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Handwerk einschneidende Verlagssystem, das ihn
finanziell unterstützt, mit seinen Machtmitteln.
Religiöse Wirren, innere Zerfahrenheit, Macht-
losigkeit des deutschen Kaisertums, Kriege, Ent-
wertung des Geldes durch Einführung großer
Mengen Edelmetalle, viele staats= und völkerrecht-
liche Ereignisse, mit einem Wort: die Umgestal-
tung der wirtschaftlichen, politischen und religiösen
Verhältnisse bilden den Schlußstein in dem Nieder-
gange des Handwerks.
III. Die Zeit von 1731 bis 1810. Wenn der
schon erwähnte Reichstagsbeschluß von 1731 auch
die notwendige Umgestaltung der unzeitgemäßen
Zunftverfassung anstrebte und eine Gesundung
der Verhältnisse herbeiführen wollte, so war er
doch in seinen Grundzügen zu radikal und zu
wenig schonend für das Handwerk. Denn die
Zünfte wurden durch ihn zu staatlichen Anstalten
gemacht und der obrigkeitlichen Bevormundung
ganz überantwortet; diese mußte wie Meltau
auf die wirtschaftliche Entwicklung des bis da-
hin privilegierten und rechtlich geschützten Hand-
werks wirken. Eine in den Einzelstaaten pein-
lich ausgetüftelte Gewerbegesetzgebung, welche
durch Maßnahmen der verschiedensten Art den
zünftigen Handwerken den Lebensnerv unterband
und sie in der Verfolgung ihrer Interessen be-
schränkte, war nicht das Mittel, um das Hand-
werk wieder lebenskräftig zu machen. Im Gegen-
teil, diese sowie die weiteren Verhältnisse, wie: die
Anerkennung der nicht zünftigen Gewerbe, welche
hauptsächlich die neu sich entwickelnden Fabrik-
betriebe, die Industrie im engeren Sinne, um-
faßten, ferner die Durchführung der Maximen
der merkantilistischen Gewerbepolitik, die poli-
tischen Ereignisse in Deutschland (Siebenjähriger
Krieg usw.), endlich die zahlreichen Erfindungen
und Entdeckungen, die Umgestaltung der Trans-
port- und Verkehrsverhältnisse usw. — alle diese
Momente zusammen mußten das Handwerk mit
Naturnotwendigkeit seinem weiteren Niedergang
entgegenführen. — Die letzten Ursachen, welche
zur Beseitigung der schon seit dem 17. Jahrh. und
vornehmlich seit 1731 zu einem Schemen ehe-
maliger moralischer Kraft gewordenen Zunftver-
fassung führen mußten, waren die sich in wirt-
schaftlicher Hinsicht vollziehenden Anschauungen,
welche durch die Lehren der Physiokraten, durch
Adam Smith und seine Schule, sowie durch die
alles nivellierenden Ideen der französischen Revo-
lution usw. gefördert wurden. Während in Frank-
reich die radikale Gesetzgebung von 1789 bis 1791
die Zünfte und alle gewerblichen Privilegien be-
reits beseitigt hatte, ging Preußen, nachdem es
seit Mitte des 18. Jahrh. zum Teil schon für ein-
zelne Gewerbe, namentlich in den Ostmarken,
langsam Freiheit von der Zunft geschaffen und
die Gewerbefreiheit zum Teil vorbereitet hatte,
unter dem Vorbilde Frankreichs und unter dem
Drucke der öffentlichen Meinung ebenfalls dazu
über und führte durch Edikt vom 2. Nov. 1810
Handwerk.
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die volle Gewerbefreiheit allgemein ein. —
Die aufgehobenen Zünfte können jetzt nur als
Vereine bestehen bleiben, ohne Beitrittszwang;
der Befähigungsnachweis und die daraus resul-
tierende Begrenzung des Arbeitsgebiets der ein-
zelnen Gewerbe wird beseitigt, Stadt und Land
gleichgestellt und der Betrieb eines Gewerbes nur
an die Zahlung einer Gewerbesteuer geknüpft.
Nur acht Gewerbe (Apotheker, Maurer, Schorn=
steinfeger usw.) bleiben wegen ihres Einflusses auf
Leben, Gesundheit usw. der behördlichen Konzes-
sionspflicht unterworfen. — Die übrigen deutschen
Staaten folgten nur zögernd dem preußischen
Vorbilde (s. Jäger, Handwerkerfrage). Sachsen,
Bayern, Kurhessen, Hannover, Braunschweig, die
Hansestädte, die thüringischen Lande und Oster-
reich hielten zwar zunächst noch an der Zunftver-
fassung fest, im Laufe der beiden folgenden De-
zennien gingen jedoch auch sie zur Gewerbefreiheit
über, während auf der linken Rheinseite die fran-
zösische Revolution jede Zunftverfassung bereits
beseitigt hatte.
IV. Die Veriode 1810/69. Mit der Ein-
führung des Edikts von 1810 war das Hand-
werk auf gleiche Stufe mit der Industrie gestellt
und einem schrankenlosen Konkurrenzkampfe über-
antwortet worden. Wenngleich anfangs die alten
gewerblichen Korporationen noch einen nicht zu
unterschätzenden Einfluß auf das gewerbliche Leben,
besonders hinsichtlich der Lehrlings= und Gesellen-
haltung und der Führung des Befähigungsnach-
weises, ausübten und die Behörden de facto
machtlos in der Durchführung des Edikts von
1810 machten, so war doch vorauszusehen, wie
schrankenlose Konkur pf verlaufen würde,
namentlich wenn man berücksichtigt, daß das
Handwerk sich infolge der eingetretenen Verhält-
nisse nicht mehr wie zur Blütezeit der Zünfte im
Besitz der wirtschaftlichen Machtmittel befand,
sondern schon seit dem Dreißigjährigen Kriege
höchstens die Mittel zu einer sehr bescheidenen
kleinbürgerlichen Existenz mit sinkender Tendenz
bot und fast nur Zwergbetriebe aufzuweisen hatte
(*¾8 waren Alleinbetriebe ohne Gesellen, das
Reihenschlachten, Reihenbacken usw. war einge-
führt). K. Bücher glaubt zwar, daß das Hand-
werk vor 100 Jahren noch alles das konkurrenz-
los beherrscht habe, was es vom Mittelalter her
überkommen und im 16. und 17. Jahrh. zuge-
wonnen hatte; indessen scheint diese Annahme
gegenüber der Logik der wirtschaftlichen Tatsachen
nicht gerechtfertigt bzw. nur insofern verständlich,
als damit bewiesen werden soll, daß die neue Ara
nicht von einem Zustande allgemeiner Behäbig-
keit im Handwerk ausgegangen sei, und daß die
Industrie keine etwa in den letzten zwei Jahrhun-
derten dem Handwerke eigentümlichen Absatzgebiete
erobert habe. Man muß hierbei aber nicht außer
acht lassen, daß die letzten drei Jahrhunderte eine
Periode des Niederganges des Handwerks in stei-
gendem Maße überhaupt bedeuteten, und daß es
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