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Eine noch weitergehende Form der Abhängig-
keit bildet es, wenn der Verleger nicht bloß den
Rohstoff liefert, sondern auch Eigentümer der vor-
züglichsten Werkzeuge ist, namentlich der Maschi-
nen, die im häuslichen Kleinbetriebe verwendbar
sind. So ist es eine nicht seltene Erscheinung, daß
Webstuhl, Stickmaschine, Nähmaschine dem Ver-
leger gehören, für die der Arbeiter einen Mietzins
zu entrichten hat. — Die Steigerung der Ab-
hängigkeit, die in diesen drei Arten von Haus-
industrie wahrzunehmen ist, bedeutet indes bei
weitem nicht immer eine Verschlechterung der
wirtschaftlichen Lage, die meist auch noch durch
andere Momente bestimmt wird.
2. Ein ganz eigen geartetes Abhängigkeitsver-
hältnis bildet sich, sobald zwischen Verleger und
Heimarbeiter noch eine dritte Person sich einschiebt,
der Zwischenmeister oder Faktor. Wir
unterscheiden unter diesem neuen Gesichtspunkte
solche Hausindustrielle, welche direkt vom Unter-
nehmer beschäftigt werden, und solche, denen der
Zwischenmeister die Arbeit vermittelt.
Der Zwischenmeister hat die vom Verleger
empfangenen Aufträge unter die Arbeiter zu ver-
teilen, die fertigen Produkte zu sammeln und den
Lohn auszuzahlen, für pünktliche Ablieferung und
gute Qualität der Erzeugnisse zu sorgen. In
vielen Fällen hat er sich zu einer selbständigen
Stellung emporgeschwungen, beschäftigt auf eigene
Rechnung Heimarbeiter, denen er Rohstoffe und
Arbeitsaufträge zuteilt, und deren Arbeitsprodukte
er in bedeutenden Massen an den Verleger ab-
liefert. Er nimmt alsdann eine Stellung als
Zwischenverleger, als teils selbständiger teils un-
selbständiger Unternehmer ein.
Der Verleger kann, je mehr sein Großbetrieb
durch die Hausindustrie dezentralisiert ist, des
Zwischenmeisters nicht gut entraten. Für den
Heimarbeiter ist aber das Dazwischentreten einer
neuen Person durchaus nicht vorteilhaft. Denn
jetzt will von dem Arbeitsprodukt nicht bloß der
Heimarbeiter und der Verleger, sondern auch der
vermittelnde Faktor einen Gewinn erzielen, wes-
halb der Gewinnanteil des Arbeiters immer tiefer
herabsinken muß. Die allgemeine Abneigung der
Heimarbeiter gegen die Zwischenmeister ist daher
wohl erklärlich.
3. Die Existenzdes Zwischenhandelshat mancher-
orts zu einer besonders gearteten Organisations-=
form der Hausindustrie geführt, zur hausindu-
striellen Werkstatt. Mehrere Arbeiter oder
Arbeiterinnen sind in einem Arbeitsraume, einer
Werkstatt nach Anweisung und gegen Lohnzahlung
des Zwischenmeisters tätig, der Inhaber oder
wenigstens Mieter der Werkstatt ist. Dieser
Zwischenmeister seinerseits aber arbeitet und läßt
arbeiten nur auf Bestellung des Verlegers, von dem
er auch meist Rohstoffe und Zutaten empfängt,
während er selbst gewöhnlich die nötigen kleinen
Maschinen in seiner Werkstatt aufstellt und die
Hausindustrie.
übrigen Handwerkszeuge für sich und seine Arbeiter
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bereithält. Der Werkstätteninhaber nimmt eine
Doppelstellung ein. Er ist Lohnarbeiter seinem Ver-
leger gegenüber, wird aber teilweise selbständiger
Arbeitgeber seinen Hilfskräften gegenüber. Der-
artige Werkstättenbetriebe trifft man zahlreich an
in der Berliner Konfektion. Vor allem aber ist in
England diese Organisationsform seit langer Zeit
verbreitet und erhielt hier den berüchtigten Namen
Sweating system (Schwitzsystem). Der In-
haber einer hausindustriellen Werkstätte heißt hier
sweater (Schwitzmeister) und wird von Sombart
geschildert als „derjenige, der unmittelbar Män-
ner, Weiber und Kinder im Lohne hat, um die
Arbeit auszuführen, und der hofft, aus deren
Schweiß (by sweating) Gewinn herauszuschla-
gen“. Der Schwitzmeister füllt im allgemeinen
mit großer Leichtigkeit seine Werkstätten, was
seinen Grund hat in dem übermäßigen Angebot
von elenden Arbeitskräften, welche das in die
Großstadt eingewanderte Hungerproletariat dar-
bietet, in der Hilflosigkeit, in der sich diese der
Landessprache oft unkundige und gar nicht organi-
sierte Bevölkerungsschicht befindet. Das Schwitz-
spstem hat eine ungeheure Ausbeutung mensch-
licher Arbeitskraft und eine gewaltige Summe von
wirtschaftlichen und sozialem Elend verschuldet.
Der hausindustriellen Werkstattarbeit, in der
die Beschäftigten unter sich sozial differenziert sind,
stehen die vereinzelt arbeitenden Heimarbeiter
gegenüber, die unter sich sozial homogen sind und
zerstreut in ihren Wohnungen allein oder höchstens
mit Hilfe ihrer Familienangehörigen im Dienste
des Verlegers tätig sind. An dieser Form der
Heimarbeit wird nichts geändert, mag der Heim-
arbeiter direkt mit dem Verleger verhandeln, wie
zahlreiche Näherinnen in Berlin sich unmittelbar
vom Konfektionsgeschäft ihre Arbeit holen, oder
mag er vom Faktor Bestellung und Entlöh-
nung empfangen, wie die schlesischen Weber von
dem im nahen Städtchen seßhaften Faktor. —
Den Heimarbeitern, insofern sie der hausindu-
striellen Werkstatt gegenübergestellt werden, können
auch die Platzgesellen zugezählt werden, d. h. solche,
die weder in der eigenen Behausung noch bei einem
hausindustriellen Werkstattmeister arbeiten, son-
dern, im Dienst eines Verlegers oder Zwischen-
meisters stehend, bei einem Dritten sich einen Platz
zur Arbeit gemietet haben.
Wir hätten demnach zu unterscheiden: a) haus-
industrielle Werkstattinhaber, b) hausindustrielle
Werkstattgehilfen, c) alleinstehende Heimarbeiter.
4. Die deutsche Gesetzgebung macht auch einen
Unterschied zwischen Hausgewerbetreibenden
und Heimarbeitern. Beide Gruppen arbeiten
für einen Verleger und sind insofern wirtschaftlich
abhängig. Der Hausgewerbetreibende ist aber per-
sönlich selbständig, weil für ihn kein fester Vertrag
und keine Kündigungefrist besteht, weil er von
verschiedenen Seiten Aufträge entgegennimmt usw.
Der Heimarbeiter ist in der Regel vom Arbeit-
geber persönlich abhängig, weil dieser gegen ihn