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bekämpft, und es wurden statt dessen zahlreiche
Gegenvorschläge gemacht, die aber undurchführbar
waren. Vornehmlich waren hierbei drei Richtungen
vertreten. Die erste vertrat der „Allgemeine deutsche
Handwerkerbund“; er verlangt Zwangsinnung
und Befähigungsnachweis, namentlich letzteren.
Der entgegengesetzten Ansicht huldigte der 1891
gegründete „Verband deutscher Gewerbevereine",
welcher kein bestimmtes Programm hatte, jedoch
einen freien Standpunkt einnahm und die Zwangs-
innung verwarf sowie ein gemeinschaftliches Ar-
beiten aller Handwerkervereine verlangte. Die
dritte Richtung, der „Zentralausschuß der ver-
einigten Innungsverbände Deutschlands“, wollte
dagegen eine Zusammenfassung des ganzen Hand-
werks in bureaukratischer Verwaltung und der
älteren Zunftverfassung das Wort reden. Die
Reichsregierung arbeitete inzwischen infolge Mei-
nungsdifferenzen mit dem preußischen Handels-
ministerium einen neuen Entwurf aus, wonach
obligatorische Innungsverbände und provisorische
Handwerkskammern eingerichtet, auch gewisse
Kosten der Innungen der Großindustrie auferlegt
und die Kosten der Handwerkskammer aus öffent-
lichen Mitteln bestritten werden sollten. Weder
der eine noch der andere Entwurf wurde Gesetz.
Ein völlig neuer Entwurf wurde dann 1896 von
dem inzwischen ernannten neuen preußischen
Minister für Handel und Gewerbe vorgelegt.
Dieser wollte das gesamte Kleingewerbe in In-
nungen usw. zusammenfassen und die obligatorische
Zwangsinnung einführen. Aus diesem Entwurfe
entstand nach entsprechender Umarbeitung das
Gesetz vom 26. Juli 1897 (Näheres darüber s. im
Art. Handwerkskammer und Innung).
Die Stellung des Handwerks in dem
Kampfe um seine Organisation im allgemeinen
war seit Einführung der Gewerbefreiheit sehr ver-
schieden. Je nach der Lage der Konjunktur ent-
brannte der Kampf bald schwächer bald heftiger,
und die Reichsregierung konnte aus der Gesamt-
heit desselben und der Stellung des Handwerks in
Nord= und Süddeutschland nicht die positive Über-
zeugung gewinnen, daß die Einführung der
Postulate Befähigungsnachweis und obligatorische
Innung die zur Hebung des Handwerks richtigen
Mittel seien. Im Gegenteil. Nachdem sie Ex-
perten nach Osterreich gesandt hatte, wo durch
Ministerialverordnung vom 17. Sept. 1883 für
47 Gewerbe der sog. Verwendungsnachweis, eine
mildere Form des Befähigungsnachweises, ein-
geführt war, wurde sie in ihrer Anschauung nur
befestigt. Nur insoweit trat bei ihr ein Umschwung
der Meinung auf, als sie seit Anfang der 1890er
Jahre den Grundsatz fallen ließ, daß der Hand-
werker sich selbst helfen, d. h. seine Organisation
lediglich auf fakultativer Basis aufbauen müsse.
Ihre seit 1893 in den verschiedenen Gesetzen und
Entwürfen usw. vertretene Anschauung modifizierte
sie dahin, daß die Organisation notwendigerweise
auf der Grundlage des Zwanges aufgebaut werden
Handwerk.
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müsse, wenn dem Handwerker geholfen werden
sollte. Dieses Prinzip verfolgt das neue, das sog.
Handwerkergesetz vom 26. Juli 1897 (Kritik des
Gesetzes s. im Art. Handwerkskammer). Das
Schwierige, ein geeignetes Gesetz zu geben, be-
ruhte darin, daß bis weit in die 1890er Jahre
hinein nicht genügend erforscht war, worunter
und wodurch das Handwerk hauptsächlich leide.
In Handwerkerkreisen schob man alle Übelstände,
unter denen es litt, auf die Gewerbefreiheit als
solche. Die Enqueten des Vereins für Sozial-
politik über die Lage des Handwerks haben da-
gegen zum größten Teil erwiesen, daß es weniger
die Gewerbefreiheit als solche ist, welche die Not-
lage des Handwerks hervorruft, sondern daß sich
im Laufe der letzten 30 Jahre eine Umgestaltung
der Bedarfsdeckung, eine Konzentration der
Bedarfskomplexe vollzogen hat, durch die
viele Handwerksbetriebe leidend, zum Teil so-
gar ganz ausgeschaltet worden sind. Das Heer,
die Marine, Großstädte usw. sind derartige Mittel-
punkte des Massenbedarfs, den das Handwerk
nicht befriedigen kann. K. Bücher weist eine
fünffache Veränderung des Handwerks nach:
1) durch die Fabrik, welche es zum Teil ganz und
in breitem Maße rapid verdrängt (z. B. in der
Weberei); 2) durch langsame Schmälerung des
Produktionsgebietes, indem die Fabrik nur be-
stimmte Teile eines Handwerks, und zwar die
besseren, an sich zieht, die unproduktiven aber dem
Handwerker überläßt (Halbfabrikate); 3) durch
Angliederung bestimmter Handwerke an den Groß-
betrieb, z. B. der Schlosserei und Schreinerei an
die Fabrik, an die Betriebswerkstätten usw.;
4) durch die stattgehabte und täglich noch statl-
findende Bedarfsverschiebung, wie Mode, tech-
nische Umwälzungen, Konsum allgemeiner Artikel,
und 5) durch die zunehmende Abhängigkeit des
Handwerks vom Handel, welcher sich zwischen
Produzenten und Konsumenten drängt und im
Magazinwesen seinen Ausdruck findet, wo das
Publikum alle handwerksmäßigen Erzeugnisse nach
Auswahl haben kann. Hier ist das Handwerk am
meisten gefährdet, und hier muß in erster Linie
das Genossenschaftswesen einsetzen. Zur Zeit
kann das Handwerk nur da noch gut bestehen, wo
es lokalen und individuellen Bedürfnissen ent-
springt, auf dem Lande, oder wo es durch Privile-
gien wie z. B. beim Schornsteinfegergewerbe (Kehr-
bezirk), geschützt ist. Hier hat sich das Handwerk
bisher nicht nur auf der Höhe gehalten, sondern
auch bis über die Hälfte seines Gesamtstandes
vermehrt und seine Leistungsfähigkeit entsprechend
ausgedehnt. Hier kann es sich auch noch lange
halten, weil hier keine Bedarfskonzentration statt-
findet. Die Gewerbefreiheit bzw. die Fabrik-
technik schädigt es hier nur zum Teil, und zwar
in materiell verschiedener und örtlich anders ge-
arteter Weise. Hier ist das Handwerk zum größten
Teile noch Kundenproduktion. Die städtischen
Handwerker haben dagegen einen viel schwereren