Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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die durch Wahl hergestellten Innungsvorstände, 
denen die Reglung der inneren Angelegenheiten 
zustand, und der Gewerberat, der sich zusammen- 
setzte aus Vertretern aller Innungen einer Stadt. 
Seine Arbeit war, die Grenzen und Arbeits- 
befugnisse der einzelnen Gewerbe gegeneinander 
zu ziehen und die weitere Instanz zu bilden für die 
auf gütlichem Wege nicht beigelegten Streitig- 
keiten, wofür er ein besonderes Gewerbegericht zu 
eröffnen hatte. Über diesen beiden thronten die 
Gewerbekammern, sowohl Spezialgewerbekam- 
mern als eine allgemeine deutsche Gewerbekammer. 
3) Die Personengliederung innerhalb der Innung 
(Meister, Geselle, Lehrling) sollte beibehalten, 
jedoch ein Lehr= und Wanderzwang eingeführt 
werden. Ferner sollte die Ablegung einer theo- 
retischen und praktischen Prüfung für den, der sich 
als Meister niederlassen wollte, bestimmt werden. 
Für die Gesellen wollte man Gesellenschaften ins 
Leben rufen mit Beitrittszwang; im Innungs- 
vorstand waren sie durch einen Vertrauensmann 
aus ihrer Mitte vertreten. Für die Meister gab 
es zahlreiche Beschränkungen: Bestimmung der 
Meisterzahl an den einzelnen Orten, Befähigungs- 
nachweis, Verbot, mehrere Handwerke gleichzeitig 
zu betreiben, Bestimmungen über den Übergang 
von einem zum andern Handwerk; es sollte nur 
vertauscht werden dürfen, wenn es keinen genügen- 
den Unterhalt mehr abwarf. Dann sollte Verbot 
des Hausierhandels mit Handwerksarbeiten und 
hohe Besteuerung der Fabriken zugunsten des 
Handwerks eingeführt werden. 
Gleichzeitig mit der Tagung des Frankfurter 
Parlaments hielt der Handwerkerstand auch an 
andern Orten Versammlungen ab. Überall wurden 
Resolutionen gefaßt zur Aufhebung der Gewerbe- 
freiheit. Aber die verlangte einheitliche Gesetz- 
gebung erfuhr gerade in Handwerkerkreisen den 
heftigsten Widerspruch. Neue Kongresse traten 
zusammen zum Protest gegen die Beschlüsse des 
Frankfurter Handwerkerparlaments, die nur ge- 
eignet seien, die alten Zunftbeschränkungen wieder 
von neuem einzuführen. Ebenso wandten sich die 
in Berlin und Frankfurt kurz nachher tagenden 
Gesellenkongresse heftig gegen die Meisterschaft 
und ihre Petitionen; letztere seien allein durch den 
Eigennutz bestimmt. Die Gesellen forderten Be- 
seitigung des Zunftzwanges, eine feste tägliche 
Arbeitszeit von zwölf Stunden und ein Lohn- 
minimum; von einem Wanderzwang wollten sie 
nichts wissen. 
Infolge dieser vielen und lebhaften Petitionen 
beschloß die Nationalversammlung in ihrer 
44. Sitzung den Erlaß eines Heimatsgesetzes und 
einer Gewerbeordnung. Es wurde von einer ihrer 
Kommissionen ein Entwurf ausgearbeitet und ihr 
vorgelegt. Im wesentlichen sollten nach demselben 
alle bestehenden Gewerbebeschränkungen auf- 
gehoben, die Ausübung eines Gewerbes an das 
25. Lebensjahr und den Befähigungsnachweis 
geknüpft, der Beitritt zur Innung sollte nicht 
Handwerk. 
  
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obligatorisch sein, jedoch waren auch die Innungen 
nicht gehalten, solche Personen aufzunehmen, die 
am selbigen Orte gleiche oder verwandte Gewerbe 
trieben. Die Gesamtinteressenvertretung des Hand- 
werks endlich sollte durch Gewerberäte und Ge- 
werbekammern erfolgen. — Da dieser Entwurf 
der Gewerbeordnung der Nationalversammlung 
vielfach heftig angefochten wurde, beschloß letztere 
schließlich, ihn überhaupt nicht zu beraten; sie 
ging resultatlos auseinander. 
Es begannen nunmehr infolge der tatsächlichen 
Notlage des Handwerks die einzelnen Staaten sich 
mit der Handwerkerfrage zu befassen; Hannover 
ging 1847 voran, und Preußen folgte ihm durch 
Erlaß der Verordnung vom 9. Febr. 1849. Die 
getroffenen Veränderungen brachten nach Stieda 
alles, was die Handwerker wollten. Sie erschwerten 
die Befugnisse zum Gewerbebetrieb bei einer großen 
Reihe von Gewerben. Bei etwa 70 Gewerben 
wurde die Befugnis zum Eintritt in eine Innung 
von dem vorgängigen Nachweis der Befähigung 
zum Betrieb vor einer Prüfungskommission ab- 
hängig. Den Fabrikinhabern wurde die Beschäf- 
tigung von Handwerksgesellen nur in bedingtem 
Umfange gestattet. Inhaber von Magazinen 
durften sich nur dann mit dem Detailverkauf von 
Handwerkerwaren befassen, wenn sie in dem be- 
trefsenden Gewerbe die Meisterprüfung bestanden 
hatten. Dazu kam eine Reihe von Bestimmungen 
über die Meisterprüfungen und die Rechte der Ge- 
sellen, Gehilfen und Lehrlinge. Die Lehr= und die 
Gesellenzeit waren durch Prüfungen abgeschlossen. 
— Auch dem wiederholt zum Ausdruck gekom- 
menen Verlangen nach Gewerberäten, welchen die 
Abgrenzung der Arbeitsgebiete übertragen wurde, 
war gewillfahrt worden; indessen funktionierte 
dieser Apparat nicht, weil er zu schwerfällig war 
und seine Befugnisse zu lax gehandhabt wurden. 
Im ganzen nähert sich die Verordnung mehr den 
Verhältnissen des 18. Jahrh. und ist mehr zünft- 
lerisch als freiheitlich gehalten. Von 1849 bis 
1869 bildete diese Verordnung die Rechtslage. — 
Auch in den übrigen deutschen Staaten hatte eine 
gewisse Rekonstruktion des Zunftrechts stattge- 
funden. 
Die preußischen Handwerker waren anfänglich 
mit den neuen Verordnungen auch vollkommen 
zufrieden. Bald jedoch begannen ihre Klagen von 
neuem (vgl. M. Biermer, Art. „Handwerk“ im 
Handwörterb. der Volkswirtschaft). Dem Abgeord- 
netenhause wurden nicht weniger als 69 Gesuche 
unterbreitet, welche die Beschränkung der Gewerbe- 
freiheit wollten, die jedoch, weil zu weitgehend, nicht 
berücksichtigt wurden. Bemerkenswert ist in dieser 
Zeit der preußische Landeshandwerkertag vom 27. 
bis 31. Aug. 1860 in Berlin. Dieser wurde her- 
vorgerufen durch den Antrag im Abgeordneten- 
hause, durch welchen man die Gewerbenovelle be- 
seitigen wollte. Hiergegen erhoben sich lebhafte 
Proteste der Handwerker, welche eine Resolution 
auf Beibehaltung derselben einbrachten. — In-
	        
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