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steht darin, daß eigene Stände mit politischen
Vorrechten sich für den Kriegsdienst bilden, z. B.
das Rittertum, das als eine Art Kriegsadel
zu hoher Bedeutung gelangt ist. Den Niedergang
dieser Periode kennzeichnet das Uberwuchern eines
Söldnerwesens, welches ohne Zusammen-
hang mit Volk und Land lediglich dem Geld-
gewinn nachgeht. Neben all diesen Formen be-
sonders geschulter und geübter Kriegstruppen
pflegen sich noch ungenügend geschulte und un-
geübte Milizen als billiger, aber auch minder-
wertiger Notbehelf zu erhalten.
3. Den Abschluß bildet die Zeit der stehenden
Heere, deren Entwicklung auf die Bestrebungen
der Kriegskunst, noch mehr aber auf die Interessen
des fürstlichen Absolutismus zurückzuführen ist,
der als Stütze und Werkzeug seiner Gewalt ein
jeden Augenblick zu seiner ausschließlichen und
unbedingten Verfügung bereites Heer haben will.
Das stehende Heer wird anfänglich als Söldner-
heer, später auf Grund der allgemeinen Wehr-
pflicht als Volksheer aufgebracht. Die heutige
regelmäßige Form des stehenden Heeres ist das
Rahmenheer (Kadersystem). Ein solches
Heer steht zu Friedenszeiten nicht in seinem vollen,
im Krieg zur Verwendung kommenden Bestand
unter den Fahnen; die Friedensformationen bilden
vielmehr nur einen Rahmen (cadre), der als „Bil-
dungsschule der ganzen Nation für den Krieg“
(deutsches Wehrgesetz vom 9. Nov. 1867 F 4)
dient und erst im Krieg durch Einberufung der
nicht mehr unter den Fahnen stehenden ausgebil-
deten Heeresangehörigen ausgefüllt wird. Dauernd
unter den Fahnen stehen nur die berufsmäßig aus-
gebildeten Offiziere und Unteroffiziere, während
die sonstige Mannschaft nach erfolgter Ausbildung
entlassen und, abgesehen von einigen Ubungen,
nur im Kriegsfall zu den Fahnen gerufen wird.
Soll das Kadersystem seinen Zweck erfüllen, so
bedarf es einer solchen Zahl und Stärke der
Rahmen, daß sie nicht nur den Mannschaften,
sondern auch den Führern eine tüchtige kriegs-
mäßige Ausbildung, insbesondere durch Zusam-
menfassung und Ubung in großen Truppenver-
bänden, sichern. Den hervorragenden militärischen
Leistungen und Erfolgen, durch welche das Kader-
system erprobt ist, steht als eine Schattenseite des
Systems die schwere Belastung gegenüber, welche
es dem Volk schon im Frieden bringt, und zwar
eine Belastung durch wirtschaftliche wie durch
finanzielle Opfer. Um diese Belastung erträglich
zu gestalten, wird die allgemeine Wehrpflicht bei
diesem System nirgends bis zur äußersten Fol-
gerung, der Wehrhaftmachung sämtlicher Wehr-
fähigen, durchgeführt; vielmehr werden im ein-
zelnen mehr oder weniger die bürgerlichen Ver-
hältnisse berücksichtigt und die Aushebungen auf
einen durch Gesetz festgesetzten Bedarf beschränkt.
Ein sehr ernster Nachteil der stehenden Heere über-
haupt ist die Leichtigkeit ihres Mißbrauchs zu
Angriffskriegen für Zwecke eitler Eroberungssucht
Heerwesen.
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und räuberischer Habsucht, die selbstverständlich
nie offen zugegeben, sondern mit heuchlerischen
Phrasen verleugnet werden. Für gewissenlose
Staatsmänner ist ein starkes stehendes Heer stets
eine große Versuchung, die Lösung politischer
Schwierigkeiten und Verwicklungen mit dem
Schwert, statt auf friedlichem Weg, zu betreiben.
Den Gegensatz zum stehenden Heer bildet die
nochheute in einzelnen Staaten beibehaltene Miliz.
Staaten, welche, wie die Schweiz, das Milizsystem
gleichfalls auf der allgemeinen Wehrpflicht auf-
bauen, führen die allgemeine Wehrpflicht voll-
ständig durch. Alle Wehrfähigen werden für den
Krieg ausgebildet, aber die Ausbildung beschränkt
sich auf kurze Friedensübungen. Das Heer wird
nicht schon im Frieden, sondern erst im Kriegsfall
auf Grund einer im Frieden vorbereiteten Or-
ganisation aufgestellt. Vorteile des Milizsystems
sind, daß die Wehrpflichtigen durch die militärischen
Übungen in ihrem Lebensberuf wenig gestört, daß
also die Kräfte des Volkes im Frieden möglichst
geschont werden, und daß anderseits im Krieg die
volle Wehrkraft des Volkes aufgeboten wird. Da-
gegen fehlt dem Milizheer ein starker und wohl-
geschulter Stamm und, was noch wichtiger ist,
eine in der Leitung größerer Truppenverbände
genügend geübte Führung, Mängel, deren Be-
deutung sich mit dem Fortschritt der Kriegskunst
und Waffentechnik steigert.
B. Zur Geschichte des Heerwesens. 1. Bei
den Germanen finden wir ein allgemeines,
unbeschränktes Waffenrecht und Befestigungsrecht,
und entsprechend eine allgemeine Waffenpflicht
aller waffenfähigen freien Männer. „Wer“ oder
„Wehr“ bedeutete sowohl Mann als Krieger;
„Heer“ und Volk waren identisch und wurden
noch im 10. Jahrh. bei den Sachsen als gleichbe-
deutend gebraucht. Der Gliederung des Heeres lag
auch die Einteilung des Landes zugrunde, so daß
Waffenrecht und Waffenpflicht auf dem Grund-
besitz der Familie ruhte. Das Stammesgebiet
wurde nämlich nach den Abteilungen des Heeres
(Hundred, Herath) in Gaue (pagi) und diese in
Hundertschaften (Centenen), bestehend aus dem
Grundbesitz von 100 Familien, eingeteilt. An der
Spitze dieser Heeres= und Gebietsabteilungen
standen die von der Volksversammlung gewählten
Gaufürsten (principes) und Hundertschaftsführer
(centenarl#). Die Leitung des Heeres stand dem
König oder einem besonders gewählten „Here-
tagan, Herizohn, Herzog“ (dux) zu. Zur Heeres-
folge bei Angriffskriegen war der Germane nur
dann verpflichtet, wenn der Angriff in der Volks-
versammlung beschlossen worden war; zur Ver-
teidigung des heimatlichen Bodens dagegen hatte
er dem Aufgebot auch ohne vorherigen Beschluß
der Volksversammlung Folge zu leisten. Eine
Wechselwehrpflicht bestand bei den Sueben; sie
führten aus jedem ihrer Gaue jährlich je 1000
Bewaffnete zum Krieg über die Grenze, während
die Zurückbleibenden durch Ackerbau sich und jene