Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1145 
die Last des persönlichen Kriegsdienstes erspart 
und dadurch die Möglichkeit gewährt, die Werke 
des Friedens zu pflegen. Die Blütezeit des Rit- 
tertums fällt in die Zeit der Kreuzzüge, 11. bis 
13. Jahrh. Zu beachten ist, daß seit Friedrich I. 
(1152/90) das Reichsheer neben den Lehnsrittern 
auch zahlreiche Soldritter enthielt. 
5. Seit dem 14. Jahrh. zeigt sich in Deutsch- 
land, wie anderwärts, ein offenbarer und unauf- 
haltsamer Zerfall des Ritterwesens. Die innere 
Auflösung desselben äußert sich in Raubrittertum 
und Fehdesucht, bis endlich der Reichstag zu 
Worms im Jahre 1495 durch den Ewigen Land- 
frieden — ein Verdienst des Kurfürsten von Mainz, 
Berthold von Henneberg — jeglicher Fehde und 
Eigenmacht eine Ende setzte. Auf militärischem 
Gebiet hat hauptsächlich die Ausbildung des 
Söldnerwesens und der Feuerwaffen 
zum Untergang des Rittertums beigetragen. Die 
Lehnsmilizen zeigten sich ihren Aufgaben nicht 
mehr gewachsen. Schon Albrecht I. (1298/1308) 
erkannte die Wichtigkeit eines guten Fußvolkes 
und stellte neben den Speerreitern unberittene 
Bogenschützen auf, welche freilich wegen ihres 
„unritterlichen Fechtens“ das Mißfallen der Ritter 
erregten. Die Erfolge des schweizerischen Fuß- 
volkes gegen die österreichischen Ritterheere bei 
Morgarten (1315) und Sempach (1386), des 
englischen Fußvolkes gegen die französischen Ritter- 
heere bei Crécy (1346) und Maupertuis (1357) 
und des hussitischen Fußvolkes gegen die deutschen 
Ritterheere (1424/31) vernichteten gründlich den 
Glauben an die UÜberlegenheit der schwerge- 
wappneten Ritter. Die Feuerwaffe, das von den 
Rittern anfänglich so verachtete „neu unritterlich 
Gewehr“, hat vollends den Dienst des geharnisch- 
ten Ritters wertlos gemacht. Kleinere Feuerge- 
schütze werden für Deutschland zuerst 1330 in 
Bayern nachgewiesen; ein großes Geschütz, die 
„saule Grete", wird 1377 in Erfurt gegossen. 
Handfeuerwaffen kommen noch im Lauf des 14. 
Jahrh. zur Anwendung, werden aber erst im 
16. Jahrh. eine selbständige Waffe des Fußvolkes. 
Mit der wachsenden Bedeutung des Fußvolkes 
hängt die Verbreitung des Söldnerwesens eng 
zusammen. Da die Söldner nach den meist nur 
kurzen Feldzügen alsbald abgedankt und sich selbst 
überlassen wurden, mußten sie hoch besoldet wer- 
den; gleichwohl waren die Kosten einer Sold- 
truppe wesentlich geringer als die der Lehnstruppen. 
Die Zuverlässigkeit und Disziplin der Söldner 
ließ viel zu wünschen übrig; wer sie am besten 
bezahlte, der erhielt ihre Dienste; Verlockungen 
und Mißstimmungen gaben ihnen leicht Anlaß, 
die Fahnen zu verlassen oder den Gehorsam zu 
verweigern. War der Feldzug zu Ende, so suchten 
sich manche Söldner durch Raub und Diebstahl 
im Lande ihren Unterhalt oder auch Ersatz für 
ihren rückständigen Sold zu verschaffen. Die 
schweizerischen Söldner waren durch bessere Zuchtt, 
aber auch durch höhere Soldansprüche bekannt; 
Heerwesen. 
  
1146 
daher das Sprichwort: „Kein Geld, keine Schwei- 
zer.“ Dem Zug der Zeit entsprechend bildeten 
sich schließlich unter den Söldnern besondere zunft- 
artige Vereinigungen, Brüderschaften, die im 
Frieden zu einer gemeingefährlichen Landplage 
wurden, selbständige Fehden führten und schwachen 
Obrigkeiten ihren Willen vorschrieben. Trotz die- 
ser Schäden gewann das Söldnerwesen infolge 
der Unbrauchbarkeit des veralteten Lehnswesens 
immer mehr an Ausdehnung. Das alte Reichs- 
heer war aus viel zu vielen zwerghaften Kontin- 
genten kleiner Herren zusammengesetzt, die einzelnen 
Kontingente waren ungleich bewaffnet, ungenügend 
geübt, sammelten sich auf das Aufgebot mit außer- 
ordentlicher Langsamkeit und verschmolzen nie recht 
zu einer einheitlichen, schlagfertigen Truppe. Diese 
Mängel führten in den Nöten der Hussitenkriege 
dazu, daß auf den Reichstagen zu Nürnberg 1422 
und Frankfurt 1427 vorübergehend beschlossen 
wurde, statt des bisherigen Aufgebots eine Reichs- 
vermögenssteuer (den gemeinen Pfennig) zur 
Aufstellung eines Söldnerheeres auszuschreiben. 
Kaiser Maximilian I. (1493—1519), der „letzte 
Ritter“, suchte vergeblich durch allerlei Reformen 
den Niedergang des Rittertums aufzuhalten und 
eine neue Heeresverfassung zustande zu bringen. 
Insbesondere ist sein Versuch, dem Unwesen der 
Söldner durch Gründung einer ordensähnlichen, 
mit ritterlichen Elementen durchsetzten Truppe, 
der Landsknechte, entgegenzuwirken, ohne 
nachhaltigen Erfolg geblieben. Dagegen haben 
sich Maximilians Vorschriften für die Söldner, 
der „Artikulsbrief“ für die Fußknechte und die 
„Reuterbestallung“ für die Reiter, in manchen 
Wandlungen noch lange erhalten; unsere heutigen 
„Kriegsartikel“ erinnern noch daran. Eine wich- 
tige Besserung des Heerwesens brachte die auf 
dem Reichstag zu Worms 1521 beschlossene Ma- 
trikel, welche die Stärke des Reichsheeres und der 
von den einzelnen Reichsständen zu stellenden 
Kontingente sowie den Betrag der daneben von 
ihnen zu leistenden Kriegssteuer bestimmte, und 
eine Ablösung der Truppengestellung in Geld 
nicht gestattete. Die Stärke des Reichsheeres 
betrug danach in simplo 4000 Reiter und 
20 000 Fußknechte. Der Monatssold wurde in 
Erinnerung an die Römerzüge als „Römer- 
monat“ bezeichnet. Kaiser und Reichstag setzten 
gemeinsam fest, wie viele simpla im einzelnen 
Kriegsfall zu stellen waren. Die Aufbringung der 
Truppen durch die Reichsstände erfolgte durch 
Werbung und Aufgebot; das Aufgebot wurde 
angewendet für die Landesverteidigung. 
6. Die Ausgestaltung der Landeshoheit, nicht 
wenig gefördert durch die religiöse Spaltung seit 
dem 16. Jahrh., führte zu fortschreitender Min- 
derung der Rechte und Macht des Kaisers auch 
auf militärischem Gebiet. Schließlich erlangten 
die Landesherren mit Hilfe von Frankreich und 
Schweden den dauernden Sieg über die Reichs- 
gewalt im Westfälischen Frieden (1648), der ihnen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.