
1090 
damit aber zugleich zum weitaus größten Teile 
erblich (Sohn oder Schwiegersohn). Gegen die 
Schließung der Zunft richtet sich teils mit teils 
ohne Erfolg die Politik der Stadt (Ansetzung von 
Freimeistern usw.). — Diese Entwicklung wirkte 
aber auf die Gesellen in ganz ungeahnter Weise, 
und es tritt ein neues Moment in die Erscheinung. 
Der Gesell, welcher bis dahin gleichsam Sozius 
des Meisters war und dem Hause desselben als 
Angehöriger zugezählt wurde, ist zunächst nicht in 
der Lage, den zur Erlangung der Meisterschaft 
geforderten Besitz nachzuweisen. Dadurch hört der 
Gesellenstand auf, eine Durchgangsstation zur 
Selbständigkeit zu bilden, und wird eine dauernde 
Einrichtung, und der Geselle sinkt zum Lohn- 
arbeiter hinab. Damit erlischt auch die Interessen- 
gemeinschaft, und die Differenzierung zwischen 
Meister= und Gesellenschaft vollzieht sich in zu- 
nehmendem Maße. Sie vollzieht sich nach innen 
in der Art, daß die Gesellen die Umwandlung 
ihres strengen Dienstverhältnisses in ein Kontrakt- 
verhältnis anstreben (ogl. Schanz), nach außen 
hin durch die Emanzipation der Gesellen aus der 
Hausgewalt des Meisters — der verheiratete Ge- 
selle tritt in die Erscheinung —, sowie ferner da- 
durch, daß die Abdrängung des Gesellen aus der 
gemeinsamen Trinkstube, in der Recht gesprochen 
wurde, stattfindet. Dieses Moment war gleich- 
bedeutend mit der Entrechtung der Gesellen. Die 
Anfänge dieser Bewegung treten im ersten Viertel 
des 14. Jahrh. fast gleichzeitig im Norden und 
Süden, jedoch in den einzelnen Gewerbszweigen 
und Städten verschieden auf, sie fallen zusammen 
mit dem Übergang des Handwerks zur höchst- 
möglichen Form seiner Entwicklung, zum Preis- 
werk. Der Verlauf der Bewegung ist aber der, 
daß sich schließlich zwei Stände im Handwerk 
gegenüberstehen. — Die Folge ist Sonderorgani- 
sation der Gesellen. Es entstehen aus den kirch- 
lichen Bruderschaften und auch als selbständige 
Gründungen ad hoc die Gesellenverbände. Sie 
haben gewerkschaftlichen Charakter und sind die 
ersten Ansätze der modernen Arbeiterbewegung. 
Diese Verbände vertreten bald ihre Sonderinter- 
essen gegenüber den Meistern. Die Interessen- 
gegensätze führen zu Interessenkonflikten: der Klas- 
senkampf beginnt. Die Streitobjekte sind Arbeits- 
lohn und Arbeitszeit. Die letztere war namentlich 
seit Einführung der Reformation infolge der Ab- 
schaffung der Feiertage eine ganz unerhörte ge- 
worden. Infolge des Wanderzwanges tritt weiter- 
gehende Differenzierung ein, der Kampf nimmt 
dadurch einen interlokalen und teilweise inter- 
nationalen Charakter an. Der Wanderzwang 
führt eine Ausgleichung des Arbeitsbedarfs und 
des Arbeitsangebots herbei. Die Arbeit des Ge- 
ellen ist Ware geworden. — Aus der Inter- 
lokalität resultiert sodann die Arbeitsvermitt- 
lung und der Arbeitsvertrag. Sie werden bald 
die weiteren Streitobjekte in dem tosenden Macht- 
kampfe zwischen Meistern und Gesellen. Vornehm- 
35
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.