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ganisation entstanden, wenngleich im Vorstande
mehrere jener Damen als außerordentliche Mit-
glieder des Vereins von Anfang an tätig waren
und noch sind. Der Verein hat sich trotz gewal-
tiger Schwierigkeiten vorzüglich entwickelt, zum
Teil auch infolge der kräftigen Unterstützung
seitens des katholischen und evangelischen Frauen-
bundes. Im Gegensatz zu andern Gewerkvereinen
legt der Heimarbeiterinnengewerkverein etwas mehr
Gewicht auf das Unterstützungswesen als auf die
rein gewerkschaftlichen Aufgaben, hat jedoch schon
mehrere recht günstige Tarifverträge durchgesetzt.
Außer in dieser nur für Heimarbeiterinnen be-
stimmten Gewerkschaft sind Heimarbeiter beiderlei
Geschlechts in den in Betracht kommenden Ge-
werkschaften verschiedener Richtung organisiert.
Eine mehr als bisher zu beachtende Aufgabe der
Gewerkvereine muß auch darin erblickt werden,
die Heimarbeiter technisch gut auszubilden; fach-
liche Tüchtigkeit erhöht naturgemäß alsbald die
Löhne und das Ansehen des Standes. Hinsicht-
lich der fachlichen Ausbildung der Heimarbeiter
haben übrigens verschiedene Staatsverwaltungen
durch Errichtung von Fachschulen und Lernkursen
Erhebliches geleistet.
Die zweite Form organisierter Selbsthilfe, die
Genossenschaft, kommt hauptsächlich für
ländliche Hausindustrien in Betracht. Die Ge-
nossenschaft, die den Einkauf von Rohmaterialien
und Werkzeugen sowie den Absatz der von den
Genossen hergestellten Erzeugnisse besorgte, würde
den Verleger aus dem Betriebssystem ausschalten
und so die Hausindustrie in ein genossenschaftlich
organisiertes Handwerk umwandeln. Die Ge-
nossenschaft kann aber nur für solche Hausindu-
strien von Bedeutung sein, die von der Fabrik-
konkurrenz nicht betroffen sind, wie Holzschnitzerei,
Korbflechterei, Korkschneiderei u. ä., oder für
solche, die wirkliche Oualitätsprodukte herstellen
und auf Grund einer feineren Technik und Ge-
schicklichkeit vor der Fabrik einen Vorsprung ge-
winnen. Das Genossenschaftsprinzip ist nur ver-
einzelt mit mehr oder weniger Glück in der Haus-
industrie durchgeführt, z. B. in der Korbflechterei,
Holzschnitzerei, Nagelschmiederei. Die schönsten Er-
folge hat jedenfalls die Produktivgenossenschaft der
Hohlperlenerzeuger in Gablonz in Nordböhmen
gezeitigt.
3. Neben dem staatlichen Eingreifen und dem
selbständigen geschlossenen Vorgehen der Heim-
arbeiter bleibt natürlich dem Wohltätigkeitssinn
und den charitativen Bestrebungen von außen-
stehenden Privaten und privaten
Vereinigungen ein sehr weites Feld zu för-
dernder Tätigkeit offen. Die Erwägung, daß eine
Ursache der niedrigen Heimarbeitslöhne auf seiten
der Konsumenten liegt, die stets möglichst billig
die häufig in der Heimarbeit hergestellten Stapel-
artikel kaufen wollen, hat in verschiedenen Ländern
zu Konsumentenvereinigungen oder
Käuferbunden geführt. Diese suchen das kaufende
Hausminister — Hausrecht.
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Publikum aufzuklären über die lohndrückende Wir-
kung, die das Streben nach billigen Einkäufen
auf die Arbeiterschaft haben muß; sie wollen
außerdem aber auch einen Druck auf die großen
Verleger und Geschäftsinhaber ausüben, um eine
bessere Behandlung der Angestellten überhaupt,
insbesondere aber auch der in der Heimarbeit Be-
schäftigten durchzusetzen. Die Käuferbunde sind
bis jetzt hauptsächlich in Tätigkeit getreten in
Nordamerika, Frankreich, Deutschland und in der
Schweiz.
Um weiten Kreisen Aufklärung zu bieten über
die Notlage der Heimarbeiter und zugleich Reform-
maßnahmen jeglicher Art anzuregen, wurden in den
letzten Jahren meist auf private Initiative hin
Heimarbeitsausstellungen veranstaltet.
Die erste fand 1906 in Berlin statt; ihr folgten
die Ausstellungen in London, Birmingham, Lei-
cester, Philadelphia, Chicago, Neuyork, Stock-
holm, Frankfurt a. M.
Literatur. Üüber Begriff, Geschichte u. Reform
der H. im allgemeinen orientieren: Schmoller,
Gesch. des deutschen Kleingewerbes (1870); Lief-
mann, über Wesen u. Form des Verlags der H.
(1899); Stieda, Literatur, heutige Zustände u.
Entstehung der deutschen H. (1889); Schwiedland,
Ziele u. Wege einer Heimarbeitsgesetzgebung
(21903); Koch, Die deutsche H. (1905); Wilbrandt,
Arbeiterinnenschutz u. Heimarbeit (1906); Som-
bart, Art. „H.“ im Handwörterb. der Staatswissen-
schaften; Bücher, Art. „Gewerbe“ ebd.
Aus der Summe zahlreicher Einzelmonographien
sind hervorzuheben: Schnapper-Arndt, Fünf Dorf-
gemeinden auf dem hohen Taunus (1883); Sax,
Die H. in Thüringen (3 Bde, 1882/88); Thun,
Die Industrie am Niederrhein (1879); Bein, Die
Industrie des sächf. Vogtlandes (2 Bde, 1884);
Zimmermann, Blüte u. Verfall des Leinengewerbes
in Schlesien (1885); Heiß u. Koppel, Deutsche
Heimarbeitausstellung (1906); Wilbrandt, Die
Weber in der Gegenwart (1906); Bittmann, H.
u. Heimarbeit im Großherzogtum Baden (1907).
Besonders sei verwiesen auf die im Auftrage des
Vereins für Sozialpolitik veranstalteten Unter-
suchungen, die in den Bdn 40/42 u. 84/88 der
Schriften des Vereins für Sozialpolitik gesam-
melt sind.
Für die H. Osterreichs ist von Bedeutung:
Schwiedland, Kleingewerbe u. H. in Österreich
(1893); Exner, Die H. Österreichs (1890); Bericht
der k. k. Gewerbeinspektoren über die Heimarbeit
in Österreich (3 Bde, 1900); Hainisch, Die Heim-
arbeit in Hsterreich (1906). — Die H.n in der
Schweiz sind zusammengestellt von Schuler in
dem Art. „Die schweiz. H. n“ in der Zeitschr. für
schweiz. Statistik 1904; vgl. außerdem Pfleghart,
Art. „H.“ in Reichesbergs Handwörterbuch der
schweiz. Volkswirtschaft II (1905).
Bezüglich der Literatur über andere ausländische
Ha sei verwiesen auf das sehr ausgiebige Literatur-
verzeichnis von Sombart zum Art. „H.“ im Hand-
wörterb. der Staatswissenschaften. [Koch S. J.1
Hausminister s. Hos, Hofstaat.
Hausrecht. Die germanischen Völker
haben von jeher die Freiheit und Unantastbarkeit