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Vorsitz Scharnhorst führte und deren tätigste Mit-
glieder Clausewitz und Boyen waren. Das be-
deutsamste Ergebnis der Kommissionsarbeit war
das Gesetz vom 3. Sept. 1814, welches die all-
gemeine Wehrpflicht feststellte, das stehende Heer
zur nationalen Schule für den Krieg erklärte und
die Landwehr zu einem integrierenden Teil der
bewaffneten Macht erhob. Die Werbung von
Ausländern hörte auf. Zur Hebung des Offi-
zierstandes wurden die Ablegung einer Prüfung
und die Wahl durch das Offizierkorps als all-
gemeine Vorbedingungen für die Beförderung
zum Offizier verlangt und die bisherige Bevor-
zugung des Adels aufgehoben; für die wissen-
schaftliche Bildung der Offiziere wurde die Allge-
meine Kriegsschule gegründet; die Einführung
von Ehrengerichten suchte die Entfernung unwür-
diger Elemente aus dem Offizierstand zu er-
leichtern. Auch den Mannschaften wurde eine
bessere, das Ehrgefühl belebende Behandlung zu-
teil; entehrende Strafen, wie die körperliche Züchti-
gung, wurden abgeschafft. Auf dieser Grundlage
wurde später weitergebaut und die Verstärkung
der Kaders, die Vermehrung der Truppenforma-
tionen, die Erhöhung der Einstellungen und die
Steigerung der Schlagfertigkeit des Heeres, zum
Teil gegen den Willen des preußischen Landtages
(1860), erreicht.
7. Im Deutschen Bunde waren die Heeres-
verhältnisse ähnlich wie in der letzten Zeit des
alten deutschen Reiches. Das Recht des Krieges
und Friedens sowie das Vertragsrecht stand so-
wohl dem Bund als den einzelnen Bundesstaaten
zu, nur waren die Bundesstaaten in der Aus-
übung ihres Rechts insofern beschränkt, als sie
weder im Fall eines Bundeskrieges neutral bleiben
oder einseitige Verhandlungen mit dem Feinde
anknüpfen, noch Verbindungen gegen die Sicher-
heit des Bundes oder einzelner Bundesstaaten ein-
gehen, noch gegeneinander Krieg führen durften.
Die Bundesarmee setzte sich aus den auch im Frie-
den präsent zu haltenden Kontingenten der Bundes-
staaten zusammen und zerfiel in 10 Armeekorps,
3 österreichische, 3 preußische, 1 bayrisches und 3
aus den kleineren Kontingenten zusammengesetzte.
Von letzteren sind durch Bundesbeschluß von 1830
19 Kleinstaaten getrennt und bloß zur Stellung
einer Reserve-Infanteriedivision behufs Besatzung
der Bundesfestungen verpflichtet worden. Die
Präsenzstärke an Offizieren, Unteroffizieren und
Gemeinen betrug anfänglich 1% der in der
Bundesmatrikel von 1818 festgesetzten Bevölke-
rung, der Ersatz ½ % derselben, später 1½1%
und ½% . Jedes Armeekorps stand unter einem
von den beteiligten Regierungen zu ernennenden
General. Den Oberfeldherrn wählte die Bundes-
versammlung; den Feldzugsplan zu bestimmen,
war seine Aufgabe; doch war er für seine Heeres-
leitung der Bundesversammlung verantwortlich.
Bundesfestungen waren Mainz, Luxemburg, Lan-
dau, Ulm, Rastatt; das Besatzungsrecht gehörte
Heerwesen.
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dem Bund; die Besatzung wurde nach den Kon-
ventionen oder Bundesbeschlüssen gestellt.
Die Erfolge Preußens im deutschen Krieg (1866)
und im deutsch-französischen Krieg (1870/71)
führten zur Gründung des Norddeutschen Bundes
und des Deutschen Reiches, zur Ausdehnung der
preußischen Heereseinrichtungen auf sämtliche im
Deutschen Reiche verbündeten Staaten und zur
Nachahmung dieser Einrichtungen in Osterreich
(1868), Frankreich (1872), Rußland (1874) und
Italien (1875).
Die Schweiz hat noch ein Milizsystem, aber auf
allgemeiner Wehrpflicht gegründet. Großbritan-
nien dagegen besitzt im wesentlichen geworbene
Truppen; doch haben die bitteren Erfahrungen des
Burenkrieges zu dem Versuch einer gründlichen
Umgestaltung des Heeres geführt. In einer Denk-
schrift des englischen Kriegsministers Haldane vom
18. Febr. 1907 wird eine Umbildung der eng-
lischen Miliz verlangt, da sie „nach übereinstim-
mender militärischer Ansicht in der bisherigen
Verfassung und Organisation ganz außerstande
ist, europäischen Truppen gegenüber im Feldkriege
aufzutreten“. Die Vorschläge Haldanes sind vom
Parlament angenommen worden; über ihren Er-
folg läßt sich ein Urteil noch nicht abgeben.
C. Heerwesen des Deutschen Reiches. I. Mi-
litärkonventionen. Neben den Bestimmungen
der Reichsverfassung über das Heerwesen, Abschn.
XI: Reichskriegswesen, Art. 57/68, kommen als
Rechtsquellen für das deutsche Heerwesen in Be-
tracht die in den Militärkonventionen getroffenen
Vereinbarungen. Die Mehrzahl dieser Konven-
tionen ist von Preußen mit andern Bundesstaaten
schon bei Gründung des Norddeutschen Bundes
abgeschlossen worden, nämlich mit Sachsen am
7. Febr. 1867, Hessen 7. April 1867 (ersetzt durch
die Konvention vom 13. Juni 1871), Sachsen-
Weimar, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg,
Sachsen-Coburg-Gotha, Schwarzburg-Rudol-
stadt, Reuß älterer Linie, Reuß jüngerer Linie
26. Juni 1867 (ersetzt durch die Konvention vom
15. Sept. 1873), Lippe-Detmold 26. Juni 1867
(ersetzt durch die Konvention vom 14. Nov. 1873),
Lübeck, Bremen 27. Juni 1867, Anhalt 28. Juni
1867 (ersetzt durch die Konvention vom 16. Sept.
1873), Schwarzburg-Sondershausen 28. Juni
1867 (ersetzt durch die Konvention vom 17. Sept.
1873), Schaumburg-Lippe 30. Juni 1867 (er-
setzt durch die Konvention vom 25. Sept. 1873),
Oldenburg 15. Juli 1867, Hamburg 23. Juli
1867, Waldeck 6. Aug. 1867 (jetzt Konvention
vom 24. Nov. 1877), Mecklenburg-Schwerin
24. Juli 1868 und 19. Dez. 1872, Mecklenburg-
Strelitz 9. Nov. 1868 und 23. Dez. 1873. Es
folgte der Versailler Bündnisvertrag des Nord-
deutschen Bundes mit Bayern vom 23. Nov.
1870, die Militärkonvention des Norddeutschen
Bundes mit Württemberg vom 21./25. Nov.
1870, die Militärkonvention Preußens mit Baden
vom 25. Nov. 1870 und zuletzt die Militär-